Januar 2013

130112

ENERGIE-CHRONIK


Landgericht Berlin untersagt Flexstrom irreführende Bonus-Klausel

Das Landgericht Berlin hat dem Internet-Stromanbieter Flexstrom untersagt, sich weiterhin auf eine Bonus-Klausel in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berufen, die bei Kunden den Eindruck erweckt, sie könnten den versprochenen Bonus bereits bei Kündigung des Vertrags zum Ende des ersten Lieferjahres erhalten. Die 16. Zivilkammer gab damit einer Klage der Verbraucherzentrale Berlin statt, die zuvor den ebenfalls in Berlin ansässigen Stromanbieter vergeblich abgemahnt hatte. "Die beanstandete Klausel erweist sich als intransparent und benachteiligt dadurch die Vertragspartner entgegen Treu und Glauben", stellte das Gericht fest.

Wie sich dem Urteil weiter entnehmen läßt, hat Flexstrom Neukunden einen in der Höhe variablen "Aktionsbonus" versprochen, der nach zwölf Monaten erstattet werden soll. Wenn sie aber den Vertrag zum Ablauf der Mindestvertragsdauer kündigten, wurde ihnen die Auszahlung der Gutschrift unter Berufung auf einen Passus der Allgemeinen Geschäftsbedingungen verweigert, der zunächst so lautete:

"Der Bonus entfällt bei Kündigung innerhalb des ersten Belieferungsjahres, es sei denn, die Kündigung wird erst nach Ablauf des ersten Belieferungsjahres wirksam."

Nachdem Flexstrom am 29. Juni 2011 gegenüber dem Bundesverband Verbraucherzentralen e.V. auf dessen Abmahnung hin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben mußte, wurde diesem Passus noch ein Halbsatz angefügt:

"Der Bonus entfällt bei Kündigung innerhalb des ersten Belieferungsjahres, es sei denn, die Kündigung wird erst nach Ablauf des 1. Belieferungsjahres wirksam, d.h. es wird kein Bonus gewährt, wenn der Vertrag vor oder zum Ablauf des ersten Belieferungsjahres beendet wird."

Die Verbraucherzentrale Berlin hielt beide Formulierungen für nicht hinreichend transparent und sah in ihnen eine Benachteiligung der Kunden, weil der Eindruck erweckt werde, die Voraussetzung für die Bonus-Zahlung sei auch bei Kündigung zum Ablauf der Mindestvertragszeit erfüllt. Dieser Ansicht folgte auch das Landgericht in der jetzt ergangenen Entscheidung: Selbst für einen "aufmerksamen Verbraucher" seien die Formulierungen "zumindest mißverständlich".

Andere Kammern desselben Gerichts hielten die Bonus-Klausel bisher für zulässig

Ähnlich entschied schon vor einem Jahr das Landgericht Heidelberg, das Flexstrom sogar "versuchte Bauernfängerei" bescheinigte (111211). Das Urteil der 16. Zivilkammer des Berliner Landgerichts ist aber insofern besonders bemerkenswert, als der Stromanbieter seine dubiosen Bonus-Versprechungen bisher mit vier Urteilen von zwei anderen Kammern desselben Gerichts rechtfertigen konnte, die anderslautende Entscheidungen von Berliner Amtsgerichten aufgehoben hatten. Zur Abschreckung von klagebereiten Kunden konnte er außerdem auf nicht weniger als 46 Urteile von bundesdeutschen Amtsgerichten verweisen, die seine Bonus-Klausel für rechtens hielten. Da Flexstrom eine Flut von Prozessen mit sich geprellt fühlenden Kunden geführt hat, ist diese Zahl allerdings nicht so eindrucksvoll, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag: Die für ihn negativen Urteile hat der Stromanbieter natürlich nicht veröffentlicht.

Flexstrom verwendet die vom Berliner Landgericht beanstandete Bonus-Klausel eigenen Angaben zufolge nicht mehr. Auf der Internet-Seite des Unternehmens war Ende Januar jedoch eine abgewandelte Formulierung zu lesen, die ebenso mißverständlich sein dürfte:

"Der Bonus entfällt im Fall der Kündigung innerhalb des ersten Belieferungsjahres, es sei denn, die Kündigung wird erst mit oder nach Ablauf des 1. Belieferungsjahres wirksam. Dies bedeutet, daß Ihnen Flexstrom den Bonus bei diesem Tarif gewährt, wenn Sie 12 Monate lang beliefert werden."

