November 2001 |
011101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) hat am 27. November einen "Energiebericht" vorgelegt, in dem er davor warnt, die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der deutschen Energieversorgung durch überzogene Forderungen nach Klimaschutz zu gefährden. Der Bericht warnt ferner davor, die ohnehin starke Importabhängigkeit Deutschlands von Energierohstoffen bei Produkten wie Strom, Kraftstoffen und Heizöl zu vergrößern. Während die Öl-Verstromung unter dem Druck der Ölpreiskrise abgebaut worden sei und heute praktisch nicht mehr existiere, berge die zunehmende Verstromung von Gas das Risiko, die Erfahrungen der siebziger Jahre wiederholen zu müssen. Die einheimischen Energieträger Braunkohle und Steinkohle blieben weiterhin unentbehrlich. Zugleich müßten die erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden. Die Kernenergie verliere dagegen in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern an Bedeutung.
Dem Bericht liegen zwei Szenarien zugrunde, die von Prognos/EWI erarbeitet wurden. Das eine orientiert sich an der wahrscheinlichsten Entwicklung der Energiemärkte in Deutschland. Das andere unterstellt eine 40prozentige Reduzierung der CO2-Emissionen von 1990 bis 2020. Nach dem ersten Szenario würden die CO2-Emissionen gegenüber 1990 zwar nur um 16 Prozent reduziert, doch ließen sich die energiepolitischen Ziele der Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit einigermaßen gleichrangig erreichen. Beim zweiten Szenario würden dagegen erhebliche Kosten für die Gesamtwirtschaft und die privaten Haushalte entstehen und das Wirtschaftswachstum gefährdet. Unter anderem würde die Kohlenutzung massiv eingeschränkt und die Importabhängigkeit weiter zunehmen.
Der 144 Seiten umfassende Bericht unter dem Titel "Nachhaltige Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung" (Download) löste eine heftige Diskussion aus. Innerhalb der Koalition fühlten sich besonders die Grünen herausgefordert. Bundesumweltminister Trittin verwies noch am selben Tag auf das Ergebnis einer Prognos-Studie, wonach Klimaschutz zahlreiche neue Arbeitsplätze schafft (FAZ, 28.11.).
Zum Thema Klimaschutz verweist der Energiebericht auf das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung und die damit in Verbindung stehende Selbstverpflichtung der Wirtschaft zur Klimavorsorge (001010 u. 010601). Weitergehenden Forderungen wie der nach einer 40prozentigen Minderung der CO2-Emissionen bis 2020 erteilt er jedoch eine Absage. Deutschland sei schon heute Vorreiter beim Klimaschutz. Statt mit unverhältnismäßig großem Aufwand die nationalen Emissionsziele noch höher zu schrauben, sei es sinnvoller, die weltweit vorhandenen kostengünstigeren Potentiale zur Minderung der Treibhausgasemissionen zu nutzen, etwa durch den Handel mit CO2-Emissionen. "Solange die heutigen Ungleichgewichte in der Klimaschutzpolitik fortbestehen, nutzt es dem Klimaschutz wenig, wenn Vorreiter zu Einzelgängern werden", argumentiert der Bericht. "Nationale Erfolge im Klimaschutz werden absorbiert, wenn CO2-Emittenten lediglich über nationale Grenzen hinweg ausgetauscht werden."
Laut "Frankfurter Allgemeine" (27.11.) enthielt der Bericht in seiner ursprünglichen Fassung die Bemerkung, mit dem Ausstieg aus der Kernenergie werde nur das gemacht, was durch die Marktkräfte ohnehin passiert wäre. Auf Wunsch von Bundeskanzleramtschef Steinmeier sei dieser Satz gestrichen worden. Müller habe sich überzeugen lassen, daß eine derartige Feststellung den Atomkonsens als politischen Erfolg der Bundesregierung in Frage stellen und somit ein "politisches Eigentor erster Klasse" bedeuten würde.