Dezember 2009

091211

ENERGIE-CHRONIK


Nukem Technologies gehört jetzt dem russischen Nuklearkonzern

Die in Alzenau bei Hanau ansässige Nukem Technologies GmbH gehört jetzt dem russischen Kernkraftwerksbauer Atomstroyexport, der seinerseits eine Tochter des staatlichen Nuklearkonzerns Rosatom ist. Wie die Firma am 15. Dezember mitteilte, trat der Kaufvertrag nach Erfüllung der formalen Voraussetzungen rückwirkend zum 1. Januar 2009 in Kraft. Die Nukem Technologies ist auf die Stilllegung nuklearer Anlagen und die Handhabung der dabei anfallenden radioaktiven Abfälle spezialisiert. Sie ging Ende 2006 aus der ehemaligen RWE Nukem hervor, nachdem der RWE-Konzern dieses Nuklearunternehmen mit der gesamten Sparte "Solutions" an die amerikanische Beteiligungsgesellschaft Advent International verkauft hatte (060511). Der andere Teil des Nukem-Geschäfts – unter anderem der Handel mit Brennstoff für Leistungs- und Forschungsreaktoren sowie der Handel mit Isotopen – wurde in der Nukem GmbH weitergeführt. Der Kaufvertrag zwischen den US-Eignern und Atomstroyexport war bereits im August unterzeichnet worden.

Nukem war einmal die Keimzelle der deutschen Nuklearwirtschaft

Die Nukem (Nuklear-Chemie und -Metallurgie GmbH) ist eng mit der Geschichte der deutschen Nuklearwirtschaft verbunden. Sie war sogar einmal so etwas wie deren Keimzelle. Der Chemiekonzern Degussa, von dem sie 1960 gegründet wurde, hatte schon im "Dritten Reich" Uranoxid für die deutschen Atombomben-Pläne produziert. Nach dem Krieg gehörte er zu den ersten, die in der friedlichen Nutzung der Kernenergie ein vielversprechendes neues Geschäftsfeld erblickten. Allerdings war bis in die späten sechziger Jahre nie ganz sicher, ob diese friedliche Nutzung von damals einflußreichen Bonner Politikern wie Franz-Josef Strauß (CSU) nicht auch mit Blick auf eine eventuelle militärische Nutzung gesehen wurde.

Die Degussa siedelte die von ihr gegründete Nukem auf dem firmeneigenen Gelände in Wolfgang bei Hanau an, das heute dem Evonik-Konzern (070907) als Nachfolger der Degussa gehört. In der Folge entstand am selben Ort unter Beteiligung der Nukem ein ganzes Geflecht von Nuklearfirmen. Zu ihnen gehörten die Hochtemperatur-Brennelement GmbH Hobeg (1962), die Alpha-Chemie und Metallurgie GmbH Alkem (1963), die Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen GWK (1964), die Transnuklear GmbH (1966) und die Reaktor-Brennelement Gesellschaft RBG (1969), aus der 1974 die Reaktor-Brennelement-Union RBU hervorging. Auch an der Uran-Isotopen-Trennungs GmbH Uranit in Jülich (1968) und der deutschen Unananreicherungsanlage Urenco in Gronau (1979) war Nukem beteiligt. Wichtigste Partner von Nukem und dominierende Anteilseigner in diesem Firmengeflecht wurden der Siemens-Konzern und der Kernkraftwerksbetreiber RWE.

Die Gesellschafter des Nukem-Imperiums betrieben bis in die achtziger Jahre zielstrebig den Ausbau der Kernenergie und zudem den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft inklusive Wiederaufarbeitung und "Schnellen Brütern", die damals von der Nuklearlobby als Patentrezept zur Lösung aller Energieprobleme angepriesen wurden. Dabei verfügten die Firmen teilweise nicht einmal über die erforderlichen atomrechtlichen Genehmigungen. In den achtziger Jahren gerieten sie zudem durch etliche Störfälle in die Schlagzeilen.

Seit 1987 ging es mit dem Hanauer "Atomdorf" nur noch abwärts

Mit dem Skandal um die Nukem-Tochter Transnuklear bahnte sich 1987 das Ende des Hanauer "Atomdorfes" an. Um lukrative Aufträge für nukleare Transporte zu erhalten, waren Mitarbeiter von Energieversorgungsunternehmen bestochen worden. Außerdem waren Fässer mit Atommüll falsch deklariert und andere Vorschriften verletzt worden (910711). Die Nukem gehörte damals zu 45 Prozent RWE, zu 35 Prozent Degussa und zu jeweils 10 Prozent zwei anderen Unternehmen.

Unter zunehmenden Gegenwind durch die Anti-Kernkraft-Bewegung gingen 1988 die Nukem-Töchter Alkem und RBU ganz in den Besitz von Siemens über und firmierten fortan als Brennelementewerk Hanau. Die weitere Herstellung von Mox-Brennelementen im ehemaligen Werk der Alkem wurde im Juni 1991 untersagt (910606), sollte aber in einem neuen Betrieb wieder aufgenommen werden (920317). Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit der rot-grünen Landesregierung in Wiesbaden beschloß Siemens, die alte Alkem-Anlage zur Herstellung von plutoniumhaltigen Mischoxid-Brennelementen endgültig aufzugeben. Ausschlaggebend dafür war, daß die Kernkraftwerksbetreiber nicht länger bereit waren, einen großen Teil der Bereithaltungskosten zu übernehmen (940403). Kurz darauf beendete Siemens auch die Herstellung von Uran-Brennelementen (941205) und setzte 1995 einen weiteren Schlußpunkt mit dem Verzicht auf die Fertiggestellung der neuen Mischoxid-Anlage (950701). Zeitweise gab es Pläne, die fast fertige Anlage für die Verarbeitung russischen Waffen-Plutoniums zu verwenden (950509) oder sie nach Rußland zu exportieren (960412). Die rot-grüne Bundesregierung zeigte aber keine Bereitschaft, den Export zu genehmigen (000711). Auch aus dem Verkauf an China wurde nichts, da die Grünen eine Beschädigung ihres Images befürchteten (040407).

Nukem spielte auch eine bedeutende Rolle bei Solarzellen

Weniger bekannt ist, daß Nukem seit 1979 auch über eine Solarabteilung verfügte und eine bedeutende Rolle auf dem Gebiet der Photovoltaik spielte. Seit 1992 wurden im Werk Alzenau mono- und polykristalline Siliziumzellen des innovativen Typs MIS-I hergestellt. Inzwischen hatte sich die Degussa ganz aus der Nukem zurückgezogen und ihre Anteile RWE überlassen. 1994 entstand aus der Zusammenlegung der solartechnischen Aktivitäten von RWE und Daimler-Benz das Gemeinschaftsunternehmen "Angewandte Solarenergie - ASE GmbH" (940615). Zwei Jahre später zog sich Daimler-Benz zurück, wodurch die ASE zu einer hundertprozentigen Nukem-Tochter wurde. Mit anderen Teilen des Nukem-Geschäfts gelangte die ASE dann zum RWE-Geschäftsbereich Tessag (991111) und hieß fortan RWE Solar GmbH. Die RWE Solutions AG als Nachfolgerin der Tessag (010806) überließ im Oktober 2002 die Hälfte der Anteile dem Glasproduzenten Schott, weshalb die Gesellschaft fortan RWE Schott Solar hieß. Ende 2005 überließ RWE dem Partner Schott auch die andere Hälfte der Anteile und zog sich ganz aus der Herstellung von Photovoltaik-Anlagen zurück (050912).