Januar 2016

160109

ENERGIE-CHRONIK


Nur noch fünf Bundesländer ohne eigene Regulierungsbehörde

Seit Jahresbeginn verfügt auch Mecklenburg-Vorpommern über eine eigene Landesregulierungsbehörde. Sie wurde beim Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung angesiedelt und beaufsichtigt insgesamt 40 Gas- und Stromnetzbetreiber. Ausgenommen sind lediglich die beiden größten Strom-Verteilnetze des Landes, die dem Regionalversorger Wemag und den Stadtwerken Rostock gehören. Damit gibt es in Deutschland nur noch fünf Bundesländer, die auf die Regulierung der kleinen und mittleren Verteilnetze verzichten, indem sie diese Aufgabe im Wege der "Organleihe" der Bundesnetzagentur übertragen.

Stadtwerke fühlen sich von der Bundesnetzagentur stiefmütterlich behandelt

Im April 2015 hatte der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern die Landesregierung aufgefordert, die Organleihe bei der Bundesnetzagentur zu beenden und eine landeseigene Regulierungsbehörde aufzubauen. Treibende Kraft waren dabei die Stadtwerke, die sich von der Bundesnetzagentur stiefmütterlich behandelt fühlten. In einer Anhörung des Landtags kritisierte die Landesgruppe Nord des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), daß die Stadtwerke mit ihren oftmals spezifischen regionalen Anliegen bei der Bundesnetzagentur in Bonn zu wenig Gehör fänden. Durch die Organleihe beraube sich das Land wesentlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Energiewende. Mit den bisher anfallenden Gesamtkosten von rund 270.000 Euro jährlich lasse sich auch eine Landesregulierungsbehörde finanzieren. Diese könne dann schneller und flexibler auf neue energiepolitische Anforderungen und länderspezifische Gegebenheiten reagieren. Bisher müßten die Stadtwerke wegen der Vielzahl von Verordnungen und Vorschriften eigene Regulierungsspezialisten beschäftigen und sich darüber hinaus externer Berater bedienen. Vor diesem Hintergrund hätten sich bereits zehn Bundesländer zum Verzicht auf die Organleihe entschieden.

Mit der Transparenz ist es auf Landesebene eher noch schlechter bestellt

Die Stadtwerke versprechen sich offenbar eine stärkere Berücksichtigung ihrer spezifischen Interessen, wenn sie nicht mehr von der Bundesnetzagentur in Bonn, sondern von einer Landesbehörde beaufsichtigt werden. Die seit langem beklagte Intransparenz der Regulierungspraxis (090915) dürfte sich dadurch allerdings nicht verbessern, sondern eher noch schlimmer werden. Im Juni 2015 hat die Initiative "Agora Energiewende" eine Studie veröffentlicht, wonach die Bundesnetzagentur ihre durch § 74 des Energiewirtschaftsgesetzes auferlegten Informationsverpflichtungen nur unzureichend erfüllt und oft auch noch durch die Schwärzung angeblicher Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse unverständlich macht (150609). Noch verheerender war allerdings der Befund bei den Landesregulierungsbehörden: Von insgesamt ca. 3000 Entscheidungen zu den Stromnetzentgelten hatten sie keine einzige auf ihren Internet-Seiten veröffentlicht, obwohl diese Verpflichtung auch für sie gilt.

Bundesnetzagentur beaufsichtigt nur ein Viertel aller Netzbetreiber

Nach § 54 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes obliegt die Regulierung der Strom- und Gasnetze den Ländern, wenn jeweils weniger als 100.000 Kunden angeschlossen sind. Voraussetzung ist ferner, daß keines der Netze die Landesgrenzen überschreitet. In allen anderen Fällen ist die Bundesnetzagentur zuständig. In Mecklenburg-Vorpommern liegen nur die Stromnetze des Regionalversorgers Wemag und der Stadtwerke Rostock über dieser Schwelle. Die Gasverteilnetze werden dagegen vollständig erfaßt, weil sie alle weniger als 100.000 Abnehmer versorgen.

