November 1992

921104

ENERGIE-CHRONIK


Tauziehen um mitteldeutsche Braunkohle und Kraftwerk Lippendorf dauert an

Die Auseinandersetzung um die Übernahme der Mitteldeutschen Braunkohle AG (Mibrag) und die damit verbundene Errichtung von zwei 800 MW-Kraftwerksblöcken bei Lippendorf dauert an. Bewerber sind einerseits Bayernwerk, PreussenElektra und RWE, andererseits die amerikanische NRG Energy mit ihrer britischen Tochter PowerGen. Am 4.11. warfen Vertreter der Vereinigten Energiewerke AG (VEAG) und der Bayernwerk AG der Treuhandanstalt vor, die Errichtung des Kraftwerkneubaues bei Lippendorf durch Nachverhandlungen über den Preis für die Mibrag zu blockieren. Die Treuhand wies diesen Vorwurf am 6.11. zurück und erklärte, daß sie an einem gemeinsamen Angebot der Konkurrenten noch im November interessiert sei (Neue Zeit, 5.11. u. 9.11.; Berliner Zeitung, 7.11.; Handelsblatt, 9.11.; siehe auch 920906).

Das Bundeskartellamt zeigte sich befremdet über die Ankündigung von VEAG-Vorstandsmitglied Jürgen Stotz, daß weder VEAG noch Bayernwerk Strom aus einem von Ausländern errichteten Kraftwerk bei Lippendorf beziehen würden. Damit werde der Versuch gemacht, andere Anbieter vom Wettbewerb fernzuhalten. Die VEAG sei im Falle eines Kaufs der Mibrag durch NRG/PowerGen zur Abnahme des Stroms aus dem Kraftwerk Lippendorf verpflichtet. Notfalls werde dies per einstweiliger Verfügung sichergestellt (Handelsblatt, 9.11.; FR, 11.11.).

Der Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Horst Rehberger (FDP), erwartet eine Entscheidung über die Mibrag-Übernahme in den nächsten zwei bis drei Monaten. Vor allem das Konsortium NRG/PowerGen habe "ungewöhnlich interessante Vorschläge gemacht", sagte Rehberger am 16.11. im Anschluß an eine Sitzung des Wirtschaftskabinetts in Magdeburg. Es sei auch möglich, die Mibrag an beide Bewerber zu verkaufen (ADN, 16.11.).

Für die Berliner Zeitung (3.11.) deutet einiges darauf hin, daß die Treuhand mit Rückendeckung der Bonner Wirtschafts- und Finanzministerien entschlossen ist, die Mibrag und den Kraftwerksneubau bei Lippendorf an NRG/PowerGen zu vergeben. "Lippendorf, die Hundert-Seelen-Klitsche bei Leipzig, droht zum Waterloo für Deutschlands Stromkartell zu werden."

"Die Nerven der deutschen Wettbewerber liegen offensichtlich bloß", meinte das Handelsblatt (9.11.) zur Kritik von VEAG-Vorstandsmitglied Jürgen Stotz an der Treuhand. Die Berliner Zeitung (6.11.) kommentierte: "Wenn Rechnertypen der Kragen platzt, sollte man genau hinhören. Dann sind sie ehrlich. ... Der Mann hat gesagt, was in den Chefetagen deutscher Energieversorger gedacht wird. Dort hält sich die Hoffnung, man könnte den deutschen Energiemarkt abschotten. Kinderglaube angesichts eines geeinten Europas und der Tatsache, daß deutsches Kartellrecht schon heute jedem Energieerzeuger den Zugang zu Versorgungsnetzen erzwingen kann."