August 2013

130805

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Prokon gibt jährlich Millionen für Werbung durch Postwurfsendungen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und im Fernsehen aus, damit Kleinanleger Genußscheine erwerben. "Vorläufiges Zeichnungsziel" sind 12 Milliarden Euro.

Prokon-Genußscheine könnten ein Genuß mit Reue werden

Die Verzinsung von acht Prozent, die das im Bereich Erneuerbare Energien tätige Unternehmen Prokon den Erwerbern seiner "Genußscheine" in Aussicht stellt, könnte zu einem Genuß mit Reue werden. Darauf machte am 14. August die ARD-Fernsehsendung "plusminus" aufmerksam. Schon jetzt zeichne sich ab, daß Prokon die versprochenen Zinsen – die bisher stets gezahlt wurden – nicht aus dem laufenden Geschäft bestreiten könne. Bei einer Insolvenz der Unternehmensgruppe drohe den Kleinanlegern sogar der Totalverlust ihrer Kapitalbeteiligung, da alle anderen Gläubiger Vorrang hätten. Wenige Tage später warnte auch die Zeitschrift "Finanztest" in ihrer neuesten Ausgabe vor dem Erwerb von Prokon-Genußscheinen.

Die seit mehreren Jahren andauernde Kritik am Geschäftsgebaren von Prokon erreichte damit einen neuen Höhepunkt. Ähnliche Berichte gab es bereits in der "tageszeitung" (19.2.2010), in der Zeitschrift "Finanztest" (9.4.2010), in der SWR-Fernsehsendung "Marktcheck" (2.12.2010), im NDR-Radio (31.1.2011), im Magazin "Kontrovers" des Bayern-Fernsehens (13.4.2011), im "Handelsblatt" (11.7.2011), in der "Financial Times Deutschland" (21.6.2012) oder in der "Welt" (28.7.2013). Prokon pflegte darauf mit empörten Stellungnahmen zu reagieren, in denen von "Rufmord" und "Stimmungsmache" die Rede war. Zum Teil konnte die Firma auch gerichtliche Verfügungen erwirken, mit denen den Kritikern bestimmte Formulierungen untersagt wurden. Zum Beispiel erreichte sie im Juni eine Unterlassungserklärung gegen das Energiemagazin "LUX Intelligente Energie", das alle zwei Monate von einer Tochter des Süddeutschen Verlags produziert und der "Süddeutschen Zeitung" beigelegt wird. Das Magazin hatte in einem Artikel über "grüne" Geldanlagen Prokon als Negativbeispiel genannt. In der Internet-Fassung des Artikels wird Prokon nun nicht mehr erwähnt.

Zwölf Millionen Euro jährlich für Vertrieb und Marketing

Die Kritik entzündet sich vor allem an der Werbung, mit der das Unternehmen seit Jahren systematisch um Kleinanleger wirbt, indem es ihnen eine ebenso attraktive wie umweltfreundliche und sichere Geldanlage verspricht. Ein typischer Werbespruch lautet etwa: "Es ist Zeit, etwas zu verändern. Investieren Sie bei Prokon – jährlich acht Prozent Zinsen durch faire Gewinnbeteiligung". Oder: "Vertrauen Sie noch Ihrer Bank? Prokon – die Alternative für Ihr Geld, wenn es um Sicherheit und Rendite geht." Die Firma betreibt einen geradezu gigantischen Aufwand für Werbung durch Postwurfsendungen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Fernsehen oder durch zehn "Beratungsbüros". Allein 2010 gab sie, eigenen Angaben zufolge, zwölf Millionen Euro für "Vertrieb und Marketing" aus.

Gerichte untersagten irreführende Werbeaussagen

Auf Antrag der Verbraucherzentrale Hamburg untersagten das Landgericht Itzehoe im März 2011 und das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein im September 2012 die weitere Verwendung von irreführenden Werbeaussagen. Der bis dahin verwendete Kurzprospekt und ein Flyer könnten nämlich von den Verbrauchern so verstanden werden, als sei der Erwerb von Genußrechten eine ebenso sichere Geldanlage wie auf einem Sparbuch, und als investiere er damit direkt in Windenergieanlagen, womit eine Absicherung durch Sachwerte verbunden sei. Tatsächlich gebe es aber bei einer Insolvenz keine gesetzliche Sicherung der Einlagen. Das eingesammelte Kapital werde auch nicht unmittelbar in den Auf- und Ausbau von Windparks gesteckt. Das beklagte Prokon-Unternehmen besitze selber weder Windkraftanlagen noch betreibe es solche. Es vergebe vielmehr Darlehen an andere Unternehmen der Prokon-Gruppe und erwerbe damit verzinsliche Darlehensrückzahlungsansprüche. Die Werthaltigkeit dieser Ansprüche steige und falle mit der Geldwertstabilität.

