Oktober 2017

171005

ENERGIE-CHRONIK


 

Kristek als Sponsor von Fußballvereinen mit dem Präsidenten des Hamburger Fußball-Verbands   Kristek als Volkstribun, der den Energiekonzernen weltweit den Kampf ansagt   Kristek als Wohltäter für Obdachlose mit dem Vorstand der Berliner Stadtmission
Fotos (3): obs/mk-group Holding GmbH/Care-Energy

100 Millionen Euro EEG-Umlage sind endgültig verloren

Die rund hundert Millionen Euro an Schulden, die der Stromanbieter Care-Energy durch Nichtabführen der EEG-Umlage angehäuft hat, lassen sich nicht mehr eintreiben. Wie das Amtsgericht Chemnitz am 2. Oktober mitteilte, hat es den Insolvenzantrag gegen die "Expertos Unternehmens- und Wirtschaftsberatungs GmbH & Co. KG" mangels Masse abgelehnt. Dabei handelt es sich um jene Firma, über die der inzwischen verstorbene Care-Energy-Gründer Martin Richard Kristek die EEG-Umlage hinterzogen hat und die deshalb vor zwei Jahren vom Landgericht Hamburg zur Nachzahlung von 85,5 Millionen Euro zuzüglich Zinsen verurteilt wurde (160309).

Schon damals war klar, daß das von Kristek aufgezogene Firmengeflecht nie in der Lage sein würde, den angehäuften Schuldenberg abzutragen. Dennoch konnte Kristek seine zwielichtigen Geschäfte fortsetzen, bis er Anfang dieses Jahres einem Herzinfarkt erlag (170109). Mit seinem überraschenden Tod entging er zugleich einem Strafprozeß wegen einer betrügerischen Pleite, die er bereits 2008 mit seiner "Euroenergie AG" hingelegt hatte. Die Anklage der Staatsanwaltschaft war in diesem Fall seit vier Jahren zugelassen, konnte aber wegen der Schlamperei eines Richters nicht verhandelt werden (170309).

Drei der vier Übertragungsnetzbetreiber gehen auf Tauchstation


Die "Konzernzentrale" von Care-Energy befand sich in diesem Lagerhaus im ehemaligen Hamburger Freihafen. Von hier aus steuerte Kristek eine tausendköpfige Werber-Truppe, die auf Provisionsbasis die Kunden keilte.

Kristek betrieb jahrelang und erfolgreich ein zielgerichtetes Katz-Maus-Spiel mit der Trägheit von Justiz, Behörden und Übertragungsnetzbetreibern, um von den unrechtmäßig erlangten Vorteilen möglichst lange profitieren zu können. Die Bundesnetzagentur und die für die Abführung der EEG-Umlage zuständigen Übertragungsnetzbetreiber müssen sich deshalb nun den Vorwurf gefallen lassen, gegen das Treiben des unseriösen Stromanbieters nicht rechtzeitig und entschieden genug vorgegangen zu sein.

Auf Anfrage der ENERGIE-CHRONIK wollten sich drei der vier Übertragungsnetzbetreiber nicht zur Ablehnung des Insolvenzantrags äußern. Auch die TenneT, die im Frühjahr 2017 in Abstimmung mit den drei anderen endlich den Antrag gestellt hatte, antwortete trotz Nachhakens nicht. Lediglich die am wenigsten betroffene TransnetBW reagierte: Sie verwies darauf, daß sie als einziger der vier Gläubiger schon in der ersten Prozeßrunde vor dem Hamburger Landgericht die Nachzahlung von einer Million Euro erwirkte und auch behalten durfte (160309). Die offen gebliebene Forderung aus der zweiten Prozeßrunde werde man weiterhin beizutreiben versuchen. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen vergleichsweise geringen Betrag von 3,5 Millionen Euro. – Wie sie diesen aus den Trümmern des Care-Energy-Firmengeflechts herausquetschen will, verriet TransnetBW allerdings nicht.

Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen Insolvenzverschleppung

Die Bundesnetzagentur hatte im Juni 2016 gegen die "Expertos" und deren faktische Nachfolgerin Care-Energy AG jeweils ein Aufsichtsverfahren eingeleitet, von denen man dann allerdings überhaupt nichts mehr hörte. Auf Nachfrage antwortete sie, daß diese Verfahren "derzeit nicht aktiv betrieben" würden. Die zuständige Beschlußkammer 6 stehe in Kontakt zum Insolvenzverwalter hinsichtlich des weiteren Fortgangs des Insolvenzverfahrens.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Care-Energy schon seit längerem im Visier, nachdem 2013 eine erste Anzeige wegen Insolvenzverschleppung zunächst im Sand verlaufen war. Auf Anfrage ließ sie wissen, daß die aufgrund von über zweihundert weiteren Strafanzeigen neu aufgenommenen Ermittlungen "von Anfang an auch wegen Insolvenzverschleppung geführt" worden seien. Die diesbezüglichen Akten lägen weiterhin dem Landeskriminalamt vor. Mit einem Abschluß der polizeilichen Ermittlungen sei frühestens in sechs Monaten zu rechnen.

Kristek betrieb ein erfolgreiches Verwirrspiel

Kristek hatte über rund ein Dutzend schwachbrüstiger Handelsregister-Konstruktionen ein derart verwirrendes Firmengeflecht errichtet, daß selbst drei der vier Übertragungsnetzbetreiber nicht durchblickten und ihre Klage auf Nachzahlung der EEG-Umlage an die falsche Adresse richteten. Nur TransnetBW verklagte die richtige Firma. Das Oberlandesgericht Hamburg hob deshalb die vom Landgericht bestätigten Zahlungsansprüche von 50Hertz, TenneT und Amprion aus rein formalen Gründen wieder auf (140909). Als es in einer zweiten Prozeßrunde schließlich allen vieren gelang, die Rückzahlung von 85,5 Millionen Euro zuzüglich Zinsen zu erwirken, spielte Kristek wiederum auf Zeit, indem er die nominelle Schuldnerin des Geldes zu einer reinen Briefkasten-Firma machte, sie von Hamburg in die sächsische Provinz verlagerte und überdies an einen ominösen Erwerber aus Tschechien verkaufte (160902). Es handelte sich um jene Firma "Expertos", über die jetzt mangels Masse nicht einmal das Insolvenzverfahren eröffnet werden konnte.

Kundenfang in Kooperation mit "Bild"


Seit Ende 2015 kooperierte der Axel-Springer-Verlag mit dem dubiosen Energieanbieter. Später war das Werbegeschrei von BILD-Energie für die Strom- und Gasangebote von Care-Energy im Netz nicht mehr auffindbar. Stattdessen warnt BILD vor der "Abzocke" durch ein Unternehmen, das bis vor kurzem noch Kooperationspartner war.

Nach außen präsentierte Kristek sich als eine Art Volkstribun, der die etablierte Stromwirtschaft mit Discount-Preisen für "Ökostrom" herausfordert. Dabei führte er bis 2015 keine EEG-Umlage ab und verfügte anscheinend nicht einmal über jene mehr oder weniger fragwürdigen Zertifikate, die üblicherweise die Augenwischerei mit "Ökostrom" legitimieren sollen (siehe Hintergrund Dezember 2013). Zeitweilig konnte er seinen Kundenfang sogar in Kooperation mit Springers "Bild" betreiben. Ferner gab er sich gerne als Wohltäter der Menschheit, indem er beispielsweise der hochwassergeschädigten Gemeinde Rathen in Sachsen ein Notstromaggregat spendierte (130615) oder die Berliner Stadtmission beim Aufbau eines Zeltes zum Aufwärmen für Obdachlose unterstützte. Für den "First Vienna Football Club" in Wien – er stammte aus Österreich – war er der Hauptsponsor. Aber auch für die Hamburger Fußballvereine HSV und HFV gab er viel Geld aus (siehe Fotos).

Der "Senator h.c., Assoz. Prof. Martin Richard Kristek", wie er sich zwischendurch bezeichnete, posierte auch schon mal vor dem bulgarischen Energieministerium, um so zu dokumentieren, daß ihn die bulgarische Regierung als Energieberater verpflichtet habe und er zur Umsetzung der vorzulegenden Reformvorschläge die Gründung eines Büros in Sofia beabsichtige. Nicht minder großspurig verkündete er nach der Katastrophe von Fukushima, daß er als Hamburger Netzbetreiber seinem Unternehmen "bis auf weiteres unter Berufung auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit den Netzzugang für Strom aus Atomkraftwerken" untersagt habe (130501).

