Januar 2019

190103

ENERGIE-CHRONIK


 


Nicht rentabel und dennoch unverzichtbar: Das Gaskraftwerk Irsching widerspiegelt die Widersprüche, in die sich die neoliberale Energiepolitik verstrickt hat, wie kein anderer Standort in Deutschland. Nun soll Uniper neben den stillgelegten Blöcken 1 und 2, dem als Kaltreserve vorgehaltenen Block 3 und den aus Netzstabilitätsgründen auf behördliche Anweisung weiterbetriebenen Blöcken 4 und 5 sogar noch ein komplett neues Gaskraftwerk errichten, dessen Kosten mit den Netzentgelten die Stromverbraucher bezahlen müssen.
Foto: E.ON

Uniper bekommt Zuschlag für neues Gaskraftwerk in Irsching

Die ehemalige E.ON-Tochter Uniper, die seit Juni 2018 zu 47 Prozent dem finnischen Fortum-Konzern gehört (180605), hat vom Übertragungsnetzbetreiber TenneT den Zuschlag zum Bau eines Gaskraftwerks mit 300 Megawatt (MW) in Irsching bei Ingolstadt erhalten. Uniper wird das Kraftwerk bauen und später auch betreiben. Es soll ab dem 1. Oktober 2022 als Sicherheitspuffer dienen. Als sogenanntes "besonderes netztechnisches Betriebsmittel" wird es nicht dem Markt zur Verfügung stehen, sondern nur in besonderen Notsituationen kurzfristig hochgefahren, um die Systemsicherheit aufrechterhalten zu können.

Am Standort Irsching gibt es allerdings bereits die Gasblöcke 4 und 5 mit einer Gesamtleistung von 1.390 MW, die auf Anweisung der Bundesnetzagentur seit 2013 weiter einsatzfähig gehalten werden müssen, obwohl sie von den Betreibern zur Stillegung angemeldet wurden (130418). Deshalb wird dieses zusätzliche Kraftwerk möglicherweise nie zum Einsatz kommen. E.ON/Uniper und die kommunalen Miteigentümer von Block 5 dringen schon seit langem auf höhere Vergütungen für die weitere Vorhaltung der beiden Kraftwerksblöcke (150407). Nun bekommt Uniper sogar die Kosten für Errichtung, Vorhaltung und eventuellen Einsatz eines neuen Kraftwerks spendiert und damit durch die Hintertür doch noch jene bezahlte "Kapazitätsreserve", die bisher von der Politik abgelehnt wurde. Die Nürnberger N-ERGIE, der größte kommunale Miteigentümer von Block 5, warnt deshalb vor einer "teuren Investitionsruine".

Außenstehende irritiert dagegen eher, dass Uniper bisher in Irsching auf Weisung der Bundesnetzagentur den Block 3 mit einer Leistung von 375 MW als Kaltreserve vorhält. Weshalb wird anstelle eines teuren Neubaues nicht einfach diese Anlage aktiviert? – Der in Kaltreserve vorgehaltene Gasblock 3 wird nun wohl spätestens nach Fertigstellung der neuen Anlage zur endgültigen Stillegung freigegeben. Das ist zwar für Uniper eine vorteilhafte Lösung, nicht aber für die Stromverbraucher, die dafür aufkommen müssen. Anders verhielte es sich, wenn der Neubau und dessen Vorhaltung längerfristig billiger käme, weil sich aufgrund der speziellen Einsatzbedingungen der Aufwand an Technik und Personal entsprechend verrringern läßt. Auf Anfrage bei TenneT hieß es dazu aber nur, dass die Reaktivierung von Block 3 "nicht den Vorgaben des Gesetzgebers gerecht werden" würde.

