Juni 2017

170602

ENERGIE-CHRONIK


Öffentlich-rechtlicher Vertrag zum Entsorgungsfonds unterzeichnet

Bundesregierung und KKW-Betreiber unterzeichneten am 26. Juni den öffentlich-rechtlichen Vertrag gemäß Artikel 9 des "Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Versorgung, das der Bundestag am 15. Dezember 2016 beschloß (161202). Das neun Seiten umfassende Papier dient der Absicherung der Gesetzgebung durch einen Vertrag, der unabhängig von Regierungswechseln und Parlamentsbeschlüssen gültig bleibt (siehe PDF). Zuvor hatte das Entsorgungsgesetz am 16. Juni von der EU die beihilferechtliche Genehmigung bekommen und war damit in Kraft getreten.

Der Vertrag bekräftigt die im Gesetz festgelegte Aufteilung der Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung. Demnach bleiben die Betreiber der Kernkraftwerke für Stilllegung, Rückbau und fachgerechte Verpackung der radioaktiven Abfälle verantwortlich. Deren Zwischen- und Endlagerung wird dagegen künftig vom Bund durchgeführt und finanziert. Um dem Staat die Übernahme dieser Ewigkeitslasten zu erleichtern, werden die KKW-Betreiber von den nominell 38 Milliarden Euro, die sie als Entsorgungs-Rückstellungen ausgewiesen haben, rund 23,5 Milliarden in den neu geschaffenen Entsorgungsfonds einzahlen.

KKW-Betreiber ziehen zwanzig Klagen zurück, die ohnehin größtenteils obsolet geworden sind

Zu den eher bescheidenen Gegenleistungen der KKW-Betreiber gehört die Rücknahme eine Reihe von Klagen, "soweit sie zum Inkrafttreten dieses Vertrages anhängig sind". Ferner verpflichten sie sich, keine ähnlich gearteten Klagen neu zu erheben.

Die insgesamt zwanzig Klagen beziehen sich auf lediglich drei Streitpunkte, die ohnehin größtenteils obsolet geworden sind. Allein zehn davon richten sich gegen § 9 Abs. 2a des Atomgesetzes, der im Juni 2013 durch das "Standortauswahlgesetz" eingefügt wurde und den E.ON, RWE und Vattenfall in einer konzertierten Aktion kippen wollten (141003). Die damit verfolgte Anfechtung der Schließung des Zwischenlagers Gorleben hat sich inzwischen erledigt, da das Entsorgungsgesetz die Zuständigkeit für die Zwischen- und Endlagerung dem Staat überträgt.

Von drei Klagen wegen des "Moratoriums" hätte nur eine Aussicht auf Erfolg gehabt

Drei weitere Klagen betreffen Schadenersatzansprüche, die RWE, E.ON und EnBW wegen des dreimonatigen "Moratoriums" angemeldet haben, mit dem die Bundeskanzlerin nach der Katastrophe von Fukushima ohne Rechtsgrundlage die Kernkraftwerke Biblis A und B, Isar 1 und Unterweser sowie Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 stillegen ließ. Aussichten auf Erfolg hatte hier sowieso nur die Klage von RWE (140110), während E.ON und EnBW sich vorhalten lassen mußten, gegen das rechtswidrige Vorgehen keine Rechtsmittel eingelegt zu haben (160704, 160404). Aber auch RWE hätte voraussichtlich nur eine zweistellige Millionensumme zugestanden bekommen (151214).

RWE wollte klären, wie die atompolitische Volte der schwarz-gelben Koalition zustande kam

Mit den fünf restlichen Klagen begehrte RWE von Bundes- und Länderbehörden den Zugang zu Unterlagen über das Zustandekommen der 13. Novelle des Atomgesetzes, mit der 2011 die schwarz-gelbe Koalition ihre atompolitische Volte vollzog. Diese Klagen waren zuletzt beim Bundesverwaltungsgericht anhängig und werden nun nicht mehr entschieden werden. Es bleibt aber sicher weiterhin ein interessantes Thema, wie damals zwischen der Kanzlerin, ihrem schwarz-gelben Kabinett und den CDU-geführten Landesregierungen jener Entscheidungsprozeß ablief, der erst zu dem rechtswidrigen "Moratorium" und anschließend zu der juristischen Stümperei bei der Re-Revision des Atomgesetzes führte (siehe Hintergrund, Februar 2015).

Klage gegen Kernbrennstoffsteuer war nicht Gegenstand der Verhandlungen

Bei ihren Verhandlungen über das Entsorgungsgesetz hatten Regierung und KKW-Betreiber von vornherein die beiden wichtigsten Klagen-Komplexe ausgeklammert, die gute Erfolgsaussichten hatten und den Atomkonzernen Milliardensummen einbringen konnten. So war bereits absehbar, daß die Kernbrennstoffsteuer vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben würde. Kurz vor Unterzeichnung des Vertrags erklärte das Gericht die Steuer tatsächlich für nichtig und verurteilte die Bundesregierung zur Rückzahlung von 6,285 Milliarden Euro plus Zinsen an die KKW-Betreiber (170601). Diese gravierenden Folgen für den Staatshaushalt hätten durch Rücknahme der Klage oder eine entsprechend höhere Einzahlung der KKW-Betreiber in den Entsorgungsfonds kompensiert werden können. Auf ein solches Junktim wurde aber auf Anweisung des Kanzleramts von vornherein verzichtet (siehe Hintergrund, Juni 2017). Als das Plenum des Bundestags im Dezember vorigen Jahres die KKW-Betreiber zum Rückzug sämtlicher Klagen aufforderte (161204), handelte es sich deshalb seitens der Regierungsparteien um ein reines Schattenboxen.

E.ON, RWE und Vattenfall haben noch weitere Milliarden-Forderungen in petto

Unberührt von der jetzt abgegebenen Verzichtserklärung bleiben auch die Schadenersatzansprüche, die E.ON, RWE und Vattenfall aufgrund des Urteils anmelden können, mit dem das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2016 die Schlampereien bei der Re-Revision des Atomgesetzes im Jahre 2011 rügte und die schwarz-gelben Zutaten zum Atomausstieg für entschädigungspflichtig erklärte (siehe 161201und Hintergrund, Dezember 2016). Bevor die Atomkonzerne konkrete Forderungen erheben, müssen sie allerdings abwarten, wie jene Gesetzesänderungen aussehen, die aufgrund des Urteils bis 30. Juni 2018 erledigt sein müssen.

Vattenfall betreibt auch weiterhin die Klage vor dem Schiedsgericht in Washington

Unabhängig davon hält der schwedische Vattenfall-Konzern die Klage aufrecht, die er vor dem Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington (ICSID) erhoben hat (141001). Vattenfall verlangt von der Bundesregierung 4,7 Milliarden Euro zuzüglich Zinsen an Schadenersatz, weil durch die im Juni 2011 beschlossene Änderung des Atomgesetzes die sofortige Stillegung seiner Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel verfügt wurde (siehe 110601 und Hintergrund, Oktober 2016). In dem erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird diese Maßnahme ebenfalls für unzulässig gehalten, weil Vattenfall damit keine Möglichkeit mehr hatte, die gesetzlich zustehenden Reststrommengen in eigenen Reaktoren abzuarbeiten.

 

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