Juni 2013

130617

ENERGIE-CHRONIK


Brüssel will Kernkraftwerke alle sechs Jahre begutachten lassen

Die EU-Kommission schlug am 13. Juni eine neue Richtlinie über nukleare Sicherheit vor, welche die seit 2009 gültige Regelung (090603) ersetzen soll. Demnach würden die insgesamt 132 Reaktoren, die in 14 der 27 Mitgliedsstaaten betrieben werden, alle sechs Jahre von multinationalen Expertenteams begutachtet. Diese Prüfungen würden sich auf Einzelthemen der nuklearen Sicherheit beschränken, die jeweils von den Mitgliedsstaaten oder ersatzweise von der Kommission zu bestimmen sind. Hinzu soll jedes Kernkraftwerk mindestens alle zehn Jahre einer Sicherheitsüberprüfung durch die nationalen Behörden unterzogen werden. Vor einer eventuellen Laufzeitverlängerung soll eine außerplanmäßige Überprüfung stattfinden.

Im Unterschied zu den "Stresstests", die auf Initiative der Kommission nach der Katastrophe von Fukushima durchgeführt wurden (110304), wären die neuen Überprüfungen nicht freiwillig, sondern für alle Mitgliedsstaaten verpflichtend. Im übrigen spricht die Kommission aber auch bei ihrem jetzigen Vorschlag von "Stresstests" und meint damit offenbar wieder eine Überprüfung, die anhand schriftlicher Unterlagen bestimmte Sicherheitsaspekte unter die Lupe nimmt (110503). Als Sicherheitsthema, das europaweit untersucht werden könnte, nennt sie "beispielsweise Systeme zur gefahrlosen Druckentlastung des Reaktorsicherheitsbehälters bei einem Unfall". Die Durchführung einer solchen Überprüfung obläge zunächst den nationalen Behörden und Experten. Deren Ergebnisse würden dann wechselseitig begutachtet ("Peer Review") und in Empfehlungen umgesetzt, die von den nationalen Regulierungsbehörden zu veröffentlichen sind.

Die Kommission geht davon aus, daß die geplante Richtlinie im Laufe des Jahres 2014 vom Rat verabschiedet wird. Die Mitgliedstaaten hätten sie dann innerhalb von 18 Monaten in einzelstaatliches Recht umzusetzen. Das Europäische Parlament muß lediglich angehört werden, da es in allen Angelegenheit des Euratom-Vertrags kein Mitentscheidungsrecht besitzt.

"Richtlinie soll Akzeptanz von Laufzeitverlängerungen erhöhen"

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen/EFA im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, kritisierte den Vorschlag als völlig unzureichend. Nach wie vor verzichte die Kommission auf verbindliche gemeinsame Sicherheitsstandards, die dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Wie schon bei den bisherigen "Stresstests" würden die Gefahren von Terrorangriffen und Sabotage außer Acht gelassen. Der Vorschlag beantworte auch nicht die Frage, wie nach einem Unfall mit Freisetzung von Radioaktivität die Sicherheit der Anwohner gewährleistet werden soll. Harms äußerte den Verdacht, daß EU-Energiekommissar Günther Oettinger vor allem deshalb eine nochmalige Erweiterung der Brüsseler Kompetenzen auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit anstrebt, um sie im Sinne der europäischen Atom-Lobby zu nutzen: "Oettinger bereitet mit dieser Richtlinie das vor, was er und die Atomwirtschaft eigentlich wollen: Daß eine Laufzeitverlängerung von Kraftwerken akzeptiert wird!"

Ähnlich äußerte sich die Umweltorganisation Greenpeace. Ihr Nuklearexperte Jan Haverkamp verwies darauf, daß es bei den vorgeschlagenen selektiven Überprüfungen der Kernkraftwerke in sechsjährigem Abstand Jahrzehnte dauern könnte, bis auch andere Sicherheitsaspekte untersucht würden. Der Vorschlag zeige letztendlich nur, daß nukleare Sicherheit eine Utopie bleibe.

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