August 2001 |
010814 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Stromkrise in Kalifornien (010614) gibt grundsätzlich Anlaß, über Gefährdungen der Versorgungssicherheit durch die Liberalisierung nachzudenken. Trotz höherer Kraftwerkskapazitäten und besserer Netztechnik zeichnen sich auch in Europa unter dem Druck des Wettbewerbs "erste bedenkliche Änderungen" ab. Zu diesem Schluß gelangt eine Studie von Manfred Horn und Georg Erber, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem Wochenbericht 32/01 veröffentlichte.
Im ersten Teil ihrer Studie skizzieren die Autoren den Ablauf der Liberalisierung in Kalifornien. Einer der gravierendsten Fehler sei das Einfrieren der Preise für Haushalte und Kleinverbraucher gewesen; ebenso die Verpflichtung der privaten Stromversorger, mindestens die Hälfte ihrer Kraftwerkskapazitäten zu verkaufen und zusätzlich benötigten Strom ausschließlich an der neu eingerichteten Strombörse zu kaufen. Dadurch sei der Anreiz entfallen, die vorhandenen Kraftwerkskapazitäten dem wachsenden Verbrauch anzupassen. Schon bei Beginn der Deregulierung im Jahre 1996 seien die Kapazitätsreserven mit 7 Prozent der Netzhöchstlast sehr gering gewesen und bis zum Jahr 2000 auf 3,5 Prozent gesunken.
Da die USA in Europa lange Zeit als Vorbild bei der Deregulierung der Stromversorgung galten, fragen die Autoren im zweiten Teil der Studie, wieweit die Krise in Kalifornien als Warnzeichen für Europa gelten könne. Aktuell sehen sie keine Gefährdung der Versorgungssicherheit, da hierzulande die Kraftwerkskapazitäten noch immer höher, die Netztechnik besser und die Zwänge zu kurzfristigem betriebswirtschaftlichen Denken nicht so ausgeprägt seien. Aber schon mittelfristig könnten auch in Europa im Zuge der Deregulierung die Versorgungsrisiken steigen. Als mögliche Auslöser führen sie an:
Wenn mehrere dieser Risiken gleichzeitig wirksam würden, könnten regionale Engpässe entstehen, die unter Wettbewerbsbedingungen schwieriger zu beherrschen sein dürften als in der regulierten Stromwirtschaft.
Grundsätzlich bringe der Wettbewerb "eine Reduzierung der Sicherheitsmargen mit sich, wenn keine adäquaten Märkte für langfristige Kapazitätsreserven zur Verfügung stehen". Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, müsse der Markt befähigt werden, entsprechende langfristige Signale zu übermitteln. "Es könnte sich deshalb anbieten" - so die Autoren - "den Stromerzeugern die Verpflichtung aufzuerlegen, Mindestreserven zu halten und einen Markt für langfristige Kapazitätsreserven zu schaffen". Dieser Markt wiederum müsse jedoch "hinsichtlich der Konsistenz der vereinbarten Kontrakte auch von einer zentralen Aufsichtsinstitution reguliert werden".
"Wir sind auf dem Weg nach Kalifornien", warnte Werner Leonhard, emeritierter Professor für Regeltechnik an der TU Braunschweig, am 6. Juli auf einer Informationsveranstaltung der Siemens Industrial Solutions & Services für die Fachpresse in Leipzig. Leonhard betonte, daß es technische Grenzen für den Wettbewerb gebe. Wegen dieser Grenzen sei auch ein Ausstieg aus der Kernenergie im Rahmen des bestehenden Netzes nicht problemlos durchführbar (ZfK/Technik, August 2001).
Prof. Leonhard hat die Probleme, welche die "Liberalisierung der elektrischen Energieversorgung aus technischer Sicht" mit sich bringt, im Jahrbuch der Braunschweigischen Wissenschaflichen Gesellschaft (S. 103-128, 2000) beschrieben. Ein Sonderdruck dieses Aufsatzes kann als PDF-Datei heruntergeladen werden.