Juni 1997

970613

ENERGIE-CHRONIK


Stromversorger sollen Rückstellungen für Wiederaufarbeitung auflösen

Die Bundesregierung verfolgt weiter die Absicht, die Rückstellungen der Stromversorger für die Entsorgung und Beseitigung von Kernkraftwerken teilweise anzutasten, um damit Haushaltslücken zu schließen (siehe 970401). Bei den Abschlußberatungen zum Steuerreformgesetz 1999 beschloß am 19.6. die Koalitionsmehrheit im Finanzausschuß, daß die Stromversorger ihre Rückstellungen für die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstäben auflösen sollen. Außerdem ist beabsichtigt, die buchungstechnische Lebensdauer von Kernkraftwerken von bisher 19 auf 25 Jahre heraufzusetzen. Beide Maßnahmen zusammen würden nach Schätzungen von Experten binnen drei Jahren Mehreinnahmen von über zehn Milliarden Mark erbringen (FAZ, 20.6.; DPA, 24.6.).

Nach einer Meldung im Spiegel (9.6.) hat Bundeskanzler Kohl angeblich den Bundesfinanzminister Waigel gebeten, alle Pläne zum Anzapfen der Entsorgungs-Rücklagen ersatzlos fallenzulassen: RWE-Chef Dietmar Kuhnt habe den Kanzler überzeugen können, daß es den meisten SPD-regierten Ländern beim diesbezüglichen gemeinsamen Vorstoß der Länderfinanzminister (siehe 970401) nicht um Steuermehreinnahmen gehe, sondern um die Absicht, die Nuklearenergie mit dem Hebel des Steuerrechts unrentabel zu machen.

Die Stromversorger bekräftigten unterdessen, daß sie den Angriff auf die Entsorgungs-Rücklagen nicht widerstandslos hinnehmen würden. Der Präsident der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Heinz Klinger, warnte vor einer erneuten künstlichen Verteuerung des deutschen Kernenergie-Stroms im Vergleich zu anderen Ländern, falls die Rückstellungen entgegen der bisherigen Rechtslage beschnitten würden, "um kurzfristige Steuereinnahmen zur Deckung von Haushaltslücken zu erzielen". Das Bayernwerk verwies in einem Protestbrief an den Bundesfinanzminister darauf, daß die angeblich zu hohen bisherigen Rückstellungen von den Stromkunden finanziert worden sind. Bei einer teilweisen Auflösung müßten sie deshalb den Stromkunden in Form niedrigerer Strompreise zugute kommen, statt für die Schließung von Haushaltslöchern verwendet zu werden. Der Vorstandsvorsitzende von RWE Energie, Roland Farnung, charakterisierte die Pläne als den Versuch, "trickreich an fiskalische Mittel zu kommen". Badenwerk-Vorstandssprecher Gerhard Goll empfand es als "Skandal, wenn die Politik jetzt versucht, mangelnde Phantasie im Einsparen von öffentlichen Ausgaben auf diese Art auszugleichen" (FAZ, 24.6. u. 26.6.; DPA, 26.6.).

Die Süddeutsche Zeitung (13.6.) entdeckte eine "pikante Note" in der Auseinandersetzung um die Rückstellungen: "Dieselben Leute nämlich, die jetzt lauthals für eine Auflösung der Rückstellungen plädieren und den Versorgungsunternehmen vorwerfen, sie bereicherten sich durch unmäßige Reservebildung zu Lasten des Fiskus, haben über Jahre hinweg stets kritisiert, daß die Kosten der Kernkraft-Entsorgung viel höher zu veranschlagen seien und die Elektrizitätswirtschaft nicht ausreichend vorsorge. Aber was kümmert sie ihr Geschwätz von gestern, wenn es doch nur darum geht, den Kernkraftbetreibern eines auszuwischen, notfalls auch mit Hilfe einer Rolle rückwärts."