Juni 2003 |
030601 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Richtlinien zur völligen Öffnung des europäischen Binnenmarktes für Strom und Gas sowie die Verordnung zum grenzüberschreitenden Stromhandel sind am 4. Juni vom Europäischen Parlament gebilligt und anschließend vom Ministerrat ohne Diskussion angenommen worden. Die Richtlinien liberalisieren die europäischen Strom- und Gasmärkte bis spätestens 1. Juli 2007 vollständig. Industriekunden können ihre Versorger schon ab 1. Juli 2004 frei wählen. Ebenfalls bis Mitte 2007 müssen alle Stromversorger - ausgenommen Verteilnetzbetreiber mit weniger als 100.000 Abnehmern - eine gesellschaftsrechtliche Trennung von Netz und Vertrieb durchführen ("legal unbundling"). In allen Mitgliedsländern sind nationale Regulierungsbehörden zu benennen, welche die Durchleitungsentgelte genehmigen.
Die Verordnung über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandelt gilt ab 1. Juli 2004. Sie billigt in Artikel 3 den Übertragungsnetzbetreibern einen Ausgleich für die Kosten zu, die ihnen durch grenzüberschreitende Stromflüsse entstehen. Sie lehnt es jedoch ab, diese Kosten den Exporteuren oder Importeuren von Strom abzuverlangen oder entfernungsabhängige Tarife einzuführen. Stattdessen sollen die Kosten von der Gesamtheit der jeweiligen nationalen Netzbetreiber getragen werden.
Zuvor hatten sich Ministerrat und Parlament im Streit um die Stillegungsfonds für Kernkraftwerke auf einen Kompromiß geeinigt. Entgegen den Wünschen von Grünen und Liberalen wird die Forderung nach staatlicher Kontrolle dieser Fonds nicht in die Strom-Richtlinie aufgenommen. Stattdessen wird der Richtlinie als Anlage eine sogenannte Interinstitutionelle Erklärung mit folgendem Wortlaut beigefügt: "Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission unterstreichen die Notwendigkeit für die Mitgliedsstaaten, dafür zu sorgen, daß angemessene finanzielle Ressourcen für Stillegungs- und Abfallbewirtschaftungstätigkeiten, die in den Mitgliedstaaten Gegenstand einer Rechnungsprüfung sind, tatsächlich für den Zweck, für den sie vorgesehen wurden, verwendet und in transparenter Weise verwaltet werden, um Hindernisse für einen fairen Wettbewerb auf dem Energiemarkt zu vermeiden."
Der Vorschlag für entsprechende Richtlinien war von der EU-Kommission erstmals am 13. März 2001 vorgelegt, von den Regierungschefs der EU aber wegen des Widerstands Frankreichs zunächst auf Eis gelegt bzw. mit starken Abstrichen versehen worden (010301 u. 020301). Am 25. November 2002 beschlossen die Energieminister der EU dann die vollständige Öffnung der Märkte für Strom und Gas bis 1. Juli 2007 für sämtliche Kunden bzw. 1. Juli 2004 für Industriekunden (021101). Das Europäische Parlament billigte den Vorschlag am 13. März 2002 in erster Lesung in den Grundzügen, verlangte aber einige Änderungen, die von der Kommission in ihrem geänderten Vorschlag teilweise berücksichtigt wurden. Unter anderem entfiel so die mögliche Befreiung von Großunternehmen vom "legal unbundling", die von deutscher Seite gewünscht worden war (030415).
Die europaweite Einführung nationaler Regulierungssysteme
werde die "bisherige Selbstbedienung der Wirtschaftsverbände beenden",
sagte der CDU-Abgeordnete Peter Michael Mombaur nach der Verabschiedung
der Richtlinien. Auch der SPD-Europaabgeordnete Bernhard Rapkay begrüßte
das Ende des "Abschottungskartells", das bisher in Deutschland mit den
Verbändevereinbarungen praktiziert worden sei. Die bis Ende 2003 befristete
Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen, die im Rahmen der jüngsten
Energierechtsnovelle erfolgte (030401), werde
keine Überlebenschance haben (VWD, 22.5.)