Februar 2015

150211

ENERGIE-CHRONIK


Enervie darf ab 2016 alle Kraftwerke stillegen

Der südwestfälische Regionalversorger Enervie wird seine Kraftwerke nur noch bis Jahresende zwangsweise vorhalten müssen. Das sieht eine Regelung vor, auf die sich die Enervie-Netztochter EAN nach längeren Verhandlungen mit der Bundesnetzagentur, dem Übertragungsnetzbetreiber Amprion und den Betreibern von zwei angrenzenden Verteilnetzen einigte. Sie ermöglicht die Überwindung des Kapazitätsengpasses, der bisher bei der Anbindung des Enervie-Verteilnetzes an das vorgelagerte Übertragungsnetz von Amprion besteht. Damit kann Enervie drei Kraftwerke stillegen, die sich nicht mehr rentieren, bisher aber weiter betriebsbereit gehalten werden müssen, damit das Verteilnetz bei starker Belastung nicht zusammenbricht.

Neue Verbindung beseitigt bisherigen Kapazitäts-Engpaß zum Übertragungsnetz

Namen und Akteure

Unter der Dachmarke Enervie firmiert seit Februar 2010 die Südwestfalen Energie und Wasser AG (Sewag), die 2006 aus dem Zusammenschluß des Regionalversorgers Mark-E mit den Stadtwerken Lüdenscheid entstand (060611). Mark-E ist dabei die Fortsetzung des früheren Regionalversorgers Elektromark, der Anfang 2002 die Stadtwerke Hagen übernahm (011010). Anlaß für den Namenswechsel von Sewag zu Enervie war, daß die RWE-Tochter Süwag mit juristischen Schritten drohte, weil die Namen verwechselt werden könnten (100111). Die Gruppe beschäftigt rund 1.500 Mitarbeiter. Größte Aktionäre sind die Städte Hagen (42,66 Prozent) und Lüdenscheid (24,12 Prozent). Bis zum Sommer vorigen Jahres war RWE mit 19,06 Prozent an der Enervie AG beteiligt. Inzwischen wurde dieses Aktienpaket für 60 Millionen Euro vom Entsorgungsunternehmen Remondis übernommen, da keiner der kommunalen Aktionäre von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machte.

Die AVU Aktiengesellschaft für Versorgungs-Unternehmen gehört jeweils zur Hälfte RWE und Kommunen. Ihr Netz grenzt im Westen an das Netzgebiet der Enervie und versorgt sieben Städte des Ennepe-Ruhr-Kreises. Der vorgelagerte Übertragungsnetzbetreiber ist auch hier Amprion. Im Unterschied zu Enervie verfügt das AVU-Netz aber gleich an vier Stellen über 110-kV-Anbindungen an Amprion.

Die Westnetz GmbH entstand Anfang 2013 aus der Umbenennung und Zusammenlegung der früheren RWE-Verteilnetzbetreiber Rhein-Ruhr und Westfalen-Weser-Ems. Sie ist nach wie vor eine hundertprozentige RWE-Tochter. In vielen Teilen ihres Gebiets betreibt sie nur das Hochspannungs-Verteilnetz (110 kV), während Mittel- und Niederspannung kommunalen Betreibern überlassen werden.

Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion entstand im September 2009 aus der Umbenennung der RWE Transportnetz GmbH (091005). Er gehört aber seit 2011 nicht mehr RWE, sondern einem Konsortium der Finanzwirtschaft (110705). Die 220-kV-Leitung, über die er bisher mit dem Verteilnetz der Enervie verbunden ist und dessen Versorgung nicht ausreichend sicherstellen kann, führte früher zum Verbundnetz der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW), die im Jahr 2000 dem RWE-Konzern einverleibt wurden (000208).

In einer gemeinsamen Pressemitteilung gaben die Bundesnetzagentur sowie die vier Netzbetreiber Amprion, AVU Netz, Westnetz und Enervie AssetNetWork (EAN) am 20. Februar die gefundene Lösung bekannt. Sie läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß das Enervie-Netz in der Umspannanlage Herdecke direkt mit dem 110-kV-Netz der AVU verbunden wird. Zugleich wird in der Amprion-Umspannanlage Dortmund-Kruckel ein zweiter Transformator installiert, der den Stromfluß über das 110-kV-Netz der RWE-Verteilnetztochter Westnetz zum Umspannwerk Herdecke erweitert. Ab 2018 soll dann der Ausbau der vorhandenen, aber unzureichenden Anbindung an das Amprion-Übertragungsnetz in Hagen-Garenfeld diese Übergangslösung überflüssig machen.

