Juni 1993

930615

ENERGIE-CHRONIK


Experte kritisiert Berichterstattung über Leukämiefälle in der Elbmarsch

Ein Zusammenhang zwischen den Leukämie-Fällen in der Elbmarsch und dem Kernkraftwerk Krümmel sei bisher weder bewiesen noch widerlegt worden, betont der Epidemiologe Prof. Heinz Erich Wichmann in einem Artikel des Magazins Focus (7.6.). Wichmann widerspricht damit anderslautenden Interpretationen der Vergleichsstudie an Kindern aus der Elbmarsch und dem Raum Plön, die unter seiner Leitung am Münchener Institut für Strahlenhygiene im Auftrag der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein durchgeführt wurde und keine Anhaltspunkte für ein erhöhtes Leukämie-Risiko in der Umgebung von Kernkraftwerken erbrachte. Die Süddeutsche Zeitung (26.5.) habe aus dem Ergebnis der Studie unzulässigerweise gefolgert, daß ein Zusammenhang von Leukämie und Kernkraftwerken auszuschließen sei. Besonders willkürlich habe sich jedoch Der Spiegel (24.5.) des noch unveröffentlichten Materials der Studie bedient, um die These von einer angeblichen Verursachung der Leukämiefälle durch radioaktive Emissionen von KKW zu untermauern. Nach Wichmanns Eindruck geben sich die Medien zu wenig Mühe, komplexe Sachverhalte in der nötigen Differenziertheit darzustellen: "Es reicht einfach nicht, die Öffentlichkeit für eine schnittige Schlagzeile in ein Wechselbad zwischen Horrormeldung und Freispruch zu tauchen."

"Schilda in der Elbmarsch"

Die Zeit (25.6) fühlt sich angesichts der Diskussion um die Leukämiefälle in der Elbmarsch an ein "Schilda in der Elbmarsch" erinnert. Der Sinn für vernünftiges Maß sei abhanden gekommen: "Obwohl zwei unabhängige Expertenkommissionen nun jahrelang nach Schadensquellen in der Region gefahndet haben, scheuen sich die beiden Landesregierungen, in der endlosen Geschichte über Untersuchungen und immer neue Verdächtigungen einen Schlußpunkt zu setzen. Bisher wurden mehr als zwei Millionen Mark ausgegeben, ohne Ergebnis. Und dies war - aufgrund vieler Erfahrungen mit ähnlichen Untersuchungen im In- und Ausland - vorhersehbar. Doch Expertenkommissionen sind bewährte Placebos zur Beruhigung aufgeregter Gemüter. Solch teure Taktik mag sich ein reicher Staat leisten. Sie wird jedoch zum internationalen Ärgernis, wenn man bedenkt, daß der Uranbergbau in der DDR mehrere tausend Krebsopfer gefordert hat - wesentlich mehr als die Spätfolgen der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki. Obwohl in der Wismut-Problematik weitere Forschung dringend notwendig wäre und international angemahnt wurde: Dafür fehlt das Geld."