Juli 2006

060712

ENERGIE-CHRONIK


EnBW-Chef droht Strafprozeß wegen Vorteilsgewährung an Politiker

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe erhob am 18. Juli Anklage gegen den Vorstandsvorsitzenden der Energie Baden-Württemberg (EnBW), Utz Claassen. Sie wirft ihm Vorteilsgewährung an Amtsträger nach Paragraph 333 des Strafgesetzbuches vor, weil er Ende vorigen Jahres sechs Ministern der Landesregierung und einem Staatssekretär der Bundesregierung Freikarten für die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft übermittelte. Darunter befanden sich Wirtschaftsminister Pfister (FDP), Justizminister Goll (FDP) und Umweltministerin Tanja Gönner (CDU), deren Ressorts dienstlich mit der EnBW zu tun haben. Bei dem Staatssekretär handelte es sich um den früheren SPD-Bundesgeschäftsführer Matthias Machnig, der jetzt im Bundesumweltministerium unter anderem für die Verhandlungen über den Emissionshandel zuständig ist. Die Empfänger sollten bei Veranstaltungen in Stuttgart und Berlin in einer von der EnBW angemieteten Loge sitzen. Der Wert der Logenplätze betrug jeweils mehr als 2000 Euro.

Die Antikorruptionsorganisation Tranparency International begrüßte die Anklageerhebung gegen Claassen. "Diese Art, sich einzuschmeicheln oder für gutes Wetter zu sorgen, hat bei Amtsträgern nichts zu suchen", meinte Transparency-Vorstand Jochen Bäumel gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen" (20.7.).

Pfister und Machnig zur Zahlung von Geldbußen bereit

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatten Pfister und Machnig das Angebot akzeptiert und sich damit der Vorteilsannahme (§ 331 StGB) schuldig gemacht. Beide verzichteten nämlich erst auf die angebotenen Logenplätze, nachdem die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Strafanzeige zu ermitteln begonnen hatte. Wie Machnig auf Presseanfragen mitteilte, wurde das gegen ihn eingeleitete Verfahren inzwischen "bei einer geringfügigen Geldauflage zugunsten einer gemeinnützigen Vereinigung eingestellt". Auch Pfister signalisierte seine Bereitschaft zur Zahlung einer Geldbuße von 2500 Euro, um die Affäre zu beenden. Er habe sich zwar bei der EnBW für die Gutscheine bedankt, habe sie aber nie einlösen wollen, beteuerte er. "Wenn meine Tante mir zu Weihnachten Pralinen schenkt, bedanke ich mich dafür, auch wenn ich sie nicht essen würde."

Erst Hiebe und dann Freikarten für den Minister

Mit der Versendung der Freikarten stolperte die EnBW von einer Kommunikationspanne zur nächsten: Noch im Oktober 2005 hatte sich Claassen in rüder Manier mit dem neuen Wirtschaftsminister Pfister angelegt, weil dieser sich eine Nachfrage zu den neuen Sicherheitsrichtlinien der EnBW für die Kernkraftwerke erlaubt hatte (041015). Der Streit kulminierte bis zur Androhung von Schadenersatzansprüchen und einer Unterlassungsklage, ehe er im November beigelegt wurde (041112) - ein halbes Jahr, bevor Pfisters Ministerium über die Zulässigkeit der jüngsten Tariferhöhung der EnBW zu befinden gehabt hätte, wenn die Landesregierung nicht schon seit Jahren darauf verzichten würde, die ihr nach der Bundestarifordnung Elektrizität zustehende Kontrolle auszuüben (060606). Die Befreiung der Stromversorger von der Tarif-Genehmigungspflicht wurde seinerzeit von Walter Döring (FDP) durchgesetzt (991217) und auch durch dessen Nachfolger Pfister nicht in Frage gestellt, obwohl die baden-württembergischen Tarifkunden dadurch schutzlos den "Preisanpassungen" der EnBW ausgesetzt waren (040208).

EnBW spricht nicht von Vorteilsgewährung, sondern von "Public–Private–Partnership"

EnBW-Chef Claassen hält es indessen weiterhin für völlig normal und zulässig, Politiker mit derlei üppigen Geschenken zu bedenken. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft blieben "haltlos und absurd", ließ er am 18. Juli seinen Pressesprecher Schierwater verkünden. "Auf dem Rücken einer einzelnen Person soll offenbar ein Musterstrafprozeß durchgeführt werden", hieß es wörtlich in der Pressemitteilung der EnBW. "Das ist bitterer Dank für 'Public–Private–Partnership'."

Die Affäre war im Februar ins Rollen gekommen (060213), wodurch sich Claassen zusätzlich zu den seit einem Jahr laufenden Ermittlungen wegen Verdachts der Bilanzfälschung (050216, 050403) ein weiteres Verfahren einhandelte. Den Verdacht, Claassen habe durch die zu niedrig angesetzte Bewertung von EnBW-Beteiligungen gegen Paragraph 331 des Handelsgesetzbuches verstoßen, ließ die Staatsanwaltschaft im Mai wieder fallen (060514). Möglicherweise fühlte sich der EnBW-Chef dadurch zu einer Attacke auf die Ermittler im noch anhängigen Verfahren ermutigt, denn er erhob nun Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft, weil diese nicht auch gegen den baden-württembergischen Justizminister Ulrich Goll (FDP) ermittele, der sich im vergangenen Jahr vom Bundesligisten VfB Stuttgart habe einladen lassen. Zugleich versuchte er seine Sichtweise der Dinge in der Fernsehsendung "Sabine Christiansen" zu verbreiten, die am 4. Juni im Ersten Programm ausgestrahlt wurde (060614).

Millionen für "Sponsoring" der Fußball-Weltmeisterschaft nutzlos verausgabt?

Die vielen Millionen Euro, die von der EnBW als "nationaler Förderer" der Fußball-Weltmeisterschaft ausgegeben wurden (060213), scheinen sich nicht rentiert zu haben. Wie das Kölner Marktforschungsinstitut Sport und Markt ermittelte, rangierte die EnBW bei einer Umfrage zum Bekanntheitsgrad der 15 Fifa-Hauptsponsoren und 6 "nationalen Förderer" mit einem Bekanntheitsgrad von 18 Prozent auf dem vorletzten Platz. Allein für den Titel "nationaler Förderer" hat die EnBW mehr als zehn Millionen Euro an den Fußballweltverband Fifa überweisen müssen. Sie war das einzige Energieunternehmen unter den Sponsoren der Fußball-Weltmeisterschaft (SZ, 14.7.)