Oktober 2010

101015

ENERGIE-CHRONIK


Hermann Scheer überraschend gestorben

Der Politiker Hermann Scheer ist am 14. Oktober im Alter von 66 Jahren überraschend gestorben. Todesursache war nach Angaben der Familie ein Herzversagen. Der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete und Träger des "Alternativen Nobelpreises" wurde vor allem als Präsident der Erneuerbare-Energien-Vereinigung "Eurosolar" bekannt, die er 1988 gründete und für die seine Ehefrau Irm Pontenagel bis heute als Geschäftsführerin fungiert.

Der zunehmenden Orientierungslosigkeit seiner Partei hat Scheer frühzeitig ein kategorisches "Zurück zur Politik" entgegengehalten. Mit dieser Ablehnung opportunistischer Anpassung an vermeintliche Sachzwänge und Nachgiebigkeit gegenüber Lobbyinteressen war er der Antityp zu Gerhard Schröder, unter dessen rot-grüner Regierung sich der Niedergang der SPD zur galoppierenden Schwindsucht beschleunigte. In seiner Partei galt er zwar als Außenseiter, aber als einer mit Ausstrahlung und publizistischer Hausmacht, auf den man nicht ohne weiteres verzichten konnte. Sein wohl größter politischer Erfolg war die Gründung der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (Irena), die Anfang 2009 zustande kam (090111). Mit einer herben Enttäuschung endete dagegen seine Kandidatur als hessischer Wirtschaftsminister (080115), weil der designierten Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti die Regierungsbildung nicht gelang – erst infolge von parteiinternen Grabenkämpfen und Abgrenzungsbeschlüssen, und dann infolge des Absturzes der SPD in der zweiten Runde der Landtagswahlen.

In den neunziger Jahren war Scheer ein hartnäckiger Mahner, der im Gegensatz zur Stromwirtschaft immer wieder die Notwendigkeit und Möglichkeit betonte, die erneuerbaren Energien zur tragenden Säule der Stromversorgung auszubauen (950802). Er hatte zweifellos recht, wenn er die damalige Blockade-Haltung attackierte. Nach Ansicht von Fachleuten gebrach es der "Eurosolar"-Propaganda allerdings oft an der notwendigen technischen und energiewirtschaftlichen Bodenhaftung. Es gab auch Kritik wegen allzu enger Verflechtung mit den wirtschaftlichen Interessen der Solarbranche (990526). Als es um notwendige Kürzungen der überhöhten Solarstromförderung ging, verhielt sich "Eurosolar" wie ein gewöhnlicher Lobbyverband der Photovoltaikindustrie (080507, 100105).

Mit dem Buch "Der energethische Imperativ" – der Titel ist von Wilhelm Ostwalds längst vergessener Schrift "Der energetische Imperativ" abgeleitet – hat Scheer so etwas wie ein publizistisches Vermächtnis hinterlassen. Es erschien soeben im Verlag Antje Kunstmann (272 Seiten, 19,90 Euro).