Mai 2013

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


 

E.ON ließ den DAX schon ab 2001deutlich hinter sich, während bei RWE die Abkopplung 2004 einsetzte. Ende 2007/Anfang 2008 erreichten die Börsenwerte beider Unternehmen ihren Höchststand, um dann – wiederum mit gebührendem Abstand – dem Absinken des DAX zu folgen. Seit Frühjahr 2010 entwickelten sich die Aktienkurse beider Konzerne aber gegenläufig zum DAX. Inzwischen notiert der DAX um 70 Prozent höher als im März 1999. Die E.ON-Aktie hat dagegen im selben Vergleichszeitraum gut 8 Prozent eingebüßt, und die RWE-Aktie ist sogar um 29 Prozent abgesackt. Bemerkenswert ist dabei, daß diese gegenläufige Entwicklung bereits im Frühjahr 2010 einsetzte, also bereits vor der "Energiewende".



Die einstigen DAX-Zugpferde E.ON und RWE sind lahm geworden

(zu 130502)

Der Kurswert einer Aktiengesellschaft und der tatsächliche Wert des Unternehmens sind zwei Paar Schuhe. Überaus deutlich wurde das durch die sogenannte Dotcom-Blase, die vor vierzehn Jahren den Kurswert irgendwelcher Internet-Klitschen ins Gigantische aufblähte. Im Vergleich mit der Börsenkapitalisierung dieser Scheinriesen schrumpften sogar solide Industrieunternehmen mit Tausenden von Beschäftigten zu Zwergen – bis die Blase platzte und der Höhenflug an der Börse mit einer Bruchlandung auf dem Boden der Realität endete.

Generell darf der Wert der Börsenkapitalisierung nicht mit tatsächlich verfügbarem Kapital verwechselt werden. Im Einzelfall mag es dem Aktienbesitzer zwar gelingen, die Fiktion des Börsenwerts in bares Geld zu verwandeln. Sobald aber eine größere Anzahl von Aktionären auf dieselbe Idee kommt, schrumpft der Börsenwert sehr schnell oder bricht sogar wie eine Seifenblase in sich zusammen.

Trotz solcher Einschränkungen lohnt ein Blick auf die Entwicklung der Aktienkurse der beiden größten deutschen Energiekonzerne RWE und E.ON. Im langfristigen Vergleich stellt sich dabei heraus, daß bei beiden Unternehmen die Aktie inzwischen weniger wert ist als vor 15 Jahren, als die "Liberalisierung" des Energiemarktes begann.

Außerdem lohnt ein Vergleich mit der Entwicklung des "Deutschen Aktien-Index" (DAX), der die dreißig größten und umsatzstärksten deutschen Unternehmen umfaßt, die an der Frankfurter Börse gehandelt werden. RWE war seit jeher in diesem exklusiven Aktienindex gelistet, der 1988 eingeführt wurde, und auch E.ON war durch die beiden Vorläufer-Konzerne Veba und Viag von Anfang an darin vertreten. Beide Konzerne gehörten lange Zeit zu den Zugpferden des DAX, deren Kurse deutlich über dem Durchschnitt lagen. Inzwischen sind aus den Zugpferden aber – um im Bilde zu bleiben – lahme Gäule geworden, die deutlich hinter dem Mittelfeld zurückbleiben.

Betrachten wir zunächst die Entwicklung der RWE-Aktie über einen Zeitraum von insgesamt zwanzig Jahren:

Wie man sieht, dümpelte der Kurs der RWE-Aktie Anfang der neunziger Jahre bei knapp 40 D-Mark bzw. 20 Euro. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts ging es dann kontinuierlich aufwärts, und bis Mitte 1998 erreichte der Kurs einen ersten Höchststand von 56 Euro. Anschließend pendelte er um die 40 Euro, bevor er 2002 bis auf 18 Euro abstürzte. Ende 2003 ging es dann aber wieder aufwärts, und im Januar 2008 wurde mit bis zu 100 Euro erneut ein absoluter Höchststand erreicht. Seitdem ging es aber wieder bergab, bis auf etwa 27 Euro im Mai dieses Jahres. Das war weniger als die Hälfte des Börsenwerts, den die Aktie 1998 bei Beginn der Liberalisierung erreicht hatte, und entsprach ungefähr dem Kurs am Jahresende 1993.

Wie RWE im jüngsten Vierteljahresbericht mitteilte, hat sich allein von 2008 bis 2012 die Börsenkapitalisierung des Konzerns fast halbiert: Von 35,4 auf 19,1 Milliarden Euro 2012 (jeweils zum Jahresende). Das ist ein Rückgang um 46 Prozent, obwohl gleichzeitig die Zahl der im Umlauf befindlichen Aktien um 14 Prozent zunahm (von 538.364 auf 614.480 Stück).

