November 2011

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


 

Allein am 4. Oktober 2009 belief sich das Aufgeld, das die Netzbetreiber zwischen ein und sechs Uhr morgens dem verschenkten Strom noch hinterherwerfen mußten, auf über 14 Millionen Euro. Die so entstehenden Defizite werden neuerdings per EEG-Abrechnung auf die Stromverbraucher abgewälzt und haben die EEG-Umlage entsprechend erhöht. Mit dem von RWE propagierten "Ökoheizstab" soll der überschüssige Strom wenigstens in Wärme umgewandelt werden.

Die Wiederauferstehung der Nachtspeicherheizung

RWE hat eine famose Erfindung gemacht: Den "Ökoheizstab". Das Ding ergänzt die Mini-Blockheizkraftwerke, die der Konzern neuerdings für größere Wohnhäuser anbieten will (111108). Die von RWE gesteuerten Anlagen können dadurch von Stromerzeugung auf Stromverbrauch umgeschaltet werden. Der Ökoheizstab verbrät dann Strom zu Wärme, die gespeichert und eventuell sogar verwendet werden kann. Sein Name rührt daher, daß er angeblich nur überschüssigen Ökostrom verbraucht. Die Unterscheidung von normalem Strom scheint für den Heizstab kein Problem zu sein, zumal ja Ökostrom bekanntlich grün statt gelb ist. Vermutlich streikt er deshalb, wenn er Strom aus Kohle oder Kernenergie verbraten soll. Jedenfalls hat der Ökoheizstab nichts mit einem normalen Heizstab zu tun: Er ist von diesem so himmelweit entfernt wie Weihwasser von ganz profanem Wasser...

Um die Tragweite dieser Erfindung richtig einschätzen zu können, muß man sich nochmals die Preissprünge an der EEX vor Augen führen, nachdem die Netzbetreiber damit begannen, Windstrom über die Börse zu verkaufen: Beispielsweise bekam die EEX am 4. Oktober 2009 den Strom fünf Stunden lang nicht mal geschenkt los. Sie mußte sogar eine Prämie dafür zahlen, daß ihn überhaupt jemand abnahm. Wenn es eine Anlage zur Stromvernichtung gäbe, hätte deren Betreiber in diesen fünf Stunden mit Leichtigkeit 14 Millionen Euro verdienen können. Ähnliche Situationen gab es auch an anderen Tagen (091201).

Es handelte sich um Windstrom, der zur Unzeit anfiel. Da niemand den Strom brauchte und verwerten konnte, rutschte der Börsenpreis in den negativen Bereich und wurde zur Prämie für Stromvernichtung. Früher hätte das nicht passieren können, da es eine Absatzgarantie für Strom aus erneuerbaren Energien gab. Auf Drängen der Lobby hatte die Bundesregierung diese Absatzgarantie jedoch abgeschafft und durch ein neues Abrechnungsverfahren für den EEG-Ausgleich ersetzt, das die Stromversorger zu Lasten der Stromverbraucher begünstigte. Dadurch explodierte die EEG-Umlage, ohne daß den Betroffenen klar wurde, was die Gründe waren (101001). Bis heute glauben so gut wie alle Bundesbürger, daß es hauptsächlich die gestiegenen Einspeisungsvergütungen – vor allem die für Solarstrom – seien, die seit 2009 die Verdreifachung der EEG-Umlage bewirkt hätten.

In ähnlicher Weise haben Bundesregierung und Parlament neuerdings klammheimlich die großen Stromverbraucher von der Zahlung der Netzentgelte befreit, was die kleinen Verbraucher entsprechend stärker belastet, da sie nun auch die Netzentgelte für die Industrie mitbezahlen müssen (111004). Darin offenbart sich ein Grundzug der sogenannten liberalisierten Energiewirtschaft: Wenn es zum Konflikt zwischen Profitinteressen und notwendigen Kosten kommt, wird er allemal zugunsten der Gewinne gelöst, während der Verbraucher die Verluste zu tragen hat. Die sogenannte "Energiewende" verstärkt diesen Trend noch. Die Regierung und die meisten Bundestagsparteien sind sichtlich entschlossen, die Kosten dieser Wende einseitig auf die kleinen Stromverbraucher abzuwälzen.

