Dezember 2013

131209

ENERGIE-CHRONIK


Enteignung zugunsten von "Gemeinwohlzielen" bleibt zulässig

Die Enteignung von Grundstückseigentümern "zum Wohle der Allgemeinheit" ist nach Artikel 14 Abs. 3 des Grundgesetzes grundsätzlich verfassungsgemäß. Die Feststellung eines solchen Gemeinwohlziels ist Sache des Gesetzgebers. Die Betroffenen dürfen aber nicht einfach unter Berufung auf ein derartiges Gemeinwohlziel enteignet werden. Es ist vielmehr zuvor eine Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Belangen vorzunehmen, und zwar so rechtzeitig, daß den Betroffenen dadurch ein effektiver Rechtsschutz gegen eine eventuelle Verletzung der Eigentumsgarantie geboten wird. So lautet die Quintessenz eines Urteils, mit dem das Bundesverfassungsgericht am 17. Dezember über zwei Klagen gegen den Braunkohle-Tagebau Garzweiler II entschied.

Das Urteil verbessere den Rechtsschutz gegen Großvorhaben, die mit Umsiedlungen und Enteignungen verbunden sind, hieß es dazu in einer Pressemitteilung des Gerichts. An der Genehmigung für Garzweiler II ändert es freilich nichts. Die erhöhten Anforderungen an das juristische Prozedere könnten allenfalls bei der Auseinandersetzung um die geplante Erweiterung des Tagebaues Welzow-Süd eine Rolle spielen (130903). Eine grundsätzliche Verbesserung der Rechtsposition von Klägern bewirkt das Urteil aber auch hier nicht. Es bekräftigt vielmehr, daß es Sache des Gesetzgebers ist, ein "Gemeinwohlziel" zu bestimmen, das die Enteignung nach Artikel 14 Abs. 3 des Grundgesetzes rechtfertigt. Für die Gerichte und auch das Bundesverfassungsgericht sei ein derart beschlossenes Gemeinwohlziel nur "eingeschränkt" überprüfbar.

Urteil ebnet Weg für Neubau von Strom-Trassen

Das Urteil dürfte deshalb vor allem für den Bau von Strom-Trassen praktische Bedeutung haben. Die Voraussetzung eines parlamentarisch abgesegneten Gemeinwohlziels erfüllen nämlich die 24 Projekte des Energieleitungsausbaugesetzes, das der Bundestag bereits im Mai 2009 beschloß (090506), sowie die 51 weiteren Vorhaben des im April 2013 verabschiedeten Bundesbedarfsplangesetzes (130408). In beiden Fällen wurde der Rechtsweg ausdrücklich auf eine einzige Instanz verkürzt, indem über Einsprüche gegen die Projekte ausschließlich das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hat (130302). Theoretisch könnten betroffene Grundstückseigentümer zwar noch das Bundesverfassungsgericht anrufen. Nach dem jetzt ergangenen Urteil dürfen sie aber nicht hoffen, damit Erfolg zu haben.

Kläger sahen Artikel 14 und 11 des Grundgesetzes verletzt

Einer der beiden Kläger gegen Garzweiler II war der Landesverband Nordrhein-Westfalen des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Er hatte 1998 ein bebautes Grundstück im Gebiet des geplanten Tagebaues erworben, um juristisch gegen das Projekt vorgehen zu können. Da er keinem Kaufangebot zustimmte, war er von der Bezirksregierung Arnsberg im Juni 2005 enteignet worden. Mit seiner Verfassungsbeschwerde griff er diesen Beschluß und die ihn bestätigenden Gerichtsentscheidungen an. Er berief sich dabei auf das in Artikel 14 des Grundgesetzes garantierte Recht auf Eigentum.

Der andere Kläger besitzt ein Haus im Ortsteil Immerath der Stadt Erkelenz, der im Zuge von Garzweiler II ebenfalls abgebaggert werden soll und inzwischen von fast allen Bewohnern verlassen wurde. Er sah das in Artikel 11 des Grundgesetzes garantierte Recht auf Freizügigkeit verletzt, weil er zum Verlassen seiner Heimat gezwungen wird, und hatte mit dieser Begründung gegen die Zulassung des Rahmenbetriebsplans (950908) durch das Bergamt Düren geklagt.

Festgestellter Verfassungsverstoß hat keine Konsequenzen

Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts gab der Klage des BUND insoweit statt, als es nicht zulässig gewesen sei, ihn unter Berufung auf den Rahmenbetriebsplan einfach zu enteignen. Zuvor hätte eine Gesamtabwägung aller öffentlichen und privaten Belange stattfinden müssen. Das Bundesberggesetz bzw. dessen Auslegung sei in dieser Hinsicht unzulänglich. Für das Recht auf Eigentum spiele auch keine Rolle, daß der BUND das Grundstück nur gekauft hat, um den Tagebau zu verhindern. Indessen bleibe es bei der bloßen Feststellung eines Verfassungsverstoßes, weil das Grundstück inzwischen abgebaggert wurde und seine Rückgabe faktisch ohne Wert wäre. Außerdem sei ohehin nicht zu erwarten, daß die geforderte Gesamtabwägung bzw. deren gerichtliche Überprüfung zu einem anderen Ergebnis führen werde.

Völlig erfolglos blieb die Klage des Haus- und Grundstückseigentümers aus Immerath. Hier befand das Gericht, daß sich aus Artikel 11 des Grundgesetzes kein "eigenständiges Recht auf Heimat" ableiten lasse. Dieser Artikel schütze zwar grundsätzlich auch vor erzwungenen Umsiedlungen. Er berechtige aber nicht dazu, "an Orten im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen und zu verbleiben, an denen Regelungen zur Bodenordnung oder Bodennutzung einem Daueraufenthalt entgegenstehen".

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