Februar 2017

170201

ENERGIE-CHRONIK


"Marktwächter Energie" soll für mehr Verbraucherschutz sorgen

Die Verbraucherzentralen wollen ihr "Marktwächter"-Konzept, das sie vor knapp zwei Jahren für die Bereiche "Finanzmarkt" und "Digitale Welt" gestartet haben, auf den Bereich "Energie" ausweiten. Das heißt, daß künftig Beschwerden aus dem Energiebereich mit besonderer Aufmerksamkeit gesammelt und zentral ausgewertet werden, um rechtzeitig gegen mißbräuchliche Geschäftspraktiken vorgehen zu können.

Die so gesammelten Erkenntnisse basieren im wesentlichen auf den Beschwerden, die den Verbraucherzentralen bei ihrer täglichen Beratungsarbeit bekannt werden. Sie dienen aber nicht nur deren eigenen Aktivitäten, sondern sollen eine Art Frühwarnsystem bilden, damit Aufsichts- und Regulierungsbehörden sowie die Politik nicht länger hilflos-untätig zuschauen, wenn die Verbraucher von skrupellosen Geschäftemachern über den Tisch gezogen werden. Außerdem sollen von den Dossiers auch Medien profitieren, die bisher vor einer kritischen Berichterstattung über Abzock-Unternehmen oft zurückschrecken, weil ihnen das Prozeßrisiko bzw. der für eine gründliche Recherche erforderliche Aufwand zu hoch ist.

Koalitionsvertrag hielt "Finanzmarkt" und "Digitale Welt" für besonders dringlich

In ihrem Koalitionsvertrag vom November 2013 hatten Union und SPD vereinbart, dem Verbraucherschutz endlich einen höheren Stellenwert einzuräumen und zu diesem Zweck eine zielgerichtete Marktbeobachtung einzuführen. Wörtlich heißt es darin:

"Wo Verbraucher sich nicht selbst schützen können oder überfordert sind, muß der Staat Schutz und Vorsorge bieten. Zudem muß er die Verbraucher durch gezielte und umfassende Information, Beratung und Bildung unterstützen. Dies gilt insbesondere für neue Bereiche wie den Finanzmarkt und Digitale Welt. Dafür wollen wir die bestehenden Verbraucherorganisationen mit einer speziellen Marktwächterfunktion 'Finanzmarkt' und 'Digitale Welt' beauftragen."

Die Aufnahme dieses Punktes in den Koalitionsvertrag erfolgte auf Drängen der Sozialdemokraten. Das von Heiko Maas (SPD) geleitete Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz stellte zunächst für die drei Jahre von 2015 bis 2017 jeweils 5,6 Millionen Euro zur Verfügung, um die als besonders dringlich geltenden Marktwächter für die Bereiche Finanzmarkt und Digitales mit Hilfe der bereits vorhandenen Infrastruktur der Verbraucherzentralen aufzubauen.

Care-Energy-Insolvenzen beschleunigen Ausweitung des Konzepts auf Energiemarkt

Die Erweiterung des Konzepts auf andere Bereiche war von Anfang an geplant. Einen "Marktwächter Energie" gab es bislang aber nur bei der Verbraucherzentrale Niedersachsen, die sich auch schon verschiedentlich mit dem Energieanbieter Care-Energy angelegt und vor dessen Aktivitäten gewarnt hat. Die bundesweite Ausdehnung dieses Ansatzes wird nun beschleunigt betrieben, nachdem die Insolvenz dieses obskuren Firmengeflechts (170202) erneut die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat, wie schutzlos die Verbraucher solchen Abzock-Unternehmen ausgeliefert sind. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz will zunächst eine Anschubfinanzierung von 1,5 Millionen Euro bereitstellen. Mit der Genehmigung des entsprechenden Projektantrags ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) geht davon aus, daß nach der Aufbauphase ein Jahresetat von fünf Millionen Euro erforderlich sein wird, um eine bundesweite Marktbeobachtung von sämtlichen schwarzen Schafen im Energiebereich sicherzustellen.

Care-Energy hat im vorigen Jahr rund ein Drittel aller Beschwerden bei der "Schlichtungsstelle Energie" verursacht, die vor fünf Jahren aufgrund von § 111b des Energiewirtschaftsgesetzes eingerichtet wurde und einen wirksamen Verbraucherschutz gewährleisten sollte (170203). Indessen hat sich gezeigt, daß eine derartige Institution nur bei Auseinandersetzungen mit halbwegs seriösen Unternehmen funktioniert. Eine vorsätzlich mißbräuchliche Geschäftspraxis kann sie nicht wirksam eindämmen und schon gar nicht unterbinden. Die Bundesnetzagentur wäre dazu schon eher in der Lage und als Aufsichtsbehörde sogar verpflichtet. Aber auch sie hat dem Treiben von Care-Energy bis zur jetzt erfolgten Insolvenzanmeldung keinen Einhalt geboten. Sie verteidigte ihre Untätigkeit mit dem Argument, daß die Untersagung der Geschäftstätigkeit ein "scharfes Schwert" sei, das nur als "ultima ratio" in Frage komme (170109).