Ursprünglich sollten solche "Netzstabilitätsanlagen" von den Netzbetreibern errichtet und betrieben werden

Der von Uniper zu errichtende Block 6 in Irsching ist eines von insgesamt vier neuen Kraftwerken mit einer Leistung von jeweils 300 MW, die Ende Juni 2018 von den Übertragungsnetzbetreibern TenneT, Amprion und TransnetBW ausgeschrieben wurden. Alle vier Projekte dienen nicht der Erzeugung von handelbarem Strom, sondern lediglich als Notfallreserve, falls wegen der Engpässe und beschränkten Redispatch-Möglichkeiten im deutschen Netz der Zusammenbruch der Stromversorgung drohen sollte. Sie werden nach netztechnischen Gesichtspunkten an vier verschiedenen Stellen im Süden Deutschlands errichtet. Mit dem Auftrag an Uniper hat TenneT nun als erster Übertragungsnetzbetreiber für die Region südliches Bayern den Zuschlag erteilt. Der ostdeutsche Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz ist nicht involviert, weil in seinem Bereich keine Notwendigkeit zur Errichtung solcher Anlagen gesehen wird.

Da diese Kraftwerke ausschließlich netztechnischen Zwecken dienen, sollten sie ursprünglich von den Übertragungsnetzbetreibern errichtet und betrieben werden können. Bei der Beratung des sogenannten Strommarktgesetzes im Juni 2016 wurde aufgrund einer kurzfristig vorgelegten Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses dem Energiewirtschaftsgesetz der § 13k eingefügt, der mit "Netzstabilitätsanlagen" überschrieben war. Demnach durften Betreiber von Übertragungsnetzen, "Erzeugungsanlagen als besonderes netztechnisches Betriebsmittel errichten, soweit ohne die Errichtung und den Betrieb dieser Erzeugungsanlagen die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems im Sinne von § 2 Absatz 2 der Netzreserveverordnung gefährdet ist". Die Übertragungsnetzbetreiber wurden aufgefordert, den Bedarf für solche Anlagen zu ermitteln und von der Bundesnetzagentur bestätigen zu lassen. Im Februar 2017 veranschlagten sie den notwendigen Bedarf mit 2 Gigawatt. Die Bundesnetzagentur bestätigte den Bedarf grundsätzlich, kürzte aber die beantragten 2 Gigawatt, mit denen die Übertragungsnetzbetreiber das gesetzlich vorgesehene Limit voll ausschöpften, auf 1,2 Gigawatt (170204).

EU-Kommission sah die neoliberale Dogmatik verletzt

Offenbar hatte man versäumt, die Gesetzesänderung ausreichend mit der EU-Kommission abzustimmen. Die Neuregelung widersprach nämlich einem grundlegenden Dogma der neoliberalen Brüsseler Energiepolitik, die auf einer chemisch reinen Trennung zwischen Kraftwerken und Netzen besteht, obwohl die Aufrechterhaltung der Systemsicherheit das eigentliche Geschäft der Netzbetreiber ist und der Stromnetzbetrieb ohne ständige Zufuhr von Regelenergie sofort zusammenbrechen würde. Die EU-Kommission legte sich jedenfalls quer und der nationale Gesetzgeber in Berlin gehorchte: Bei einer im Juni 2017 beschlossenen Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes wurde der § 13k komplett gestrichen. Stattdessen kam mit dem neuen § 11 Abs. 3 des Gesetzes ein schwächlicher Ersatz zustande: Begrifflich tauchten die "Netzstabilitätsanlagen" gar nicht mehr auf. Inhaltlich schrumpften sie zu "besonderen technischen Betriebsmitteln", derer sich die Netzbetreiber mit Hilfe Dritter bedienen können, die sie aber keinesfalls selber besitzen dürfen (170604 und Hintergrund, Februar 2018).