Bisher erwarben 70.000 Kleinanleger für 1,3 Milliarden Euro Genußscheine

Nach Angaben von Prokon erwarben bis Mitte August knapp 70.000 Kleinanleger Genußrechte im Wert von 1.291.912.315 Euro. Das "vorläufige Zeichnungsziel" seien 12 Milliarden Euro. Die Kapitalanlage sei bereits ab 100 Euro möglich. Als Grundverzinsung werden sechs Prozent versprochen. Hinzu kommt eine "erfolgsabhängige Überschußbeteiligung". Die in der Werbung genannten acht Prozent, die bisher gezahlt wurden, sind somit nicht garantiert. Die Anleger haben die Wahl zwischen Genußrechten mit kurzer Laufzeit ab sechs Monaten oder solchen mit fester Laufzeit zwischen fünf und zehn Jahren. Die Zinsen werden in beiden Fällen erst am Ende der Laufzeit zusammen mit dem angelegten Kapital ausgezahlt und versteuert. Infolge des Zinseszinses ist deshalb bei der Langzeit-Anlage der Ertrag höher.

Verbraucherzentrale warnt vor möglichem Schneeballsystem

Die erworbenen Genußscheine bescheren den Kleinanlegern freilich kein Miteigentum an Windkraftanlagen oder anderen Sachwerten. Sie erwerben lediglich eine stille Beteiligung ohne Mitspracherecht bei unternehmerischen Entscheidungen. Sie haben auch keinen Einfluß darauf, wofür das Geld tatsächlich verwendet wird. Bei einer Insolvenz des Unternehmens müßten sie nicht nur auf den garantierten Zins verzichten, sondern auch mit dem Verlust ihrer Kapitalanlage rechnen. Angesichts des von Prokon genannten "vorläufigen Zeichnungsziels" von zwölf Milliarden Euro und der Höhe der versprochenen Rendite stellt sich deshalb nicht nur für Verbraucherschützer die Frage, ob das Ganze auf ein Schneeball-System hinauslaufen könnte, bei dem die attraktiven Zinsen und die Kapitalrückzahlungen nur solange Bestand haben, wie der Zustrom an neuen Kapitalanlegern anhält.

In der "plusminus"-Sendung war es die Finanzexpertin Gabriele Schmitz von der Verbraucherzentrale Hamburg, die auf diese Möglichkeit hinwies: "Die Befürchtung steht im Raum, daß es sich bei Prokon um ein riesiges Schneeballsystem handelt. So lange sie nicht nachweisen können, daß sie Gewinne erwirtschaften, die es erlauben eine so hohe Verzinsung zu zahlen – in der Vergangenheit waren es sogar acht Prozent – , muß man Zweifel haben, dass diese Zinsen nicht aus dem frischen Anlegergeld gezahlt werden."

"Jahresüberschuß ermöglicht Zinszahlungen in dieser Höhe nicht"

Prof. Michael Olbrich vom Institut für Wirtschaftsprüfung der Universität des Saarlandes hat die öffentlich abrufbaren Zahlen für "plusminus" analysiert und gelangte zu der Feststellung : "Also wir haben jetzt keinen Jahresüberschuß ermitteln können, der es ermöglicht, daraus solche Zinszahlungen zu leisten." Es ergebe sich vielmehr ein Fehlbetrag von 45 Millionen Euro, die "irgendwoanders herkommen müssen".

In der Sendung wurde ferner festgestellt, daß Prokon seit über zwei Jahren keinen neuen Windpark in Betrieb genommen habe. Von den angegebenen Neubauvorhaben sei zumindest der geplante Windpark in Barnstorf-Fresenhede offensichtlich nicht realisierbar, weil er in einem Landschaftsschutzgebiet liege.