Aber zurück zur Stromvernichtungsanlage, mit der man im Herbst 2009 mühelos Multimillionär geworden wäre: Vergleichsweise harmlos mutet da der "Ökoheizstab" an, mit dem RWE das zeitweilige Überangebot an Windstrom auffangen und in Wärme verwandeln möchte. Ideologisch werden die Marketing-Strategen das "Öko" sicher damit rechtfertigen wollen, daß der Heizstab lediglich Strom in Wärme verwandele, der ohnehin überflüssig und anderweitig nicht verwertbar sei. Der "Ökoheizstab" kann allerdings garantiert nicht unterscheiden, aus welchen Quellen er gespeist wird, und selbstverständlich wird er zu jeder Tageszeit einsatzbereit sein. Faktisch handelt es sich deshalb um nichts anderes als das alte Konzept der Nachtspeicherheizung, das in den fünfziger Jahren ebenfalls von RWE entwickelt wurde, um die Lastkurve zu glätten und auch in lastschwachen Zeiten die Stromerzeugung möglichst wenig zurückfahren zu müssen.

Als Vater der Nachtspeicherheizung gilt der RWE-Ingenieur Bernd Stoy, der zugleich ein Vorkämpfer der erneuerbaren Energien war. Das sollte in diesem Zusammenhang durchaus erwähnt werden, weil es in der Realität der Energiewirtschaft nicht ganz so simpel zugeht, wie sich das manche vorstellen. Stoy hat 1978 in einem RWE-nahen Verlag das Buch "Wunschenergie Sonne" veröffentlicht, das noch heute ein lesenswertes Kompendium der erneuerbaren Energien darstellt. Der "Bundesverband der Solarenergie", dem er vorsaß, war sicher eine von RWE und anderen industriellen Interessen geprägte Vereinigung. Unter den damaligen Verhältnissen zählte er aber zur Avantgarde. Stoy hat übrigens auch als Leiter der RWE-Energieabteilung einen Mann namens Werner Müller eingestellt, der damals als Lehrbeauftragter der Fachhochschule Ludwigshafen entlassen worden war, weil er gemeinsam mit dem kommunistischen Studentenbund Spartakus eine Pressekonferenz gegeben und die Mainzer Landesregierung kritisiert hatte. Der Mann machte später Karriere als Manager beim Veba-Konzern und wurde Bundeswirtschaftsminister.

Früher war es vor allem der nachts sinkende Stromverbrauch, der die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage bestimmte. Die Nachtspeicherheizungen halfen bei der Auffüllung der Lasttäler, indem sie die nachts mit Strom erzeugte Wärme speicherten und im Tagesverlauf wieder abgaben. Sie mußten nicht vom E-Werk gesteuert werden. Es genügten feste Ein- und Ausschaltzeiten sowie ein Zwei-Tarif-Zähler, damit der relativ hohe Strombedarf durch einen günstigeren Preis kompensiert werden konnte.

Heute können größere Diskrepanzen zu jeder Tageszeit auftreten – je nachdem, wie gerade der Wind weht oder die Sonne scheint. Da Angebot und Nachfrage stets im Gleichgewicht sein müssen, lassen sich solche Ungleichgewichte nur durch das Zurückfahren von Kraftwerkskapazitäten oder entsprechende Minderungen des Verbrauchs ausgleichen. Der "Ökoheizstab" unterscheidet sich in diesem Punkt von der alten Nachtspeicherheizung. Wie die Mini-Blockheizkraftwerke, zu denen er gehört, wird er von RWE gesteuert. Er kann also zu jeder beliebigen Tageszeit eingesetzt werden, um ein auftretendes Überangebot an Strom zu kappen. Natürlich bewirkt ein einzelner Heizstab da wenig. Je mehr solcher Anlagen aber gebündelt und zentral gesteuert werden, um so größer ist der Effekt.

