Juli 2015

150704

ENERGIE-CHRONIK


Frankreich beschließt Energiewende-Gesetz

Die französische Nationalversammlung billigte am 22. Juli abschließend den Entwurf eines Energiewendegesetzes für grünes Wachstum (projet de loi relatif à la transition énergétique pour la croissance verte). Das 66 Artikel umfassende Gesetz bildet die Grundlage für fast 150 Verordnungsermächtigungen, die zum Teil bereits ausgearbeitet werden. Der wichtigste Punkt ist die Verringerung des Kernenergie-Anteils am französischen Stromverbrauch zugunsten eines Ausbaues der erneuerbaren Energien. Hinzu kommen andere Maßnahmen wie die Gebäudesanierung, die Förderung von Elektroautos oder die Stärkung der Kreislaufwirtschaft. Die Emission von Treibhausgasen soll so bis 2030 auf 60 Prozent und bis 2050 auf 25 Prozent des Standes von 1990 gesenkt werden.

Konservative wollten verbindliche Senkung des Atomstrom-Anteils verhindern

Energiewende à la française

Es liegt nahe, die in Frankreich beschlossene "transition énergétique" mit dem deutschen Wort Energiewende zu übersetzen. Dies wird aber weder dem Wort noch der Sache ganz gerecht. Eine "transition" (Übergang) ist eben doch etwas anderes als eine "transformation" (Umgestaltung) oder gar ein "revirement" (Wende). Im einen Fall wird die Kontinuität betont, im anderen der Umschwung.

Das Wort "Energiewende" war ursprünglich ein Kampfbegriff. Es stand für die Forderung nach Atomausstieg und Umstellung auf erneuerbare Energien. Seine Verwendung beschränkte sich auf die deutschsprachige Umweltbewegung. Erst vor gut vier Jahren – als sich in Fukushima die bisher größte KKW-Katastrophe seit Tschernobyl ereignete – wurde diese Forderung nach einer radikalen energiepolitischen Wende von allen Parteien adaptiert und gelangte endgültig ins regierungsoffizielle Vokabular (120502). Damit verlor der Begriff an Schärfe und wurde fast zu einem Gemeinplatz wie "ökologisch" oder "nachhaltig". Er behielt aber durchaus seinen ursprünglichen Sinn.

Frankreich dagegen denkt nicht daran, aus der Kernenergie auszusteigen, obwohl es auch dort viele KKW-Gegner und Initiativen wie "Sortir du nucléaire" gibt. Es will vielmehr "aus den Trümpfen, über die es verfügt, das beste machen", wie das Umwelt- und Energieministerium auf seiner Internet-Seite erläutert. Als wichtigster Trumpf gilt dabei noch immer – trotz verstärkten Ausbaues der Erneuerbaren – die Kernenergie. Insofern ist die "transition énergétique" keine Energiewende im deutschen Sinne. Für französische Verhältnisse ist das nunmehr beschlossene Gesetz aber dennoch ein beachtlicher Fortschritt.

Bevor das Gesetz im September offiziell verkündet werden kann, muß es noch dem französischen Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) vorgelegt werden. Die Einschaltung dieses Gremiums, das in Frankreich etwa dem Bundesverfassungsgericht entspricht, erfolgt auf Antrag der Fraktion der Rechtspartei "Les Républicains" im Senat, der zweiten Kammer des französischen Parlaments. Die konservative Mehrheit des Senats hatte vor allem verhindern wollen, daß für die Verringerung des Kernenergie-Anteils am französischen Stromverbrauch eine Jahreszahl vorgegeben wird. Der Vermittlungsversuch mit der sozialistisch dominierten Nationalversammlung erbrachte jedoch keine Einigung. In der jetzt beschlossenen Fassung schreibt der Gesetzentwurf unverändert vor, den Kernenergie-Anteil, der derzeit 75 Prozent beträgt, bis zum Jahr 2025 auf 50 Prozent zu senken. Ferner wird die Kapazität der französischen Kernkraftwerke auf 63,2 Gigawatt begrenzt. Das entspricht genau der derzeitigen Gesamtleistung der 58 Kernkraftwerke.

