November 2008

081103

ENERGIE-CHRONIK


Während RWE sein anfängliches Schweigen zur Zuschlagserteilung aufgegeben hat und nun mit einem "Belene Special" auf seinen Internet-Seiten kräftig die Werbetrommel für den Einstieg in die osteuropäische Atomstromproduktion rührt (rechts), machen Kernkraftsgegner ihrerseits mobil und fordern im Internet dazu auf, dem Konzern die "Gelbe Karte" zu zeigen (links).

RWE rührt Werbetrommel für Atomstromproduktion in Bulgarien

Nach wochenlangem Schweigen zur geplanten Beteiligung am bulgarischen Kernkraftwerk Belene gab der RWE-Konzern im November seine Zurückhaltung auf. Auf seinen Internet-Seiten, auf denen bisher kein Wort zu der bulgarischen Offerte zu finden war, begann er plötzlich mit einer umfangreichen Werbung für das Projekt. Außerdem unterzeichnete er eine erste Vereinbarung für eine Beteiligung am rumänischen Kernkraftwerk Cernavoda und bekundete seine Bereitschaft, auch beim neuen Kernkraftwerk Ignalina miteinzusteigen, das die drei baltischen Staaten planen.

Bisher war die Erteilung des Zuschlags an RWE für die Finanzierung und den Betrieb des Kernkraftwerks Belene nur durch eine Verlautbarung der bulgarischen Regierung bekannt geworden (081003). Eine förmliche Zusage von RWE gibt es auch jetzt noch nicht. Die Kampagne auf den Internet-Seiten des Konzerns soll aber offenbar einen solchen Beschluß vorbereiten und noch vorhandene Widerstände im Aufsichtsrat des Konzerns beseitigen. Laut "Handelsblatt" (21.11.) haben Vertreter der Arbeitnehmer und der Kommunen im Aufsichtsrat Zweifel an der Sicherheit der Anlagen. Außerdem befürchten sie eine weitere Verschlechterung des Konzern-Images. Konzernchef Jürgen Großmann wolle das Projekt aber gegen alle Bedenken durchdrücken.

"Oberbürgermeistern würde Ja zu Belene um die Ohren fliegen"

Auf einer Sondersitzung befaßte sich der RWE-Aufsichtsrat am 2. November erstmals mit den Plänen der Konzernleitung, ohne jedoch eine Entscheidung zu treffen. Zuvor hatten 10.000 Bürger mit ihrer Unterschrift gegen das Projekt protestiert und RWE symbolisch 80.000 "gelbe Karten" gezeigt. "Den Oberbürgermeistern würde ein Ja zu Belene nächstes Frühjahr im Kommunalwahlkampf um die Ohren fliegen", meinte eine Sprecherin des Online-Netzwerks Campact. Vor der Essener Konzernzentrale enthüllten 30 Greenpeace-Aktivisten ein Spruchband mit der Aufschrift "RWE: kein russisches AKW".

RWE versucht unterdessen, das vom russischen Staatsunternehmen Atomstroyexport konzipierte Kernkraftwerk Belene als absolut sicheres Projekt darzustellen. Atomstroyexport verfüge über langjährige Erfahrung im Bau von Kernkraftwerken mit Druckwasserreaktoren, die in die Entwicklung des neuen Kernkraftwerks mit eingeflossen seien. Zur Erdbebengefahr auf dem Balkan heißt es, Gebäude und Systeme seien so ausgelegt, daß Schäden in der Anlage auch im Fall schwerster Erdbeben verhindert würden. Das Kernkraftwerk vom Typ AES-92 gehöre zur sogenannten dritten Generation und sei mit dem derzeit in Finnland und Frankreich gebauten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) durchaus vergleichbar. In China befinde sich im Kernkraftwerk Tianwan ein ähnlicher Reaktor kurz vor der Inbetriebnahme und in Kudankulam in Indien werde derzeit ein weiterer gebaut. Die Europäische Kommission habe die technische Auslegung für das Projekt Belene gebilligt und dessen Wichtigkeit für die bulgarische Stromerzeugung betont.

Das Etikett "AES" soll negative Assoziationen der WWER-Reaktoren verdrängen helfen

Kernkraftwerke vom Typ AES-92 sind mit Reaktoren des Typs WWER-1000/392 oder - wie in Belene - des Typs WWER 1000/466 ausgestattet. Die Abkürzung AES steht für Atomnaja Electrostancija, was auf russisch Kernkraftwerk bedeutet. Die Abkürzung WWER beschreibt dagegen das Funktionsprinzip der russischen Druckwasserreaktoren als "wassergekühlter, wassermoderierter Energie-Reaktor". Die neuerdings eingeführte Etikettierung als "AES" soll unterstreichen, daß diese WWER-Reaktoren mit mehr Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet sind als die alten, deren Design noch aus Zeiten der Sowjetunion stammte. Mit negativen Assoziationen belastet ist vor allem der Typ WWER-440, der zu Zeiten der Sowjetunion der Standard-Reaktor für den Export war und hauptsächlich in den osteuropäischen Satellitenstaaten gebaut wurde. Er war zwar konstruktionsbedingt sicherer als die graphitmoderierten Reaktoren vom Tschernobyl-Typ RBMK, genügte aber bei weitem nicht westlichen Ansprüchen. Auch der WWER-1000/320, mit dem das tschechische Kernkraftwerk Temelin ausgestattet wurde, beruhte noch auf sowjetischem Design.