Inzwischen ist die Nachtspeicherheizung arg in Verruf geraten, weil ihr unterstellt wird, sie diene allein dem Stromabsatz und dem ungebremsten Betrieb von Kohle- und Atomkraftwerken. Schon 1997 wollte der Hamburger Senat den Neuanschluß von elektrischen Direkt- und Nachtspeicherheizungen verbieten (970111). Die rot-grüne Bundesregierung beschnitt ab 2003 die bislang gewährten Ermäßigungen bei der Stromsteuer und beseitigte sie ab 2077 gänzlich (021102). Die schwarz-rote Bundesregierung ließ sogar ein Energieeinsparungsgesetz beschließen, das ein generelles Verbot von Nachtspeicherheizungen ermöglicht (081212). Zusätzlich benachteiligt wurden Nutzer von Nachtspeicherheizungen durch die Liberalisierung des Strommarktes, da sie mangels Konkurrenz an den örtlichen Nachtstrom-Anbieter gebunden bleiben und auch beim Normaltarif nicht zu einem günstigeren Anbieter wechseln können (031114).

Die solchermaßen für vogelfrei erklärte Nachtspeicherheizung erlebt nun also ihre Wiederauferstehung im "Ökoheizstab". Und es sieht ganz danach aus, als ob auf die verbale Schönfärberei bald verzichtet werden könne. So warnte die Monopolkommission in ihrem jüngsten Sondergutachten ausdrücklich vor dem Ausstieg aus der Nachtspeicherheizung, den die Bundesregierug bis 2020 verwirklichen möchte (110907). Zu stark sind die Probleme, die sich aus der fluktuierenden Einspeisung von Windkraft- und Solarstromanlagen ergeben. Mangels ausreichender Speicherkapazitäten für Strom will man generell das "Demand-Side-Management" vorantreiben. Auf Deutsch bedeutet das nichts anderes, als daß die Verbraucher gefälligst ihren Verbrauch dem jeweiligen Stromangebot anpassen sollen.

In der bisherigen Stromwirtschaft ist es der Verbrauch, der das Marschtempo vorgibt, und die Kraftwerkskapazitäten müssen ihm folgen. Das geschieht durch ein abgestuftes System der Regelung, das von der "rotierenden Reserve" in den Großkraftwerken über die "Sekundärregelung" bis zur "Minutenreserve" reicht (siehe ENERGIE-WISSEN). Eine unverzichtbare Rolle spielen dabei die Pumpspeicher-Kraftwerke, die überschüssigen Strom als kinetische Energie speichern und diese in Sekundenschnelle wieder in Strom umwandeln können (siehe ENERGIE-WISSEN).

Der Ausbau solcher Speicher-Kapazitäten wurde jedoch in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt, da die liberalisierte Stromwirtschaft keine entsprechenden Anreize bereithält (siehe Hintergrund). Es gibt in Deutschland ohnehin wenig Möglichkeiten, neue Pumpspeicherkraftwerke anzulegen. Im Norden fehlt es bereits an den topographischen Voraussetzungen. Eine Alternative wie das Druckluftspeicher-Kraftwerk (siehe Hintergrund) ist mit Nachteilen behaftet und ebenfalls nur sehr beschränkt realisierbar. Alles andere – von der Umwandlung des Stroms in Wasserstoff (111020) bis hin zu "Energiekonserven" in Form von Schwungrädern und Supraleitung (940617) – ist zwar altbekannt, aber großtechnisch noch immer nicht einsetzbar. Eine interessante Perspektive böte immerhin die Methanisierung oder Direkteinspeisung von solar erzeugtem Wasserstoff ins Erdgasnetz (111113). Einfacher zu verwirklichen ist der Einsatz von schnell regelbaren Gaskraftwerken, um die fluktuierende Einspeisung aus Wind- und Solarstrom abzupuffern (111104). Alle Lösungen zur Bereitstellung von negativer oder positiver Regelenergie gehen aber in die Netzkosten ein und müssen von den Stromverbrauchern bezahlt werden.