Mißbrauchsantrag gegen Amprion

Die Enervie hatte zunächst den Standpunkt vertreten, daß Amprion (früher RWE Transportnetz) für die unzureichende Anbindung ihres Verteilnetzes an das Übertragungsnetz verantwortlich sei, die sich historisch daraus ergeben hat, daß schon ihr Vorläufer "Elektromark" eine erhebliche Eigenerzeugung betrieb und bis 1994 sogar über eine Beteiligung am Kernkraftwerk Emsland verfügte (930704). Sie hatte deshalb bei der Bundesnetzagentur einen Mißbrauchsantrag gegen Amprion gestellt und verlangt, daß die Kosten für die notwendige weitere Vorhaltung der Eigenerzeugung über die Netzentgelte des Übertragungsnetzbetreibers abgerechnet werden (140507).

Zusatzkosten muß der Verteilnetzbetreiber tragen

Die Bundesnetzagentur war da freilich anderer Ansicht und befürwortete eine Änderung des § 13 im Energiewirtschaftsgesetz, die klarstellt, daß der Anspruch des Kraftwerksbetreibers auf Auslagenersatz auch gegen Verteilnetzbetreiber gerichtet sein kann. Enervie gab daraufhin nach und teilte am 1. Oktober 2014 mit, daß die Kosten der weiteren Vorhaltung ihrer Kraftwerke über höhere Netzentgelte der Netztochter EAN ausgeglichen würden. Dadurch verteuerte sich mit Beginn des Jahres 2015 im Netzgebiet der EAN grundsätzlich der Strombezug. Im Einzelfall kam es freilich darauf an, ob und wieweit Stromanbieter die höheren Netzentgelte an die Kunden weitergaben. Die beiden Grundversorger Mark-E und Stadtwerke Lüdenscheid, die sich 2006 zur Enervie AG (damals Sewag) zusammengeschlossen haben, verzichteten jedenfalls auf eine Erhöhung ihrer Strompreise. Sie begründeten dies mit Einsparungen, die an anderer Stelle möglich gewesen seien.

Arbeitsplätze entfallen nun früher

Unabhängig davon beharrte Enervie auf dem Standpunkt, daß Amprion zur Übernahme der Kosten verpflichtet sei, und kündigte an, "notfalls den gesamten Rechtsweg ausschöpfen, um die Zuständigkeitsfrage in Ihrem Sinne und damit im Sinne aller Netzkunden der EAN zu klären". Zunächst sah es so aus, als würde der Streit sich noch über Jahre hinziehen, was zumindest etliche Arbeitsplätze in den betroffenen Kraftwerken gesichert hätte. Mit der nun erzielten Einigung wird es mit der Stillegung der Kraftwerke schon früher zum Personalabbau kommen.

Insgesamt werden 1300 MW Kraftwerksleistung stillgelegt

Die Enervie-Gruppe hatte bereits im September 2013 bei der Bundesnetzagentur ihren kompletten konventionellen Kraftwerkspark mit rund 1.300 MW Gesamtleistung zur Stilllegung angemeldet. Auf der "Kraftwerksstillegungsanzeigenliste" (KWSAL) der Bundesnetzagentur sind bisher allerdings nur die geplanten Stillegungen des Kraftwerks Werdohl-Elverlingsen (206 MW) und des Pumpspeicherkraftwerks Rönkhausen (138 MW) angezeigt. Ferner ist der Steinkohle-Block E3 des Kraftwerks Werdohl-Elverlingsen (186 MW) als "mittlerweile endgültig stillgelegt" verzeichnet. Nicht aufgeführt werden die GuD-Blöcke E1 und E2 (jeweils 75 MW) und der Steinkohle-Block E4 (301 MW) in Werdohl-Elverlingsen sowie das GuD-Heizkraftwerk Herdecke (417 MW), obwohl Enervie diese ebenfalls stillegen will.

Auch Statkraft hat ein Problem weniger

Das GuD-Heizkraftwerk Herdecke ist erst seit 2007 in Betrieb. Es gehört zur Hälfte der norwegischen Statkraft, die aber die beabsichtigte Stillegung mitträgt, da sie ohnehin mit ihren Gas-Kraftwerken seit geraumer Zeit Probleme wegen der mangelnden Auslastung hat. Schon 2012 nahm Statkraft deshalb des GuD-Kraftwerk Emden vom Netz (120212). Ein Jahr später folgte das Gaskraft Landesbergen (130702). Sogar ein neues GuD-Kraftwerk mit 430 MW, das Statkraft im Juni 2013 am Standort Hürth-Knapsack in Betrieb genommen hat, ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen am Strommarkt offenbar nicht rentabel zu betreiben.

 

Links (intern)