Russischer Milliarden-Rabatt auf die offiziellen Baukosten?

Um den Bau des bulgarischen Kernkraftwerks hatten sich außer der russischen Atomstroyexport noch Areva/Skoda SJ, die US-Firma Westinghouse und die kanadische AECL beworben. Die Allianz aus Areva und Skoda SJ hatte sowohl den Europäischen Druckwasser-Rektor (EPR) als auch den Temelin-Typ WWER-1000/320 im Angebot. Da die ehemalige Nuklearsparte des Skoda-Konzerns inzwischen ebenfalls dem russischen Staat bzw. Gazprom gehört, dürften die Angebote aber abgesprochen gewesen sein und die Offerte des Temelin-Typs nur dazu gedient haben, das Angebot von Atomstroyexport in ein helleres Licht zu rücken. Dazu paßt auch, daß Atomstroyexport beim Bau des Kernkraftwerks nun Areva/Siemens als Subunternehmen beschäftigt.

Die staatliche bulgarische Elektrizitätsgesellschaft NEK begründete den Zuschlag für das Angebot von Atomstroyexport mit der höheren Sicherheit und dem etwas günstigeren Preis gegenüber dem Angebot für den Temelin-Typ WWER 1000/320, der ebenfalls rund vier Milliarden Euro kosten sollte. Faktisch dürfte Atomstroyexport aber im Rahmen eines Kompensationsgeschäftes einen weit niedrigeren Preis eingeräumt zu haben. Jedenfalls war an anderer Stelle von nur 2,6 Milliarden Euro die Rede. In Belene hatten die Russen nämlich bereits von 1987 bis 1990 mit der Errichtung von zwei Reaktoren des Typs WWER 1000/320 begonnen. Sie sollen nun bereit sein, diese Vorarbeiten zu honorieren und die damals gelieferte technische Ausrüstung zurückzunehmen, um sie für die eigenen WWER-Reaktoren zu verwenden.

RWE beteiligt sich an zwei neuen Blöcken im rumänischen Kernkraftwerk Cernavoda


Seit einem Jahr in Betrieb: Der zweite Candu-Reaktor in Cernavoda.

Der RWE-Konzern will sich außerdem am Ausbau des rumänischen Kernkraftwerks Cernavoda beteiligen. Am 20. November unterzeichnete RWE Power eine entsprechende Absichtserklärung zur Gründung einer gemeinsamen Projektgesellschaft mit der Societatea Nationala Nuclearelectrica SA und fünf weiteren internationalen Partnern. Die staatliche Nuclearelectrica wird mit 51 Prozent die Mehrheit an der Projektgesellschaft halten. Die übrigen Anteile übernehmen RWE, GDF/Suez, Enel und CEZ mit jeweils 9,15 Prozent sowie ArcelorMittal und Iberdrola mit jeweils 6,2 Prozent.

Die Projektgesellschaft will am Standort Cernavoda zwei weitere Reaktoren vom kanadischen Typ Candu errichten, die eine Gesamtleistung von 1.400 MW haben und 2016 ans Netz gehen. Bisher gibt es in Cernavoda zwei solcher Reaktoren. Der erste läuft seit 1996 (960406). Der zweite wurde im Oktober 2007 offiziell in Betrieb genommen. Die Candu-Reaktoren hatte der frühere rumänische Diktator Ceaucescu in Kanada bestellt, um außen- und energiepolitisch seine Unabhängigkeit gegenüber der Sowjetunion zu demonstrieren, von der sonst alle osteuropäischen Länder ihre Reaktoren bezogen.

Mit dem Baubeginn ist erst 2011 zu rechnen. Die Projektgesellschaft soll nach Freigabe durch die rumänische Regierung im kommenden Frühjahr gegründet werden. Weitere eineinhalb Jahren sind vorgesehen, um die Details des Vorhabens abzustimmen und die notwendigen Verträge unterschriftsreif zu machen.

RWE-Chef Jürgen Großmann hat ferner ein Auge auf den Neubau des Kernkraftwerks Ignalina geworfen, den die drei baltischen Staaten seit längerem planen (060307). "Es gibt Vorhaben, im Baltikum ein neues Kernkraftwerk zu bauen", sagte er gegenüber der "Financial Times Deutschland" (22.11.). "Wenn über das Projekt entschieden wird, werden wir uns das anschauen." Dabei komme eine Kooperation mit polnischen Partnern in Frage.

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