September 2001 |
010902 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Bundeskartellamt verdächtigt 22 Betreiber von Stromnetzen, überhöhte Netznutzungsentgelte zu verlangen und andere Stromanbieter zu behindern. Wie das Amt am 27. September mitteilte, handelt es sich dabei um "Stadtwerke, Regionalversorger und Verbundunternehmen mit länderübergreifenden Netzgebieten". Die verdächtigten Unternehmen seien im Rahmen eines Vorverfahrens angeschrieben worden. Sie hätten nun vier Wochen Zeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Falls sich dann der Anfangsverdacht erhärte, werde ein förmliches Mißbrauchsverfahren eröffnet, wie es bereits gegen die e.dis Energie Nord AG (010202) im Gange sei.
Wie schon bei der e.dis Energie Nord stützt das Bundeskartellamt seine Vorwürfe auf eine Untersuchung der Netznutzungsentgelte für Industrie- und Gewerbekunden, die der Bundesverband der Energie-Abnehmer (VEA) im Juli 2001 veröffentlichte. Sie ergab Preisunterschiede bis fast 300 Prozent. Im Durchschnitt belief sich das Netznutzungsentgelt bei den 658 Netzbetreibern im Mittelspannungsbereich auf 6,22 Pf/kWh, wobei die Preise zwischen 4,42 Pf/kWh (Stadtwerke Steinheim) und 11,11 Pf/kWh (Stadtwerke Lengerich) lagen. Im Niederspannungsbereich betrug das Netznutzungsentgelt im Durchschnitt 13,20 Pf/kWh. Der günstigste Anbieter war in diesem Bereich das Bremische Hafenamt (6,71 Pf/kWh), der teuerste Anbieter die Stadtwerke Furth i. Wald, Bayern (25,28 Pf/kWh).
Die 22 Netzbetreiber, gegen die jetzt ermittelt wird, verlangen von Industrie- und Gewerbekunden um 10 Prozent bis 80 Prozent höhere Netznutzungsentgelte als RWE und Energie Baden-Württemberg (EnBW), deren Entgelte das Bundeskartellamt auf Grundlage der VEA-Studie als Referenzwerte betrachtet. Im Tarifkundenbereich differieren die verlangten Netznutzungsentgelte um bis zu dreißig Prozent.
Parallel zur Aktion des Bundeskartellamtes laufen Ermittlungen der Landeskartellbehörden. So wird allein in Bayern gegen zwanzig Stromversorger ermittelt. Auch in Hessen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es Vorverfahren. In Baden-Württemberg läuft sogar ein förmliches Mißbrauchsverfahren.
Bundeskartellamt und Landeskartellbehörden orientieren sich bei ihrem Vorgehen an dem Bericht, den eine gemeinsame Arbeitsgruppe im April dieses Jahres vorgelegt hat (siehe 010404).
Seit 1. August gibt es beim Bundeskartellamt eine neue Beschlußabteilung zur Verhinderung überhöhter Netznutzungsentgelte und sonstiger Diskriminierungen bei der Durchleitung, die mit sechs Personen besetzt ist. Im Bundeswirtschaftsministerium wurde außerdem eine zehnköpfige "Task Force" eingerichtet, die mit den Stromversorgern kooperiert. Sie soll - ohne rechtliche Befugnisse - Streitigkeiten um den Netzzugang gütlich klären bzw. Musterverfahren für das Bundeskartellamt vorbereiten.
Der Chef der Energie Baden-Württemberg (EnBW), Gerhard Goll, begrüßte das Vorgehen des Bundeskartellamts: "Endlich werden unsere monatelangen Mahnungen aufgegriffen und die offenkundigen und vielfältigen Verstöße von Netzbetreibern offenbar", erklärte er in einer Pressemitteilung am 27. September. Offenbar werde nun aber auch, "daß die ständigen Beschwichtigungen des VdEW und des VKU ein unredliches Verniedlichen eines groß angelegten Mißbrauchs sind". Die Branchenverbände hätten sich in dieser Frage "nicht mit Ruhm bekleckert" und ihre Glaubwürdigkeit sei erschüttert.
Entscheidungen des Bundeskartellamtes sollen künftig sofort vollziehbar sein. Eine entsprechende Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen kündigte die Abteilungsleiterin im Bundeswirtschaftsministerium, Christel Möller, bei einem Energieforum in Berlin an. Die Beschwerde von Netzbetreibern gegen Verfügungen des Bundeskartellamtes hätten dann keine aufschiebende Wirkung mehr (Handelsblatt, 20.9.; FR, 20.9.).