BDEW sieht keinen Bedarf für den "Marktwächter Energie"

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lehnt die Einrichtung eines "Marktwächters Energie" ganz klar ab. Wie eine Sprecherin des Verbands gegenüber "energate" (20.2.) erklärte, vermag er "keinen Bedarf" zu erkennen. Der Energiemarkt funktioniere. Sein "beispiellos starker Wettbewerb" dulde kein unseriöses Verhalten. Die Kunden der Mitgliedsunternehmen würden regelmäßig eine hohe Kundenzufriedenheit bestätigen. Außerdem werde der Energiemarkt von Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur und der europäischen Regulierungsbehörde Acer bereits intensiv überwacht. Zahlreiche Vergleichsportale würden umfangreich über preisgünstige Angebote informieren. Zudem könnten sich die Kunden in Streitfällen jederzeit an die Schlichtungsstelle Energie wenden, an der auch die Verbraucherzentralen beteiligt seien.

Viele BDEW-Mitglieder leiden selber unter unsauberen Geschäftspraktiken

An dieser Stellungnahme verblüfft nicht nur der offenkundige Widerspruch zur Realität. Man darf auch stark bezweifeln, ob der BDEW hier tatsächlich für die Gesamtheit seiner Mitglieder spricht. Daß der "beispiellos starke Wettbewerb" kein unseriöses Verhalten dulde, mutet wie ein schlechter Witz an. Vor allem kleinere BDEW-Mitglieder leiden seit Jahren nicht nur unter der Schmutzkonkurrenz von mehr oder weniger fragwürdigen Internet-Angeboten, sondern auch unter den Drückerkolonnen, die von Haustür zu Haustür ziehen, um angeblich im Auftrag der Stadtwerke einen günstigeren Tarif anzubieten. Hinterher stellt sich dann heraus, daß sie die Kunden im Auftrag des RWE-Vertriebs "Eprimo" oder eines anderen potenten Branchenriesen regelrecht gekapert haben (161113). Aber auch ein Freibeuter wie Care-Energy sorgte mit seiner tausendköpfigen Werbertruppe für viel Ärger.

Vergleichsportale sind teilweise mit großer Vorsicht zu genießen

Die zahlreichen Vergleichsportale sind ebenfalls nicht unbedingt hilfreich, sondern teilweise mit großer Vorsicht zu genießen. Zum Beispiel hatte "Check 24" auch Care-Energy gelistet und erst abgesetzt, nachdem die Bundesnetzagentur im Sommer vorigen Jahres die Einleitung von zwei förmlichen Aufsichtsverfahren beschloß. Der führende Tarifvergleicher Verivox, der sich einst durch die Kooperation mit "Flexstrom" kompromittierte (111211), hatte dagegen seine Lektion gelernt und es vermieden, einem derart zwielichtigen Energieanbieter Vorspanndienste zu leisten. Dennoch gibt auch er weiterhin Anlaß zur Kritik. Zum Beispiel sind die Verivox-Seiten von vornherein so eingestellt, daß einmalige Boni in die Kosten eingerechnet werden und somit ein falsches Bild der längerfristig entstehenden Stromrechnungen entsteht. Wer mehr als einen kurzfristigen Liefervertrag will – der dann auch noch punktgenau gekündigt werden muß, um den rechnerischen Vorteil nicht zu verlieren – , muß erst einmal das entsprechende Häkchen entfernen.

Nachfrage blieb unbeantwortet

Als Hauptgeschäftsführer des BDEW amtiert seit knapp einem Jahr der frühere FDP-Politiker Stefan Kapferer (160115). Man könnte deshalb vermuten, daß die ultra-neoliberale Glorifizierung eines "beispiellos starken Wettbewerbs" mit angeblich eingebauter Selbstreinigung von unseriösen Praktiken seine Handschrift trägt. Die ENERGIE-CHRONIK hat vorsichtshalber beim BDEW nachgefragt, wieweit die erwähnte Stellungnahme einer anonymen Verbandssprecherin tatsächlich mit der Hauptgeschäftsführung abgestimmt war, bekam aber keine Antwort.

 

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