November 2000 |
001102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) drängt die Elektrizitätswirtschaft zu einer Art Selbstverpflichtung, keinen Strom aus ausländischen Kraftwerken zu importieren, die hinsichtlich ihrer Sicherheit oder Umweltfreundlichkeit nicht deutschen Standards entsprechen. Ersatzweise will er bei der anstehenden Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes der Bundesregierung die Möglichkeit einräumen, derartige Stromimporte zu verbieten. "Das Beste wäre eine entsprechende EU-Richtlinie", sagte Müller der Zeitschrift Capital (16.11.). "Wir dürfen uns nicht zu sehr vom Auslandsstrom abhängig machen. Schon gar nicht darf Deutschland zur Kloake für den schmutzigen Strom werden, der in europäischen Netzen frei rumschwirrt."
Die Financial Times Deutschland behauptete am 27.11., die Stromversorger seien zum Verzicht auf solche Importe bereit, wenn die Bundesregierung ihrerseits Zugeständnisse bei der Kraft-Wärme-Kopplung mache. Die Chefs der großen Stromkonzerne würden dem Bundeskanzler einen entsprechenden Vorschlag bei dem bevorstehenden Gespräch am 29.11. unterbreiten.
Der Vorstandsvorsitzende des E.ON-Konzerns, Ulrich Hartmann, erteilte solchen Spekulationen wenig später eine klare Absage. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (28.11.) hielt es Hartmann "für absolut unmöglich, dass wir die von Bundeswirtschaftsminister Müller geforderte freiwillige Selbstbeschränkung bei Stromimporten eingehen". Auch einer gesetzlichen Regelung, wie sie Müller ersatzweise anstrebt, räumte Hartmann keine Chance ein, da in Europa nun mal freier Handelsverkehr herrsche.
Ähnlich äußerte sich am 28.11. die
Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW). Importverbote seien
der falsche Weg, sagte VDEW-Präsident Günter Marquis anlässlich
einer Pressekonferenz in Berlin. Statt an Symptomen zu kurieren, müssten
die osteuropäischen Länder zur Übernahme der EU-Umweltstandards
gedrängt werden. Hinzu sei ein Verbot aus technischen und rechtlichen
Gründen nicht machbar. VDEW-Hauptgeschäftsführer Eberhard
Meller verwies in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit der "Stromwäsche"
durch Umleitung elektrischer Energie über andere Staaten.
Die Debatte um "schmutzigen Strom" aus dem Ausland hatte sich in letzter Zeit vor allem an der Inbetriebnahme des tschechischen Kernkraftwerks Temelin entzündet (001019). Anfang November blockierten Umweltschutzgruppen erneut Grenzübergänge von Österreich nach Tschechien. Die Regierungen in Prag und Wien verständigten sich am 1.11. darauf, die Überprüfung des Sicherheitsstandards von Temelin "auf ein europäisches Niveau zu stellen" (FR, 2. u. 3.11.).
Als "an den Haaren herbeigezogen" bezeichnete die E.ON Energie am 21.11. eine Kampagne der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), wonach sie Strom aus Temelin beziehe. Die vertraglichen Beziehungen mit dem tschechischen Stromversorger CEZ bestünden seit Jahren und machten gerade einmal 1,5 Prozent des gesamten Stromabsatzes der E.ON Energie aus. Es handele sich auch überwiegend um Mittellast- und Spitzenlaststrom, der typischerweise in Kohlekraftwerken erzeugt werde. Eine Erweiterung der Stromimporte sei nicht möglich, da die Kapazitäten der Netzkupplungen zwischen Deutschland und Tschechien bereits heute erschöpft seien.