Care-Energy lieferte den Kunden angeblich keinen Strom sondern "Nutzenergie"

Zu Kristeks phantasievollem Portefeuille im Handelsregister gehörte nämlich auch der Netzbetreiber "mk-grid". Der besaß zwar gar kein Netz, hatte aber laut Lieferverträgen bei den Care-Energy-Kunden die häusliche Elektroinstallation hinter dem Zähler samt den angeschlossenen Elektrogeräten gepachtet. Deshalb – so lautete das genauso schlitzohrige wie hirnrissige Argument – bezögen diese Kunden gar keinen Strom, sondern würden mit "Nutzenergie" beliefert. Und für diese Nutzenergie sei keine EEG-Umlage zu zahlen (siehe Hintergrund Mai 2013). Daß Kristek den Quatsch selber geglaubt hat, ist nicht anzunehmen. Aber so konnte er mit einem Scheinargument erst einmal eine juristische Auseinandersetzung beginnen, die nur auf Zeitgewinn angelegt war. Denn solange er die EEG-Umlage nicht abführte und diese auch nicht eingetrieben werden konnte, verfügte er gegenüber anderen Stromanbietern über einen unschätzbaren Konkurrenzvorteil. Und wenn er es geschickt anstellte, konnte er rechtzeitig etliches Geld in andere Kanäle leiten, bevor sein Firmengeflecht endgültig zusammenbrach.

Wer Kristeks Praktiken kritisierte, bekam es mit seinen Anwälten zu tun

Kristek scheute keine Kosten, damit verschiedene Bezahl- und Jubelmedien seine Verlautbarungen veröffentlichten und Care-Energy in ein möglichst günstiges Licht rückten. Noch wichtiger war ihm aber die Unterdrückung negativer Publizität. Dafür beschäftigte er am laufenden Band Anwälte, die unliebsame Kritiker mit Unterlassungserklärungen und Prozessen überzogen, um sie einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen (siehe 161013 und Hintergrund Juli 2016). Jahrelang gab es deshalb kaum eine kritische Berichterstattung über Care-Energy, während Tausende von Kunden oft der Verzweiflung nahe waren, weil sie sich mit unberechtigten Forderungen herumschlagen mußten oder nicht das ihnen zustehende Geld bekamen. Auch über die Ablehnung des Insolvenzantrags für die famose "Expertos" scheint bisher kein einziges Medium berichtet zu haben, obwohl dadurch die von der EEG-Umlage ohnehin gebeutelten Stromverbraucher mit hundert Millionen Euro zusätzlich belastet werden bzw. nun endlich die Gewißheit haben, daß es es in den Trümmern des Care-Energy-Geflechts nichts mehr zu holen gibt.

Schon kurz nach dem Tod des Chefs brach das Firmengeflecht wie ein Kartenhaus zusammen

"Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!" heißt es bei Wilhelm Busch, wo die Spitzbuben Max und Moritz am Ende einen gräßlichen Tod in der Getreidemühle erleiden. Bei Kristek und einigen seiner Gehilfen ließ sich absehen, daß sie zumindest in die Mühlen der Justiz geraten könnten. Und zwar nicht in die Mühlen der Zivilgerichte, die sie so gern und ausgiebig strapaziert haben, sondern die der Strafjustiz. Im Grunde war alles nur ein Spiel auf Zeit. Das gilt auch für das letzte Kapitel nach dem Tod des Chefs, als die verwaiste Gefolgschaft den ganzen Laden von Hamburg nach Bremen verlegte, im übrigen aber ankündigte, sie werde ihre Arbeit "im Sinne Kristeks fortsetzen" und sei "voll handlungsfähig". Vier Wochen danach meldeten die ersten drei Care-Energy-Firmen Insolvenz an (170202). Wenig später erklärten acht weitere Firmen ihre Zahlungsunfähigkeit (170309). Anscheinend hatte den Möchtegern-Erben mittlerweile gedämmert, daß es im Strafrecht den Tatbestand der Insolvenzverschleppung gibt und daß der auch für sie gilt.

 

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