September 2019

190906

ENERGIE-CHRONIK


Hamburg hat jetzt auch die Fernwärme rekommunalisiert

Die Stadt Hamburg und der Vattenfall-Konzern unterzeichneten am 2. September den notariellen Kaufvertrag über die restlichen 74,9 Prozent der Anteile an der Vattenfall Fernwärme GmbH. Sechs Jahre nach dem erfolgreichen Volksentscheid für die vollständige Rekommunalisierung der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze wird damit der Bürgerauftrag komplett erfüllt (130901). Anders als beim Kauf der Gas- und Stromnetze gehen mitsamt den Fernwärmeleitungen auch die Erzeugungsanlagen ins Eigentum der Stadt über: Zum Vermögen der neuen städtischen Gesellschaft Wärme Hamburg GmbH (WHH) gehören das Heizkraftwerk Wedel, die GuD-Anlage in Tiefstack, der E-Kessel Karoline, das Heizwerk Haferweg und das Blockheizkraftwerk Allermöhe. Die WWH ist ihrerseits eine Tochter der Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement mbH (HGV), der bereits die Strom- und Gasnetzgesellschaften gehören.

Nur die Wasserversorgung blieb vom Privatisierungswahn verschont

Die Energieversorgung der Hansestadt oblag einst vollständig den "Hamburgischen Electricitäts-Werken" (HEW). In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre begann die in Hamburg regierende SPD jedoch mit der Privatisierung der HEW (970105), die im Herbst 2000 eine Tochter des Vattenfall-Konzerns wurden (001002) und schließlich völlig in diesem aufgingen (020106). Die HEW-Tochter Hein Gas, die für die Gasversorgung zuständig war, gelangte im Wege eines Tauschhandels an die E.ON Hanse, wofür Vattenfall das E.ON-Aktienpaket an der Berliner Bewag erhielt (020907). In kommunaler Hand verblieben nur noch die Hamburger Wasserwerke (HWW). Aber auch diese sahen sich vom neoliberalen Privatisierungswahn derart bedrängt, dass sie 2001 aus Protest ihren Austritt aus dem Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) erklärten (010809).

Option zum Rückkauf war bis Ende 2018 befristet

Um der zunehmenden Forderung nach einer Rekommunalisierung der Energieversorgung nachzukommen – und um zugleich eine echte Rekommunalisierung zu verhindern – hatte der SPD-Senat Ende 2011 beschlossen, jeweils 25,1 Prozent an den lokalen Netzen für Strom, Fernwärme und Gas zu erwerben und dafür insgesamt 544 Millionen Euro auszugeben (111107). Die Forderung nach einer mehrheitlichen Übernahme war damit aber nicht vom Tisch. Durch den erfolgreichen Volksentscheid wurde der Senat verpflichtet, die Viertelbeteiligungen an den Versorgungsnetzen auf hundert Prozent zu erhöhen. Bei den Verhandlungen mit Vattenfall einigte man sich relativ schnell über das Stromnetz, das schon 2014 den Eigentümer wechselte (140111). Noch im selben Jahr war auch E.ON bereit, das Gasnetz wieder der Stadt zu überlassen (141210, 170707). Für die Fernwärme vereinbarten Stadt und Vattenfall dagegen eine bis 2018 geltende Kaufoption. Erst im Oktober 2018 und gegen Widerstände innerhalb der SPD beschloss der rot-grüne Hamburger Senat, diese Option auszuüben und das Fernwärmenetz mit Wirkung zum 1. Januar 2019 zurückzukaufen (181011).

Verwirrspiel mit angeblich überteuertem Kaufpreis verfing nicht

Für die Übernahme des Fernwärmenetzes hatten der Senat und Vattenfall Anfang 2014 einen Mindestpreis von 950 Millionen Euro vereinbart (140111). Abzüglich der 325 Millionen Euro, die bereits 2012 für die Viertelbeteiligung gezahlt wurden, waren somit noch insgesamt 625 Millionen Euro für den kompletten Erwerb zu zahlen. Die Gegner des Rückkaufs bemühten zuletzt ein überaus fragwürdiges Gutachten, wonach dies Geldverschwendung sei, weil der Gesamtwert der Fernwärmeversorgung inzwischen viel weniger betrage. Bemerkenswerterweise bediente sich auch der Vattenfall-Konzern dieses Arguments, indem er rechtliche Bedenken vorschützte: Bei Vollzug des Kaufs drohe ein Beihilfeverfahren der EU-Kommission. Er könne deshalb dem vereinbarten Verkauf nur zustimmen, wenn die Wettbewerbsbehörde in Brüssel grünes Licht gebe. Anscheinend wollte Vattenfall das ganze Verfahren bis zum Ablauf der Optionsfrist verzögern, um Miteigentümer oder sogar Mehrheitsgesellschafter zu bleiben. Der Senat ließ sich auf dieses Verwirrspiel freilich nicht ein und bestand auf Ausübung der Kaufoption (181011). Am 15. April dieses Jahres kam dann der Bescheid von der EU-Kommission, die erwartungsgemäß keine Einwände hatte. Vor diesem Hintergrund konnte nun der notarielle Kaufvertrag mit nachträglicher Wirkung zum 1. Januar unterzeichnet werden.

 

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