Seit den sechziger Jahren entstanden in Irsching insgesamt fünf Kraftwerksblöcke

Das Kraftwerk Irsching wurde in den sechziger und siebziger Jahren von den Isar-Amperwerken errichtet. Es umfaßte zunächst drei Blöcke mit 151, 312 und 415 MW , die für die wahlweise Befeuerung mit Öl oder Erdgas ausgelegt waren bzw. umgerüstet wurden. Über das Bayernwerk, das sich 1997 die Isar-Amperwerke einverleibte (970707), gelangte diese Kraftwerke im Jahr 2000 in den Besitz des damals entstandenen E.ON-Konzerns (000704). Der neue Eigentümer legte 2006 den Block 1 still und behielt den Block 2 nur noch als Kaltreserve, bis dieser 17 Jahre später ebenfalls stillgelegt wurde. Block 3 ging 2012 in Kaltreserve und sollte ebenfalls stillgelegt werden, was die Bundesnetzagentur jedoch verhinderte, weil er für die Netzstabilisierung benötigt wurde. Ersatzweise baute E.ON zwei neue GuD-Blöcke: Der Block 4, der im Juli 2011 mit einer Bruttoleistung von 569 MW und einem Wirkungsgrad von 60,4 Prozent ans Netz ging, erhielt zu Ehren des früheren Veba- bzw. E.ON-Chefs den Namen "Ulrich Hartmann" (000306). Bis zur Übergabe an E.ON wurde die Anlage von Siemens jahrelang auf eigenes Risiko gebaut, stufenweise ergänzt und im Probebetrieb getestet (050911). Der neue Block 5 mit einer Leistung von 860 MW und einem Wirkungsgrad von 59,7 Prozent nahm bereits im März 2010 den Betrieb auf. E.ON war hier aber mit 50,2 Prozent nur Mehrheitseigentümer. Die übrigen Anteile am "Gemeinschaftskraftwerk Irsching" (GKI) gehören bis heute der Nürnberger N-ERGIE AG mit 25,2 Prozent, der Frankfurter Mainova AG mit 15,6 Prozent und der Darmstädter HSE mit 9 Prozent (051110).

"Es könnte die absurde Situation entstehen, dass das neu geplante Kraftwerk nie zum Einsatz kommt"

Den kommunalen Minderheitseigentümern von Block 5 gefällt die Auftragserteilung an den Mehrheitseigentümer Uniper offenbar gar nicht. Zumindest gilt das für die Nürnberger N-ERGIE. "Leidtragende dieser verfehlten Energiepolitik sind die Stromkunden, die über steigende Netznutzungsentgelte die Zeche bezahlen müssen", erklärte der N-ERGIE-Vorstandsvorsitzende Josef Hasler am 10. Januar. "Da das neue Kraftwerk nur für den Übergangszeitraum bis zum Ausbau der Übertragungsnetze genutzt werden soll, schafft die Politik eine teure Investitionsruine und nimmt in Kauf, dass sich die Bürger von der Energiewende weiter abwenden."

Am Standort Irsching würden "bereits zwei der weltweit modernsten Gaskraftwerke weitgehend stillstehen", hieß in der Pressemitteilung des Nürnberger Kommunalkonzerns. Auch das neu geplante Gaskraftwerk Irsching 6 werde nur dann eingesetzt werden, wenn sehr kurzfristig zu wenig Strom aus Wind- oder Solaranlagen zur Verfügung steht. Allerdings würden die dadurch entstehenden Kosten komplett auf die Netzentgelte umgelegt. Dagegen vergüte die Bundesnetzagentur den Kraftwerken Irsching 4 und 5 lediglich die wenigen Stunden, an denen sie im Einsatz sind. Allein für das Gemeinschaftskraftwerk Irsching 5 würden sich die daraus entstehenden Verluste jährlich auf einen zweistelligen Millionenbetrag belaufen. Da in der Rangfolge der Netzreserve die Blöcke 4 und 5 den Vorrang vor dem neuen Block 6 haben werden, "könnte die absurde Situation entstehen, dass das neu geplante Kraftwerk nie zum Einsatz kommt".

 

Links (intern)

zu "netztechnischen Betriebsmitteln"

zum Standort Irsching