Insgesamt gibt es derzeit in Deutschland 883 Strom- und 726 Gasnetzbetreiber (siehe Auflistung nach Bundesländern). Davon fallen 110 Strom- und 80 Gasnetzbetreiber aufgrund ihrer Größe oder wegen der Überschreitung von Landesgrenzen in die originäre Zuständigkeit der Bundesnetzagentur. Außerdem beaufsichtigt die Bonner Regulierungsbehörde 98 Strom- und 96 Gasnetzbetreiber im Wege der Organleihe. Ihre originäre Zuständigkeit erstreckt sich somit nur auf rund zwölf Prozent der insgesamt 1609 Netzbetreiber, und weitere zwölf Prozent kontrolliert sie im Auftrag der Länder. Rein zahlenmäßig werden die deutschen Netzbetreiber somit zu gut drei Vierteln nicht von der Bundesnetzagentur, sondern von den Ländern beaufsichtigt. Entsprechende Regulierungsbehörden gibt es inzwischen in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Zunächst nahm die Hälfte der Länder die "Organleihe" in Anspruch

Von der Möglichkeit der "Organleihe" hatten nach Inkrafttreten des neugefaßten Energiewirtschaftsgesetzes im Jahr 2005 (050701) zunächst acht Länder Gebrauch gemacht, indem sie entsprechende Verwaltungsabkommen mit der Bundesnetzagentur abschlossen. Es handelte sich um Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen. Die anderen acht Bundesländer gründeten eigene Landesregulierungsbehörden (050707) oder beauftragten ihre Wirtschaftsministerien mit der Wahrnehmung der zusätzlich anfallenden Aufgaben.

Auch auf Landesebene muß die Regulierungsbehörde formal unabhängig sein

Die neuen EU-Richtlinien für die Binnenmärkte bei Strom und Gas (090401) verschärften die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden. Es wurde nun unzulässig, diese Aufgabe weisungsgebundenenen Personen oder Abteilungen innerhalb der Länderministerien übertragen. Auch Bayern und das Saarland errichteten deshalb 2013 bzw. 2015 unabhängige Regulierungskammern. Deren Mitglieder werden zwar von der Landesregierung ernannt. Sie haben aber ihre Tätigkeit laut Gesetz unabhängig von politischen Stellen und wirtschaftlichen Interessen auszuüben. Ein Sonderfall ist Hamburg, wo sich weder die Errichtung einer Landesregulierungsbehörde noch der Abschluß eines Organleihe-Vertrags lohnen, da die örtlichen Strom- und Gasnetzbetreiber sowieso der Bundesnetzagentur unterstehen. Die verbleibenden energierechtlichen Aufgaben werden hier von der Senatsbehörde für Umwelt und Energie wahrgenommen.

Folgt demnächst Schleswig-Holstein?

Zuletzt hatte Brandenburg auf die Regulierung in eigener Regie verzichtet und 2011 einen Organleihe-Vertrag mit der Bundesnetzagentur geschlossen. Zur Begründung hieß es, damit würde eine "Entlastung der Behörden des Landes" erreicht. Wenig später beschritt dann aber Niedersachsen als erstes Land den umgekehrten Weg, indem es den seit November 2005 bestehenden Organleihe-Vertrag mit der Bundesnetzagentur kündigte und per Gesetz die Regulierungskammer Niedersachsen errichtete, die zum 1. Januar 2014 ihre Tätigkeit aufnahm. Mecklenburg-Vorpommern wird vermutlich nicht das einzige Land bleiben, das diesem Beispiel folgt. Zumindest im benachbarten Schleswig-Holstein gibt es starke politische Unterstützung für die Forderung nach einer landeseigenen Regulierungsbehörde, die hauptsächlich von den Branchenverbänden VKU und BDEW erhoben wird. Zeitweilig war auch eine gemeinsame Regulierungskammer für die beiden nördlichen Bundesländer im Gespräch.

 

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