April 2017

170404

ENERGIE-CHRONIK


 


Selbst bei negativen Strompreisen besteht ein hoher "konventioneller Erzeugungssockel" (rot), der ungefähr fünfmal so groß ist wie die notwendige "Mindesterzeugung" aus Kohle, Gas und Kernkraft, die aus technischen Gründen am Netz bleiben muß (blau).

Bei negativen Strompreisen ist die konventionelle Einspeisung weit höher als technisch notwendig wäre

Wenn die Strompreise am Spotmarkt gegen null tendieren, ist das für die Betreiber von konventionellen Kraftwerken noch lange kein zwingender Grund, ihre Erzeugung auf das technisch notwendige Mindestmaß herunterzufahren. Das gilt sogar dann, wenn die Preise negativ werden, wenn also der Strom im vortägigen Handel verschenkt wird und der Abnehmer obendrein eine Zuzahlung bekommt. Das belegt der erste Bericht über die sogenannte Mindesterzeugung, den die Bundesnetzagentur am 11. April veröffentlichte.

Die Behörde untersuchte fünf ausgewählte Stunden aus der zweiten Jahreshälfte 2015, in denen an der Epex Spot negative Preise bei einer hohen Einspeisung an Wind- oder Solarstrom auftraten. Ihr besonderes Interesse galt dem verbleibenden Anteil an konventioneller Stromerzeugung aus Kohle, Gas oder Kernkraft. Sie unterschied dabei zwischen der "Mindesterzeugung", die vom Börsenpreis nicht beeinflußt werden kann, weil sie netztechnisch zur Aufrechterhaltung der Systemstabilität notwendig ist, und dem "konventionellen Erzeugungssockel", der aus anderen Gründen weiterhin eingespeist wurde, obwohl die Kraftwerksbetreiber jede Megawattstunde nur mit einer Zuzahlung zwischen 99 Cent und 29,93 Euro absetzen konnten.

"Etwa ein Viertel der in Deutschland in der Spitze einspeisenden Kraftwerksleistung reagiert nicht oder nur eingeschränkt auf Preise am Strommarkt", faßte Behördenchef Jochen Homann das Ergebnis zusammen. "Nur ein geringer Teil dieser Erzeugung ist netztechnisch erforderliche Mindesterzeugung."

Mangelnde Flexibilität und ökonomische Anreize setzen negative Preissignale außer Kraft

Die Behörde sieht in "technischen Inflexibilitäten" den Hauptgrund, weshalb das negative Preissignal bei den Kraftwerksbetreibern nicht ankommt bzw. ignoriert wird. Die Kraftwerke könnten für die wenigen Stunden mit negativen Großhandelspreisen nicht schnell genug herunter- und anschließend wieder heraufgefahren werden. Weitere Gründe seien ökonomische Anreize, die stärker wirken als die negativen Großhandelspreise. Dazu gehörten Wärmelieferverpflichtungen von KWK-Anlagen, Anreize aus den Regelungen zum Eigenverbrauch oder die Erbringung von Besicherungsleistung zur Bilanzkreisbewirtschaftung. Auch die Einnahmen aus den sogenannten vermiedenen Netzentgelten (161110) könnten in vielen Fällen die Verluste aus dem eigentlichen Stromgeschäft übersteigen.

Der Bericht bestätigt einen Befund, den vor drei Jahren schon die Initiative "Agora Energiewende" erhoben hat. Im Auftrag der Initiative hatte das Beratungsunternehmen Brainpool alle 97 Stunden mit negativen Strompreisen untersucht, die zwischen Dezember 2012 und Dezember 2013 bei der vortägigen Auktion an der Expex Spot aufgetreten waren. Dabei stellte sich heraus, daß die konventionelle Stromerzeugung nicht so zurückgefahren wurde, wie es die Erzeugung an Wind- und Solarstrom erfordert hätte, und daß die so entstandenen Negativpreise das EEG-Konto um fast 90 Millionen Euro belastet haben (140608).

"Bundesnetzagentur sollte Einspeisungsvorrang durchsetzen, anstatt nur Berichte zu schreiben"

"Es ist nicht weiter hinnehmbar, daß konventionelle Kraftwerke die Netze verstopfen, während sauberer Strom abgeregelt wird", meinte dazu der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). "Der weitaus größte Teil des konventionellen Erzeugungssockels ist netztechnisch nicht erforderlich und blockiert die Einbindung Erneuerbarer Energien. Das Bundeswirtschaftsministerium sollte die Bundesnetzagentur dazu auffordern, den gesetzlichen Vorrang Erneuerbarer Energien gegenüber den konventionellen Kraftwerken durchzusetzen, anstatt diesem Marktversagen nur zuzuschauen und Berichte zu schreiben."

Der Verband spricht damit den Einspeisungsvorrang an, den EEG-Strom nach § 11 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes genießt, der aber in der Praxis sehr oft mißachtet wird. Vergleicht man die explosionsartige Zunahme der "Ausfallarbeit" bei Wind- und Solarstromanlagen (161213) mit der geringen Strommenge aus der zwangsweisen Abregelung konventioneller Kraftwerke (160901), scheinen die Netzbetreiber sogar eher nach dem umgekehrten Prinzip zu verfahren. Im Bericht der Bundesnetzagentur wird dieses Problem völlig ausgeklammert, obwohl es eng mit dem Thema verbunden ist.

Bericht über Mindesterzeugung muß künftig alle zwei Jahre veröffentlicht werden

Der "Bericht über die Mindesterzeugung" wurde mit dem sogenannten Strommarktgesetz (160604) im Juni vorigen Jahres neu eingeführt und war gemäß § 63, Absatz 3a des Energiewirtschaftsgesetzes erstmals bis zum 31. März vorzulegen. Die folgenden Berichte sind ab 30. November 2019 mindestens alle zwei Jahre zu erstellen. Sie werden dabei jeweils einen Zeitraum von zwei Jahren umfassen, während sich der jetzige Bericht auf 2015 beschränkt und auch hier nur ein paar ausgewählte Stunden mit Negativpreisen betrachtet. Die Netzbetreiber wurden durch § 12, Absatz 5, Nr. 4 des Energiewirtschaftsgesetzes ausdrücklich verpflichtet, der Behörde auf Anforderung alle Daten zu übermitteln, die sie für die Anfertigung dieser Berichte benötigt.

 

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