September 2009

090908

ENERGIE-CHRONIK


Gutachten zu Gorleben wurde unter politischem Druck umgeschrieben

Das Bundesforschungsministerium hat im Mai 1983 politischen Druck ausgeübt, um den Text eines Gutachtens über die Eignung des Salzstocks Gorleben als Endlager für hochradioaktive Abfälle nachträglich zu schönen. Dies wurde Anfang September bekannt. Beispielsweise drang das Ministerium darauf, die Möglichkeit von Wassereinbrüchen herunterzuspielen und das Fazit zur Eignung des Salzstocks positiver zu gestalten. Die Tilgung der kritischen Passagen erfolgte sieben Monate nach dem Amtantritt von Helmut Kohl (CDU) als Bundeskanzler. Das Bundesforschungsministerium unterstand dem CDU-Politiker Heinz Riesenhuber.

Unter dem Motto "Biblis – Kernig in die Zukunft" demonstrierten am 4. September rund 1.800 Auszubildende in Biblis für die Kernenergie im allgemeinen und für die Laufzeitverlängerung der beiden Blöcke in Biblis im besonderen. Aufgerufen hatten die Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretungen (GJAV) des RWE-Konzerns und der RWE Power. Ferner beteiligten sich Abgesandte anderer Kernkraftwerksbetreiber wie der EnBW. Auf der Abschlußkundgebung erklärte der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU), daß ein Industrieland wie Deutschland nicht auf Strom aus Kernenergie verzichten könne, ohne dabei wirtschaftlich zurückzufallen. RWE-Chef Jürgen Großmann begrüßte es, "daß sich aktive junge Leute hier konstruktiv in die Energiedebatte einmischen".
Pressefoto RWE

Zuständig für die Durchführung der Begutachtung war damals die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), aus der später das Bundesamt für Strahlenschutz hervorging. Die "Süddeutsche Zeitung" (9.9.) veröffentlichte den Ausriß eines Fernschreibens vom 13. Mai 1983, in dem das Ministerium von der PTB verlangte, das vorliegende Gutachten umzuschreiben. Zum einen ging es ihm darum, "den vermutlich hypothetischen Störfall das Wasser- und Laugenzutritts über dem Hauptanhydrit, der an mehreren Stellen die am 11.05.1983 diskutierte Zusammenfassung und Bewertung bestimmt, etwas weiter vom Zentrum der Betrachtung wegzurücken". Zum anderen sollte nachträglich eine Passage eingefügt werden, wonach aus Sicht der Fachleute "die noch zu erzielenden Ergebnisse und abzuleitenden Aussagen die Eignungshöffigkeit des Salzstocks voraussichtlich nicht in Frage stellen können".

Das Gutachten wurde auf diese Weise mehrfach umgeschrieben. Im endgültigen Text fehlte auch eine Passage, in der die PTB "vorsorgliche Erkundungsmaßnahmen an anderen Standorten (Standortvorsorge)" forderte. Diese Passage sei "nicht akzeptiert" worden, sagte der damalige zuständige PTB-Abteilungsleiter, Prof. Helmut Röthemeyer", der "Frankfurter Rundschau" (10.9.).

Der frühere Forschungsminister Riesenhuber bezeichnete es als "Unterstellung", das PTB-Gutachten sei politisch beeinflusst worden. Als Minister habe er immer die "Unabhängigkeit der Wissenschaft respektiert". Mit dem zitierten Fernschreiben habe das zuständige Fachreferat seines Ministeriums lediglich "zur Ressortabstimmung beigetragen".

Die neuen Enthüllungen zur Vorgeschichte des "Erkundungsbergwerks" Gorleben wurden kurz vor den Bundestagswahlen am 27. September bekannt, bei denen sich die SPD den Wählern als Garant des Atomausstiegs empfahl. Die von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel geschickt geführte Kampagne konnte indessen nicht die Schwachpunkte der Partei an anderen Stellen kompensieren. Nach ihrer schweren Wahlniederlage wird die SPD nun aus der Opposition verfolgen müssen, wie die neue Regierungsmehrheit aus Union und FDP die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert. Ferner ist mit einer beschleunigten Wiederaufnahme der Arbeiten zur Erkundung des Salzstocks Gorleben zu rechnen, die im Zusammenhang mit dem Kernenergie-Kompromiß im Juni 2000 auf die Dauer von maximal zehn Jahren ausgesetzt worden waren (000601). Mit Sicherheit wird in den anstehenden politischen Auseinandersetzungen auch die Vorgeschichte der Standortwahl Gorleben erneut zur Sprache kommen. Schon vor der Bundestagswahl forderten die Grünen und die Umweltorganisation Greenpeace die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durch den neugewählten Bundestag. Ein weiterer wunder Punkt der Kernenergiepolitik, den sich die Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke nicht entgehen lassen werden, sind die enormen Kosten für die Sanierung der Atommülldeponie Asse und die ebenfalls dubiose Vorgeschichte dieses ehemaligen "Forschungsprojekts" (090203).

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