Geschäftsmodell bringt nur Gewinn, wenn der Kunde länger als ein Jahr gebunden werden kann

Wenn Flexstrom den Kunden unmißverständlich klar machen würde, daß der versprochene Bonus nur bei einer längeren Vertragszeit gilt und der effektiv zu zahlende Strompreis dadurch erheblich höher ausfällt, geriete wohl ein Geschäftsmodell ins Wanken, das der Energieexperte Andreas Stender von der Unternehmensberatung A.T. Kearney in der ZDF-Sendung "frontal" am 22. Januar folgendermaßen beschrieb:

"Mit diesem Discountpreis bewegt sich der Anbieter auf sehr dünnem Eis. Wenn der Kunde nach dem ersten Jahr geht, hat er einen hohen Verlust gemacht, wenn der Kunde bleibt, allerdings einen Gewinn. Es ist ein riskantes Geschäftsmodell, was davon abhängt, wie lange der Kunde bleibt und wie intensiv der Kunde sich mit dem Produkt beschäftigt."

"Mehr als 40 Stadtwerke haben offene Forderungen an Flexstrom"

In derselben Sendung berichtete der Rechtsanwalt Lutz Freiherr von Hirschberg, daß Flexstrom den von ihm vertretenen Stadtwerken zahlreiche Rechnungen nicht bezahlt habe. Wenn dies so bleibe, werde er seinen Mandanten dringend empfehlen, die weitere Netznutzung zu verweigern:

"Die Flexstrom hat mit Sicherheit, meiner Meinung nach, erhebliche Zahlungsprobleme. Denn wenn bei 83 Stadtwerken mehr als 40 Stadtwerke offene Forderungen momentan haben und auch über viele Monate bei manchen Stadtwerken gar keine Zahlungen eingegangen sind, trotz Mahnung, dann kann etwas mit der Liquidität nicht stimmen."

Flexstrom-Sprecher Dirk Hempel versuchte den Zahlungsverzug damit zu erklären, daß die Rechnungen der Stadtwerke erst eingehend geprüft werden müßten. Der Verdacht mangelnder Liquidität werde durch die Millionengewinne entkräftet, die das Unternehmen ausweislich seiner Geschäftsberichte erwirtschafte.

Die jüngst genannten Zahlen überzeugen freilich nicht jeden. Wie das "Handelsblatt" (11.11.) dazu anmerkte, handelt es sich zum Großteil um "reine Buchgewinne". So seien allein vier Millionen des für das erste Halbjahr 2012 ausgewiesenen Jahresüberschusses von 5,9 Millionen Euro durch eine höhere Bewertung von "Optimal Grün" entstanden, obwohl dieses Tochterunternehmen ein Drittel seiner Kunden verloren habe und nach wie vor defizitär arbeite.

Fortbestand des Unternehmens ist vom Neukunden-Zustrom abhängig

Im November hatte Flexstrom den Versuch unternommen, über eine Anleihe frisches Kapital in Höhe von 35 Millionen Euro einzusammeln. Aufgrund der Berichterstattung des "Handelsblatts" und anderer Medien wurde die Anleihe aber schnell wieder abgesagt (121117). Im Anlegerprospekt hatte das Unternehmen den potentiellen Anlegern pflichtgemäß die möglichen Risiken beschreiben müssen, die ihnen durch die Anleihe drohen könnten. Besonders interessant war dabei folgende Passage:

"Sobald das Wachstum des Umsatzes von Flexstrom nicht mehr allein durch den Zuwachs an Neukunden getrieben wird, besteht das Risiko, dass sich das bisherige Geschäftsmodell entgegen den bisherigen Erwartungen der Emittentin als nicht profitabel erweist und die Emittentin das Geschäftsmodell auch nicht erfolgreich anpassen kann. Dies hätte erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage und könnte den weiteren Fortbestand von Flexstrom gefährden."

Das hier beschriebene Risiko scheint erheblich zu sein. Wie das ZDF-Magazin "frontal" (22.1.) demselben Anlegerprospekt entnahm, hat Flexstrom 2011 zwar 370.000 Neukunden gewonnen, aber im selben Zeitraum 240.000 Bestandskunden verloren. Laut "Handelsblatt" (26.11.) konnte der Rückgang im Stammgeschäft mit Billigstrom und bei der neu erworbenen Marke "Optimal Grün" nur durch 50.000 neue Kunden der frisch gegründeten Ökostrom-Marke "Löwenzahn" ausgeglichen werden. Insgesamt sei die Kundenzahl nur noch leicht von 562.000 auf 570.000 gestiegen.

Stadtwerke Wuppertal kündigten Flexstrom-Töchtern fristlos die Netznutzung

Am 24. Januar berichtete das "Handelsblatt", daß die Netztochter der Stadtwerke Wuppertal die Lieferantenrahmenverträge mit den Flexstrom-Töchtern Löwenzahn Energie und Optimal Grün fristlos gekündigt und ihnen die Netznutzung zum 18. Januar entzogen habe. Die Sperrung des Netzzugangs sei erfolgt, nachdem die säumigen Netzkunden auf ein letztes Angebot, das die Umstellung auf Vorkasse vorsah, nicht reagiert hatten. "Wir haben uns das Treiben lang genug angesehen", zitierte das Blatt einen Sprecher der Stadtwerke Wuppertal. "Mal kamen die Zahlungen, mal nicht, selten pünktlich."

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