Nicht viel anders verlief die Entwicklung der E.ON-Aktie, wenn man von 1993 bis 2000 ersatzweise die beiden Vorläufer-Konzerne Veba und Viag heranzieht:

Vor zwanzig Jahren erzielten die beiden E.ON-Vorläufer Veba und Viag einen Wert von etwa 6 Euro pro Aktie, der bis März 1998 auf 22 Euro anstieg, um in den folgenden fünf Jahren - nun als E.ON-Aktie - auf etwa 12 Euro abzusinken. Auch hier ging es Ende 2003 wieder aufwärts, bis Ende 2007 der absolute Höhepunkt mit 48 Euro erreicht wurde. Ebenso folgte dann – mit einem kleinen "Zwischenhoch" in den Jahren 2009/2010 wie bei RWE – der kontinuierliche Abstieg. Im Mai 2013 lag der E.ON-Kurs nur noch bei etwa 13 Euro. Das war ebenfalls weniger als zu Beginn der Liberalisierung und entsprach der Notierung der Vorläufer-Papiere im Jahre 1996.

Auf dem Höhepunkt am Jahresende 2007 erreichte E.ON eine Börsenkapitalisierung von 92 Milliarden Euro, die allerdings schon im folgenden Jahr auf 54,2 Milliarden zurückging und bis 2012 auf 26,9 Milliarden schrumpfte. Der Absturz war damit noch ein bißchen heftiger als bei RWE. Kein Wunder, daß der norwegische E.ON-Großaktionär Statkraft die Freude an seiner Beteiligung verlor, die er 2008 im Wege eines Tauschgeschäfts erworben hatte: Anfang dieses Monats teilte er mit, daß er sämtliche 83,4 Millionen Aktien für rund 1,1 Milliarden Euro verkauft habe (130502).

Daß eine RWE-Aktie immer deutlich mehr kostete als eine E.ON-Aktie, sollte nicht irritieren oder gar zu falschen Schlüssen verleiten: Die Börsenkapitalisierung ergibt sich erst aus der Multiplikation des Aktienwerts mit der Zahl der im Umlauf befindlichen Aktien. Und diese Zahl ist bei E.ON weit größer. Deshalb erreichte RWE beispielsweise 2003 nur gut die Hälfte des Börsenwerts des E.ON-Konzerns, der einen fünfmal höheren Überschuß vorweisen konnte, obwohl sein Umsatz nur um acht Prozent höher war. Das schlug sich auch in der Dividende pro Aktie nieder, die bei E.ON mit 7,11 Euro viermal höher war als bei RWE mit 1,69 Euro. Als Arbeitgeber war RWE hingegen mit einer Gesamtzahl von 127.000 Beschäftigten fast doppelt so bedeutend wie E.ON mit 66.500 Beschäftigten (040715).

Da beide Konzerne eine durchaus eigenständige Geschäftspolitik verfolgten, nimmt die starke Übereinstimmung der langfristigen Kursentwicklung schon etwas wunder. Offenbar waren es nicht so sehr einzelne Entscheidungen der Konzernführungen, die den Kurs positiv oder negativ beeinflußten, sondern andere Faktoren. Sogar krasse Fehlentscheidungen wie der Einstieg von RWE ins britische und US-amerikanische Wassergeschäft (000907, 010905) oder der Milliardenverlust, den E.ON mit Erwerbungen in Spanien, Italien und Frankreich machte (101009) änderten nichts am langfristig ähnlichen Verlauf der Börsennotierungen beider Konzerne. Dasselbe gilt für eher erfolgreiche Coups wie die Einverleibung von VEW durch RWE (000208) oder die Übernahme der Ruhrgas durch E.ON (030101). Solche Vorgänge hatten zwar sicher Einfluß auf die tagesaktuellen Notierungen. An der ähnlichen Grundtendenz beider Kurven änderten sie aber nichts.

Des Rätsels Lösung sind die satten Gewinne aus der Stromproduktion, die die vier Großstromerzeuger viele Jahre lang einstreichen konnten, weil sie sich keine Konkurrenz machten und es auch sonst keine echten Wettbewerber gab. Eine kritische Studie bezifferte beispielsweise den 2009 effektiv erwirtschafteten Konzerngewinn für E.ON mit 13,8 und für RWE mit 7,3 Milliarden Euro (101003). Bei solchem Überfluß konnten selbst grobe Management-Fehler leicht ausgebügelt und die Schäden sozusagen aus der Portokasse beglichen werden. Und auch die Börse interessierte eigentlich nur, was unterm Strich herauskam.

Im übrigen folgte die Kursentwicklung – wenn auch auf besonders hohem Niveau – dem allgemeinen Geschäftsklima. Dies zeigt Grafik 1, die die Börsennotierung der beiden Konzerne mit der Entwicklung des DAX vergleicht. Ausgangspunkt des Vergleichs ist jeweils März 1999. Zunächst fällt allerdings auf, daß es um das Jahr 2000 herum eine gegenläufige Entwicklung zum DAX gab. Sie läßt sich wohl mit jener kurzen Phase erklären, in der zwischen den Stromkonzernen tatsächlich Preiswettbewerb mit entsprechend verringerten Erträgen herrschte (siehe Grafik 091103). Schon bald folgte aber jenes "wettbewerbslose Oligopol", das die Monopolkommission in ihrem 15. Hauptgutachten beklagte (040701). Daraufhin stiegen bei beiden Konzernen die Kurse nicht nur im Einklang mit dem DAX, sondern noch bedeutend schneller. E.ON ließ den Durchschnittswert schon ab 2001deutlich hinter sich, während bei RWE die Abkopplung nach oben 2004 einsetzte. Ende 2007/Anfang 2008 erreichten die Börsenwerte beider Unternehmen ihren Höchststand, um dann – wiederum mit gebührendem Abstand – dem Absinken des DAX zu folgen.