Falls der in Bau befindliche EPR-Reaktor am Standort Flamanville (041006) in den nächsten Jahren ans Netz geht, müßten also ein oder zwei alte Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Zum Beispiel das umstrittene Kernkraftwerk Fessenheim an der Grenze zu Deutschland. Das Gesetz enthält indessen dazu keine Festlegung, obwohl der amtierende Präsident Francois Hollande die Abschaltung von Fessenheim bis Ende 2016 versprochen hatte (120913).

Bis 2030 soll Strom zu 40 Prozent aus erneuerbaren Quellen kommen

Die Begrenzung auf 63,2 Gigawatt Reaktorleistung bedeutet andererseits keine Bestandsgarantie. Die KKW-Kapazitäten müßten also verringert werden, falls sich die vorgesehene Reduzierung der Atomstromerzeugung um 25 Prozentpunkte bis 2025 nicht einfach aus einem entsprechenden Mehrverbrauch ergeben sollte. Eine Steigerung der Stromproduktion ist aber nicht vorgesehen. Vielmehr soll der Endenergieverbrauch bis 2030 um 20 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent sinken (mit 2012 als Vergleichsjahr). Der Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch, der 2014 bei 14,2 Prozent lag (150613), soll bis 2030 auf 32 Prozent steigen. Bei der Stromerzeugung würde das einem Anteil von 40 Prozent entsprechen. Der Verbrauch fossiler Energieträger soll bis 2030 um 30 Prozent gegenüber 2012 zurückgehen.

Förderung wird auf Direktvermarktung umgestellt

Die Förderung der Erneuerbaren wird ab 2016 für große Anlagen mit ausgereifter Technologie umgestellt: An die Stelle einer garantierten Einspeisevergütung tritt ein Direktvermarktungsmodell, das den beim Stromverkauf erzielten Marktpreis durch eine gleitende Marktprämie (complément de rémunération) aufstockt. Zugleich wird erprobt, ob sich dieses Modell auch für kleinere und mittlere Anlagen sowie noch unreife Technologien anwenden läßt. Betreiber von Altanlagen können jedoch weiterhin die feste Einspeisevergütung in Anspruch nehmen.

Kräftige Anhebung der CO2-Steuer

Die Kohlendioxidsteuer, die in Frankreich seit 2014 als Bestandteil der Steuer auf Kraft- und Brennstoffe erhoben wird und derzeit 14,5 Euro je Tonne beträgt, wird dem Gesetz zufolge bis 2020 auf 56 Euro und bis 2030 sogar auf 100 Euro steigen. In Verbindung mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu Lasten fossiler Energieträger, der Gebäudesanierung, der Umstellung auf Elektroautos und der Minderung des Endenergieverbrauchs sollen so die CO2-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent und bis 2050 um 75 Prozent gegenüber 1990 sinken.

Im Dezember findet in Frankreich der 21. Weltklimagipfel statt

Die Verabschiedung des Gesetzes ist auch vor dem Hintergrund des 21. Weltklimagipfels zu sehen, der vom 30. November bis zum 11. Dezember in Paris stattfindet (141205). Frankreich möchte sich bei dieser Gelegenheit als Vorkämpfer für die Treibhausgas-Minderung präsentieren. Die Umweltministerin Ségolène Royal sprach in ihrer Rede vor der Nationalversammlung von einem ehrgeizigen ökologischen Gesetz, das in Europa und der ganzen Welt seinesgleichen suche. Wie wirksam das Gesetz ist, wird sich freilich erst zeigen, wenn die heutige Regierung und der amtierende Präsident längst nicht mehr im Amt sind.

 

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