September 2015

150903

ENERGIE-CHRONIK


Verlegenheitskandidat soll RWE aus der Krise führen

Der frühere SAP-Finanzvorstand Werner Brandt hat gute Chancen, zum Vorsitzenden des RWE-Aufsichtsrats gewählt zu werden, wenn die Amtszeit des bisherigen Aufsichtsratschefs Manfred Schneider (76) im kommenden Jahr ausläuft. Am 18. September veröffentlichte der Aufsichtsrat nach seiner Sitzung eine entsprechende Empfehlung. Der ungewöhnliche Vorgang erklärt sich daraus, daß die kommunalen Anteilseigner von RWE diesen Posten dem früheren Bundeswirtschaftsminister Werner Müller übertragen wollen, der bisher dem Aufsichtsrat nicht angehört. Sie verfügen über knapp ein Viertel der RWE-Aktien und stellen im paritätisch besetzten Aufsichtsrat sogar vier von zehn Vertretern der Anteilseigner.


Gleicher Vorname, verschiedene Talente: Während der frühere Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (links) ein politisch gut vernetzter Branchenkenner ist, gilt der ehemalige SAP-Finanzvorstand Werner Brandt (rechts) eher als Mann der Zahlen.
Fotos: UDE / SAP

"Der jetzige Aufsichtsrat ist der klaren Meinung, dass in seiner Mitte ein sehr geeigneter Kandidat in Herrn Dr. Werner Brandt für die Kontinuität im Aufsichtsrat auch in einer möglichen Wahl als zukünftiger Aufsichtsratsvorsitzender vorhanden ist", hieß es in der Erklärung des Aufsichtsrats. Im Dezember werde der Nominierungsausschuß seine Vorschläge für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder unterbreiten. Im Anschluß an die im Frühjahr 2016 stattfindende Hauptversammlung werde der neue Aufsichtsrat dann "aus seiner Mitte den neuen Aufsichtsratsvorsitzenden bestimmen".

Der 61-jährige Werner Brandt, der als Beruf inzwischen "Unternehmensberater" angibt, gilt indessen nur als Verlegenheitskandidat, nachdem es dem scheidenden Vorsitzenden Manfred Schneider nicht gelungen ist, andere Personen seines Vertrauens für diesen Posten zu gewinnen. Aus dem amtierenden Aufsichtsrat gehörte dazu der frühere BDI-Präsident Hans-Peter Keitel. Als externe Favoriten, die abgewunken haben, werden der frühere Bosch-Manager Bernd Bohr und der frühere OMV-Chef Gerhard Roiss genannt. Gute Chancen hätten ferner der Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche oder der ehemalige Thyssen-Krupp-Chef Ekkehard Schulz gehabt, die aber beide ihre Sitze im RWE-Aufsichtsrat aufgeben wollen.

Börsenwert von RWE erreichte Ende September einen neuen Rekord-Tiefstand

Der Machtkampf unter den RWE-Aktionären darüber, wer den Konzern als oberster Aufseher aus seiner schweren Krise führen soll und mit welchen Mitteln dies geschehen soll, wurde auch über die Medien ausgetragen, was dem Kurs der RWE-Aktie zusätzlich schadete. Am 16. September sah sich deshalb der Vorstandsvorsitzende Peter Terium zu einer beruhigenden Erklärung veranlaßt, wonach die gegenwärtigen Notierungen den realen Wert des Unternehmens nicht widerspiegeln würden. Der Kurs der Stammaktie stieg darauf von 10,90 auf 11,90 Euro, sank dann aber fast kontinuierlich wieder ab und erreichte am 25. September mit 9,67 Euro einen neuen Rekord-Tiefstand. Der Börsenwert von RWE schrumpfte damit auf weniger als ein Zehntel des Höchststandes von 2008. Inzwischen wird sogar darüber spekuliert, wann der einst größte deutsche Energiekonzern nicht mehr die Kriterien erfüllen wird, um im Deutschen Aktienindex (DAX) geführt zu werden, der die Entwicklung der dreißig größten und umsatzstärksten Unternehmen widerspiegelt (siehe Hintergrund).

Mit seiner öffentlichen Stellungnahme und der Nennung Werner Brandts als Nachfolger Schneiders scheint der Aufsichtsrat beabsichtigt zu haben, die Diskussion um die Nachfolge Schneiders zu beenden und so eine der Ursachen des Kursverfalls zu stoppen. Seine Erklärung begann mit der Feststellung: "Die Berichterstattung in den Medien zum Konzern und insbesondere die Personalspekulationen zu Aufsichtsrat und Vorstand schaden dem Unternehmen. Der Aufsichtsrat mißbilligt dies einstimmig."