Wenn in dieser Situation der RWE-Konzern mit dem "Ökoheizstab" aufwartet, ist das der schlecht getarnte Versuch, den mangelnden Ausbau der Speicherkapazitäten zu kaschieren und durch Erhöhung des Stromverbrauchs auf der Verbraucherseite zu kompensieren. Man versteht nun auch, weshalb die Stromkonzerne so beharrlich auf ein "intelligentes Stromnetz" drängen. Es wäre nämlich die Voraussetzung dafür, daß sich der Einsatz solcher stromintensiver Verbraucher künftig zentral steuern und zu einem Faktor bündeln läßt, der die Lastkurve beeinflußt. Denselben Zweck erfüllt natürlich auch die ferngesteuerte Abschaltung von großen Stromverbrauchern – etwa Heizungen oder Kühlanlagen – falls das Angebot geringer als die Nachfrage ist.

Das PR-Geschwätz vom "intelligenten Netz" verdeckt dabei nur, daß es für die Verbraucher sehr ungemütlich wird. Letztlich mutet man Ihnen ein Rückfall in die Anfänge der Stromversorgung zu, als das Licht flackerte, wenn die Wasserführung an der zum Elektrizitätswerk umgebauten Dorfmühle nicht ausreichte. Das Licht wird zwar wohl kaum ausgehen, zumal die EU ihren Bürgern inzwischen zumutet, ihre Abende beim fahlen Schein von sogenannten Energiesparlampen zu verbringen (101216). Es wird aber Prämien für die situationsbedingte Reduzierung des Gesamtverbrauchs an Strom geben, an dem das Licht sowieso nur einen geringen Anteil hat.

Im Lichte einer Energiesparlampe betrachtet – das heißt, wenn man den sogenannten liberalisierten Strommarkt als irreversibel ansieht – , ist der "Ökoheizstab" von RWE aber noch immer das kleinere Übel gegenüber einer richtigen Stromvernichtungsmaschine, wie sie sich etwa durch einen ausgedienten Aluminium-Schmelzofen realisieren ließe. Falls die vom "Ökoheizstab" erzeugte Wärme tatsächlich verwertet werden kann, sind die Umwandlungsverluste jedenfalls geringer, als wenn man etwa den Weg über die Elektrolyse beschreiten würde.

Überhaupt ist die die Umwandlung von Strom zu Wärme – landläufigem Vorurteil zum Trotz – äußerst effizient. Nennenswerte Verluste treten lediglich bei der Umwandlung von Wärme zu Strom auf, weil Strom eine hochwertigere Form von Energie darstellt. Es ist deshalb sinnvoller, die fossilen Brennstoffe Kohle, Gas und Öl gleich in der minderwertigen Form von Wärme zu nutzen, anstatt sie zu Strom zu veredeln, der dann wiederum zu Wärme wird.

Aber auch das gilt nur eingeschränkt: Wenn Strom im Überfluß vorhanden ist und auch das Klima nicht belastet, wie etwa in Norwegen mit seinen Wasserkraftwerken, ist die Elektroheizung die nächstliegende Lösung. Es gibt jedenfalls keinen Grund, die Elektroheizung an sich zu verteufeln, wie dies in der umweltpolitischen Diskussion zum guten Ton gehört. Strom bleibt nun mal die unversalste und umweltfreundlichste aller Energien, sofern er umweltfreundlich erzeugt wird.