Diese Parallelität zum DAX auf einem zumeist deutlich höheren Niveau dauerte allerdings nur ein gutes Jahrzehnt und brach vor drei Jahren ab: Seit Frühjahr 2010 entwickelten sich die Aktienkurse von RWE und E.ON erneut gegenläufig zum DAX. Der Einbruch war dieses Mal gravierender und länger als in der kurzen Wettbewerbsphase um das Jahr 2000: Anfang Mai 2013 dauerte er bereits drei Jahre. Inzwischen notiert der DAX um 70 Prozent höher als im März 1999. Die E.ON-Aktie hat dagegen im selben Vergleichszeitraum gut 8 Prozent eingebüßt, und die RWE-Aktie ist sogar um 29 Prozent abgesackt.

Bemerkenswert ist dabei, daß diese gegenläufige Entwicklung bereits im Frühjahr 2010 einsetzte. Von der "Energiewende" war damals noch keine Rede. Vielmehr durften die Energiekonzerne darauf vertrauen, daß die Laufzeiten ihrer Kernkraftwerke verlängert würden. Parallel zur Revision des Atomausstiegs, die zum 1. Januar 2011 in Kraft trat (101214), zogen die Kurse beider Konzerne dann auch wieder etwas an. Das war aber nur ein Zwischenspiel. Nach der atompolitischen Wende, welche die schwarz-gelbe Koalition im März 2011 unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima vollführte (110303), ging es umso eindeutiger wieder abwärts.

Die im März 2011 proklamierte "Energiewende" läßt sich somit nicht eindeutig als Wendepunkt festmachen, an dem die bisherige Parallelität zum DAX von einer gegenläufigen Entwicklung abgelöst wurde. Sie scheint eher eine bereits vorhandene Abwärtsentwicklung verstärkt und perpetuiert zu haben. Der Wurm war schon vorher drin. Er nagte diskret an den Erträgen aus dem Stromgeschäft, seitdem die Politik auf die glorreiche Idee verfallen war, die alte Ausgleichsregelung des "Erneuerbare-Energien-Gesetzes" (EEG) durch eine "marktwirtschaftliche" Lösung zu ersetzen. Dieser neue "Ausgleichsmechanismus", der die bisherige Absatzgarantie für EEG-Strom beseitigte und die Übertragungsnetzbetreiber zur Verscherbelung der ständig steigenden Wind- und Solarstrommengen an der Börse verpflichtete, wurde im Vorgriff auf die gesetzliche Neuregelung bereits ab 2009 praktiziert. Die Folge war eine annähernde Halbierung der im Herbst 2008 verzeichneten Spotmarkt-Preise, denn zum Teil mußten die Übertragungsnetzbetreiber die Strommengen nicht nur verramschen, sondern sogar verschenken oder ein Draufgeld in Millionenhöhe zahlen, um überhaupt einen Abnehmer zu finden (100101). Die Verbraucher hatten von diesen fallenden Strompreisen freilich keinerlei Nutzen, sondern wurden über einen entsprechenden Anstieg der EEG-Umlage noch stärker belastet (120204). Dieselben Auswirkungen hat die seit 2012 geltende Neuregelung der "Direktvermarktung" von EEG-Strom (130201).

Neben den Verbrauchern zählen auch konventionelle Stromerzeuger zu den Leidtragenden dieses gesetzgeberischen Geniestreichs. Sie werden auf diese Weise gleich doppelt in die Zange genommen, indem das zunehmende Angebot an EEG-Strom einerseits ihre Kapazitätsauslastung senkt und andererseits auch die mit dem Rest an Nachfrage erzielbaren Erlöse verringert. Man versteht deshalb, daß E.ON-Chef Teyssen sich über die niedrigen Spotmarktpreise beklagt, die seit vier Jahren auf dem halbierten Niveau von etwa 40 Euro pro Megawattstunde (base) verharren. Etwas überzogen wirkt nur seine Behauptung, daß jeder Rückgang des Spotmarktpreises um einen Euro seinen Konzern "bis zu 100 Millionen Euro" koste (130502). Zumindest würde dies im Umkehrschluß das Eingeständnis bedeuten, daß E.ON in der Vergangenheit an den hohen Spotmarktpreisen Milliarden verdient hat. Vor allem darf aber nicht der Hinweis fehlen, daß E.ON nicht nur Stromerzeuger, sondern auch Stromhändler und Stromvertreiber ist. In dieser letzteren Eigenschaft hat der Konzern sicher an den niedrigen Spotmarktpreisen verdient.

(siehe auch Hintergrund vom Oktober 2012: "Weshalb die EEG-Umlage plötzlich davonläuft")