Atomhaftung, Mißwirtschaft in England und Schadenersatzansprüche belasten die RWE-Aktie ebenfalls

Mitverursacht wurde der Kursverfall aber auch durch drei negative Nachrichten: Zum einen war das der Gesetzentwurf, mit dem die Bundesregierung verhindern will, daß sich die Energiekonzerne ihren Verpflichtungen aus der Atomhaftung entziehen (150901). Ferner ging bei der britischen Tochter RWE npower im ersten Halbjahr 2015 das Ergebnis um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück. Hauptursache waren Fehler des Managements. Wie RWE am 24. August mitteilte, wurden der Vorstandsvorsitzende und der Finanzvorstand deshalb gefeuert. Schließlich wurde auch noch bekannt, daß ein Schiedsgericht dem arabischen Gaskonzern Dana zumindest grundsätzlich einen Anspruch auf Schadenersatz zuerkannt hat. Es geht dabei um einen lange zurückliegenden Vorgang, als sich RWE am Pipeline-Projekt "Nabucco" beteiligt hatte (080206) und deshalb Sondierungsgespräche mit potentiellen Gaslieferanten führte. RWE soll sich nicht an die mit Dana vereinbarte Vertraulichkeit gehalten haben. Das Schiedsgericht hat noch nicht entschieden, welcher Schadenersatzanspruch daraus resultiert. Das läßt Spekulationen freien Raum, es könne sich um eine Milliardensumme handeln.

"RWE ist auf dem Weg zu einem großen Stadt- und Landwerk"

Laut "Süddeutsche Zeitung" (11.9.) wollen die kommunalen Anteilseigner aus RWE wieder einen regionalen Versorger machen, der wie früher ihnen zu Diensten ist und für sichere Einnahmen sorgt. "RWE ist auf dem Weg zu einem großen Stadt- und Landwerk", soll Wolfgang Kirsch vom Verband der kommunalen RWE-Aktionäre die Marschroute beschrieben haben. Der Vorstand und die Mehrheit des Aufsichtsrats würden diese Pläne aber ablehnen und die kommunalen Vertreter für rückwärtsgewandte Bremser halten.

Die Kommunen halten ihrerseits einen Finanzfachmann wie Werner Brandt nicht für die ideale Besetzung, um RWE aus dem gegenwärtigen Schlamassel herauszuführen, das gerade durch die einseitige Fixierung auf eine betriebs- und finanzwirtschaftliche Sichtweise verursacht wurde: RWE hat wie E.ON viel zu lange auf das Geschäft mit Kohle- und Atomstrom gesetzt, das in der Vergangenheit so erfolgreich war, und auf Veränderungen der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie EEG-Förderung, Atomausstieg und Energiewende nicht rechtzeitig und hinreichend reagiert (siehe Hintergrund). Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs (101003) schmissen beide Konzerne mit Geld nur so um sich und betrieben mitunter sogar regelrechte Kapitalvernichtung. Trotzdem wurden sie von der Börse nicht abgestraft, solange das Stromgeschäft weiterhin üppige Gewinne bescherte und der kurzfristige "Shareholder value" zu stimmen schien.

Müller gilt vor allem als politischer Strippenzieher erster Güte

Dagegen gilt der 69-jährige Werner Müller als Fachmann, der nicht nur das Energiegeschäft von der Pike auf erlernt hat, sondern auch ein politischer Strippenzieher erster Güte ist. Der promovierte Sprachwissenschaftler hatte nach dem Studium zunächst als Fachhochschullehrer gearbeitet. Seine Laufbahn in der Energiewirtschaft begann er 1973 bei RWE, zuletzt als Leiter des Referats "Marktanalysen". 1979 wechselte er als Leiter der Energiepolitik zum Veba-Konzern, wo er 1990 als Generalbevollmächtigter den Gipfel seiner Karriere erreichte. Nach dem Tod des Veba-Chefs Rudolf von Bennigsen-Foerder, der als sein Gönner galt, mußte er sich ab 1992 mit einem Vorstandssitz bei der VKR Veba Kraftwerke Ruhr begnügen. 1997 schied er gegen eine hohe Abfindung bei der Veba aus. Im folgenden Jahr wurde er – obwohl parteilos – von dem frisch gewählten Bundeskanzler Gerhard Schröder eher zufällig zum Bundeswirtschaftsminister gemacht (981002), da Schröder dringend Ersatz für einen ziemlich leichtgewichtigen Kandidaten brauchte, der ihm von der Fahne gegangen war. Beide kannten sich bereits seit Anfang der neunziger Jahre, als Müller für die Veba die Verhandlungen über den Energiekonsens führte und gemeinsam mit Schröder die Niedersächsische Energie-Agentur gründete (930620). Nach dem Ausscheiden aus dem Ministeramt wurde Müller im April 2003 neuer Vorstandsvorsitzender des RAG-Konzerns (030403) und betrieb dessen Aufspaltung in eine profitable Sparte (Evonik) und einen defizitären Bereich (RAG) unter dem Dach einer Stiftung zur Finanzierung der Folgelasten des Steinkohlebergbaues (070907). Unlängst brachte sich Müller wieder in Erinnerung, als er unter Verweis auf dieses Modell für die Einbringung der Entsorgungs-Rückstellungen der Kernkraftwerksbetreiber in eine Stiftung warb, obwohl es in diesem Fall materiell wie finanziell um ganz andere Dimensionen von "Ewigkeitslasten" geht (150511).

 

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