Januar 2013

130106

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Das Gaspipeline-Projekt "Nabucco" wurde inzwischen auf ein Drittel der ursprünglich geplanten Länge reduziert und heißt jetzt "Nabucco-West" (grün). Stattdessen soll die Pipeline Tanap (blau) den Gastransport vom Kaspischen Meer durch die Türkei übernehmen. Wie es nördlich der Dardanellen aussieht, bleibt abzuwarten, denn neben "Nabucco-West" bewirbt sich auch das Konsortium TAP (violett) um den Weitertransport nach Europa. Ein Verzicht auf "Nabucco-West" würde sicher die russische Gazprom erfreuen, die mit "South Stream" (rot) ihr eigenes Projekt zur Versorgung Westeuropas über den Balkan betreibt.

"Nabucco West" und "TAP" konkurrieren um den Gastransport nach Europa

Das Konsortium zur Erschließung des Erdgasfelds Shah Deniz II in Aserbaidschan will bis Ende Juni entscheiden, ob es für den Gastransport nach Europa das abgespeckte Projekt "Nabucco-West" über den Balkan oder das konkurrierende Vorhaben der "Trans Adriatic Pipeline" (TAP) durchs Mittelmeer nach Italien bevorzugt. In beiden Fällen hätte es die Möglichkeit, bis zur Hälfte der Aktien zu übernehmen. Am 18. Januar unterzeichneten Vertreter des Konsortiums und der Nabucco-Gesellschaft entsprechende Verträge in Wien. Am 22. Januar folgte die Unterzeichnung eines ähnlichen Abkommens mit den TAP-Gesellschaftern.

Unabhängig davon, ob die Entscheidung zugunsten von Nabucco West oder TAP ausfällt, wird der Gastransport durch die Türkei über die modernisierte "Transanatolische Pipeline" (Tanap) erfolgen, die den ursprünglich geplanten Ostabschnitt von "Nabucco" ersetzt (120402). Nach Überquerung der Dardanellen würde die Tanap entweder eine Verbindung nach Bulgarien zu "Nabucco-West" oder nach Griechenland zur TAP bekommen (siehe Karte). Der Ausbau der Tanap soll bis spätestens 2018 abgeschlossen sein.

Trotz Rückenwind aus Brüssel war "Nabucco" in der geplanten Form nicht zu verwirklichen

Zunächst war geplant gewesen, die Nabucco-Pipeline über insgesamt 3900 Kilometer von Österreich durch den Balkan und die Türkei bis zum Kaspischen Meer zu führen. Sie sollte es ermöglichen, Erdgas aus den früheren Sowjetrepubliken Georgien, Turkmenien und Aserbaidschan, dem Iran und anderen Nahostländern nach den Ländern der Europäischen Union zu transportieren. Das Projekt wurde von der EU-Kommission unterstützt, um die Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen und Pipelines zu verringern (060605). Es zeigte sich aber schon bald, daß der Rückenwind aus Brüssel nicht ausreichte, zumal Rußland eine geschickte Strategie betrieb, um "Nabucco" zu torpedieren. Schon 2007 beteiligte sich der italienische Staatskonzern ENI am russischen Konkurrenz-Projekt South-Stream, das vor allem die Rentabilität von Nabucco untergraben soll (070612). Auch niederländische und französische Energiekonzerne ließen sich in die Gasstrategie des Kreml einbinden (100601). Die BASF-Tochter Wintershall trat ebenfalls dem South-Stream-Konsortium bei (110309). Seit Anfang 2009 lautete die offizielle Sprachregelung der EU-Kommission, daß alle Pipeline-Projekte zu begrüßen seien, die zu einer "Diversifizierung" der Gasversorgung führen würden (090402).

Zu den divergierenden Interessen der beteiligten Energiekonzerne und Staaten kamen erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der potentiellen Lieferländer, die von der EU ohne sonderlichen Erfolg umworben wurden (090501). Auch der RWE-Konzern mußte nach seinem Beitritt zum Nabucco-Konsortium (080206) feststellen, daß es sehr schwer ist, eine solche Beteiligung mit sicheren Gaslieferverträgen zu unterfüttern. Nach anfänglichen Dementis (100909) erwog er seit etwa einem Jahr definitiv den Ausstieg aus dem Projekt (120509). Zuletzt verhandelte er mit Österreichs OMV über die Abgabe seiner Beteiligung.

Mit "Nabucco-West" soll wenigstens das Teilstück von Bulgarien bis Österreich gerettet werden

Unter diesen Umständen fiel dem Shah-Deniz-Konsortium, das sich die Ausbeutung des gleichnamigen Gasfelds im Kaspischen Meer mit Unterstützung der aserbaidschanischen Regierung sichern konnte, eine Schlüsselrolle zu. BP und Statoil sind zwar auch an der Umgehung Rußlands interessiert. Im übrigen kann es ihnen aber egal sein, auf welchem Wege das Gas zu den Abnehmern gelangt. Da Auslastung, Rentabilität und Realisierung des Großprojekts Nabucco weiterhin fraglich blieben, war es für das Konsortium Shah Deniz II ein naheliegender Gedanke, sich der bestehenden "Transanatolischen Pipeline" (Tanap) zu bedienen. Auch der Ausbau und die Modernisierung dieser Trasse kommen sicher billiger als ein kompletter Neubau.

Als Fortsetzung auf europäischem Gebiet bot sich das das TAP-Projekt der norwegischen Statoil und der schweizerischen EGL/Axpo an. Es war von Anfang an dafür gedacht, Gas aus dem kaspischen Raum über die bestehende Tanap nach Italien zu transportieren. Ersatzweise hätte die TAP auch als Abzweigung von einem der beiden konkurrierenden Großprojekten Nabucco und South Stream dienen können (100511).

Unter diesen Umständen sah sich das Nabucco-Konsortium im Frühjahr 2012 gezwungen, das Projekt in seiner ursprünglich geplanten Form aufzugeben. Die geplante Trassenführung wurde um zwei Drittel gekürzt. Nur so war es möglich, in der Konkurrenz mit TAP weiterhin im Rennen zu bleiben (120402). Das Shah-Deniz-Konsortium erkor daraufhin Nabucco-West zur bevorzugten Pipelineroute nach "Zentraleuropa" (120607), was freilich das nach Südeuropa führende TAP-Projekt keineswegs ausschließt. Ob es tatsächlich gelingt, mit der Schrumpf-Version "Nabucco-West" wenigstens das Teilstück zwischen der bulgarisch-türkischen Grenze und Österreich zu retten, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Statoil ist sowohl am Shah-Deniz-Konsortium als auch an TAP maßgeblich beteiligt

Führende Anteilseigner des Konsortiums Shah Deniz II sind mit jeweils 25,5 Prozent die Konzerne BP und Statoil. Die restlichen Anteile halten das aserbaidschanische Staatsunternehmen Socar, der französische Konzern Total, die russische Lukoil, die iranische NIOC und die türkische TPAO. Der norwegische Staatskonzern Statoil ist mit 42,4 Prozent zugleich im TAP-Projekt engagiert, an dem außerdem die schweizerische Axpo mit 42,5 Prozent und E.ON Ruhrgas mit 15 Prozent beteiligt sind (100511). An "Nabucco" ist dagegen kein Mitglied des Shah-Deniz-Konsortiums beteiligt. Anteilseigner dieses Projekts sind mit jeweils 17,4 Prozent OMV (Österreich), FGSZ (Ungarn), Transgaz (Rumänien), Bulgarian Energy Holding (Bulgarien), Botas (Türkei) und RWE (Deutschland).

Links (intern)