Eine Stellungnahme zu den von "plusminus" schriftlich eingereichten Fragen hatte Prokon abgelehnt. "Sie kennen unsere Entscheidung, daß wir für Medienanfragen nicht mehr zur Verfügung stehen", hieß es in der Absage. Stattdessen veröffentlichte das Unternehmen nach der Sendung auf seiner Internet-Seite eine lange Stellungnahme, mit der wohl irritierte Anleger beruhigt werden sollten. Darin war von "verleumderischen Darstellungen", "Hetzkampagne" und "verunglimpfenden Behauptungen" die Rede. Über einen Medienanwalt seien rechtliche Schritte gegen die ARD und die Verbraucherzentrale Hamburg eingeleitet worden. Anscheinend will Prokon von der Verbraucherzentrale eine Unterlassungserklärung erzwingen, wonach sie nicht mehr auf die Möglichkeit eines "riesigen Schneeballsystems" hinweisen darf.

Medien-Anfragen werden nicht mehr beantwortet

Schon Ende Mai hatte das Unternehmen auf seiner Internet-Seite verkündet, daß es künftig auf Presseanfragen nicht mehr antworten werde: "Nachdem sich unsere Geschäftsführung vor kurzem knapp drei Stunden Zeit für ein Interview mit zwei Reportern der 'Welt' genommen hat, am Ende aber wieder nur Vorwürfe bis hin zu völlig falschen Behauptungen gedruckt wurden, haben wir uns entschlossen, für Anfragen der Medien nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie in Zukunft in Medienberichten über Prokon lesen 'Von Prokon gab es dazu keinen Kommentar'."

Die "Welt am Sonntag" (15.4.) hatte damals in einem langen Artikel unter anderem berichtet, daß Prokon-Chef Carsten Rodbertus erhebliche Probleme mit den bestehenden wie mit den projektierten Windparks habe. Auch in den übrigen Geschäftsbereichen sehe es nicht rosig aus. Es gebe keinen aussagekräftigen Konzernabschluß, um das unüberschaubare Geflecht der Einzelfirmen transparenter zu machen. Ein ehemaliger Kommanditist klage auf Schadenersatz. Außerdem ermittele die Staatsanwaltschaft Lübeck gegen Rodbertus wegen des Verdachts der Bestechung und des Betrugs. So soll Prokon einem Mitarbeiter des Landratsamtes Wesermarsch, der für die Analyse von Windkraft-Standorten zuständig war, insgesamt 4374 Euro für drei Gutachten gezahlt haben. Prokon erklärte dazu, man habe von diesen Ermittlungen erst aus der Presse erfahren. Sie basierten wohl wie frühere Verfahren auf Strafanzeigen von Mißgünstigen, denen die Behörde nachgehen müssen. Die Anschuldigungen seien aber völlig haltlos.

Die "Prokon Nord Energiesysteme" war ein anderes Unternehmen

Die 1995 gegründete Unternehmensgruppe Prokon mit Sitz in Itzehoe besteht aus etlichen Einzelfirmen mit insgesamt rund tausend Mitarbeitern. Sie ist nach eigener Darstellung "seit über 17 Jahren erfolgreich in der Planung, Realisierung, Finanzierung und dem Betrieb von Projekten im Bereich der Erneuerbaren Energien tätig". Den Kern des Geschäfts bilden 49 Windparks mit 296 Windkraftanlagen in sechs Bundesländern sowie in Polen. Außerdem betätigt sich Prokon als Erzeuger von Bio-Diesel, ist bei einem holzverarbeitenden Unternehmen als Kapitalgeber eingestiegen und bietet seit Anfang dieses Jahres auch Strom an. Seit dem Ausscheiden der früheren Kommanditisten, zu denen der spätere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein gehört haben soll, ist der 52-jährige Carsten Rodbertus alleiniger Eigentümer und Leiter des Unternehmens.

Die Unternehmensgruppe von Carsten Rodbertus darf nicht mit der Prokon Nord Energiesysteme GmbH von Ingo de Buhr verwechselt werden, die sich im März 1997 von ihr abgespalten hat. Die Prokon Nord Energiesysteme GmbH erhielt im November 2001 die erste Genehmigung für einen Offshore-Windpark vor der deutschen Küste (011119), aus dem dann das Testfeld "alpha ventus" wurde (100413). Ihr gehörte auch der Windkraftanlagen-Hersteller Multibrid, der die Hälfte der Anlagen für das Testfeld lieferte, bevor sie ihn an den französischen Atomkonzern Areva verkaufte (070910), der daraus die "Areva Wind" machte (100614). Seit Ende 2010 firmierte die Prokon Nord als N.prior energy GmbH. Unter diesem neuen Namen hat sie zwei Jahre später Insolvenz angemeldet.

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