Oktober 2003

031002

ENERGIE-CHRONIK


Streit um Verantwortung für den Stromausfall in Italien

Die entscheidenden Ursachen für den landesweiten Stromausfall in Italien am 28. September 2003 (030901) lagen in der Schweiz. So interpretierten vor allem italienische Medien einen Zwischenbericht, den die "Union for the Coordination of Transmission of Electricity" (UCTE) am 27. Oktober veröffentlichte. Demnach hätte der Schweizer Netzkoordinator ETRANS die möglichen Konsequenzen von Störungen an zwei grenzüberschreitenden Leitungen nach Italien falsch eingeschätzt, was wiederum den italienischen Netzbetreiber GRTN veranlaßt haben soll, nur unzureichend für die Entlastung der Kuppelstellen mit dem Ausland zu sorgen.

Der Schweizer Netzkoordinator ETRANS betonte demgegenüber erneut, daß der Stromausfall bei richtiger Reaktion des GRTN zu verhindern gewesen wäre. Der UCTE-Bericht sei zwar sachlich richtig, fokussiere aber einseitig auf die Ereignisse in der Schweiz und stelle die Vorgänge beim GRTN nur ungenügend dar. Dies liege daran, dass ETRANS der UCTE alle notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt habe, während der GRTN beispielsweise seine Tonbandaufzeichnungen nicht offen gelegt habe.

 

Die Leitung Mettlen-Lavorgno in der Nähe des Baum-Überschlags
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Nach dem UCTE-Bericht begann die Verkettung der Ereignisse, die binnen einer halben Stunde in ganz Italien die Lichter ausgehen ließ, am frühen Morgen um 3.01 Uhr, als die 380-kV-Leitung zwischen Mettlen und Lavorgno über einen Baum kurzschloß und deshalb automatisch abschaltete. Mehrfache Versuche, die unterbrochene Verbindung wiederherzustellen, scheiterten an einem Schutzmechanismus, der wegen zu hoher Phasenwinkel-Differenz das Wiedereinschalten der Leitung blockierte.

Infolge des Ausfalls der Leitung Mettlen - Lavorgno mußte die benachbarte Leitung Sils - Soazza eine höhere Leistung aufnehmen. Diese Überlast hätte, wie es im UCTE-Bericht heißt, nicht länger als 15 Minuten dauern dürfen. Um 3.11 Uhr meldete sich der schweizerische Transportnetzbetreiber ETRANS beim italienischen Netzbetreiber GRTN in Rom und vereinbarte mit diesem, die italienische Stromimport-Leistung um 300 MW zu senken. Es handelte sich um jene Leistung, um die der italienische Stromimport zu diesem Zeitpunkt über der angemeldeten Last lag. Die italienische Seite leitete daraufhin die verlangte Reduzierung ein, und um 3.21 lag der italienische Stromimport in Höhe des "Fahrplans". Diese Reduzierung sowie ein paar innerschweizerische Maßnahmen konnten aber nach Ansicht der UCTE nicht ausreichen, um das Problem der Leitungsüberlastung zu beheben.

Um 3.25 Uhr brach auch die 380-kV-Leitung von Sils nach Soazza zusammen, weil es ebenfalls über einen Baum zum Erdschluß gekommen war. Wahrscheinlich war die Leitung dem Baum zu nahe gekommen, nachdem sie sich infolge der Überlastung zu sehr erwärmt hatte und entsprechend tiefer durchhing.

Nach dem Ausfall dieser zweiten Leitung folgte innerhalb von zwölf Sekunden kaskadenartig die Abschaltung der anderen grenzüberschreitenden Stromtransportleitungen nach Italien. In dieser Phase der Instabilität kam es in Norditalien zu einem starken Spannungsabfall, der die Abschaltung etlicher Kraftwerke bewirkte. Das italienische System war deshalb nicht mehr in der Lage, die nunmehr vom Ausland abgeschnittene Stromversorgung im Inselbetrieb aufrechtzuerhalten oder kontrollierte Abschaltungen durchzuführen, wie dies beim ersten Stromausfall am 26. Juni 2003 noch möglich gewesen war (030714). Zweieinhalb Minuten nach der Trennung vom übrigen UCTE-Netz kollabierte in ganz Italien die Stromversorgung.

Schweizer Netzbetreiber sehen sich bestätigt

Nach Ansicht der schweizerischen Netzbetreiber bestätigt der UCTE-Bericht ihre bisherige Position und deckt gleichzeitig gravierende Schwächen im Verhalten des italienischen Netzbetreibers GRTN auf. Wörtlich hieß es in einer ETRANS-Stellungnahme vom selben Tag:

"Der Ausfall der Lukmanier-Leitung in der Schweiz wurde dem GRTN von ETRANS rechtzeitig gemeldet. Zudem liegen dem GRTN die Messwerte über den Zustand des schweizerischen Netzes und der Grenzleitungen online vor. Dieser konnte somit die Veränderungen bei den grenzüberschreitenden Stromflüssen unmittelbar und laufend mitverfolgen. Der UCTE-Bericht unterstreicht ausdrücklich, dass jeder Netzbetreiber für sein Netz eigenverantwortlich ist. Der GRTN hat damit die volle Verantwortung, den Import in Italien zu überwachen und die Versorgung in Italien jederzeit sicherzustellen. Diese Verantwortung kann der GRTN nicht an die Schweiz abschieben. Angesichts dieser Situation ist es mit guter Geschäftspraxis unvereinbar, dass der GRTN nicht unverzüglich und genügend handelte. Der Blackout wäre bei richtiger Reaktion des GRTN zu verhindern gewesen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine Leitungsstörung an der Grenze Schweiz-Italien den Ausfall der gesamten italienischen Stromversorgung zur Folge hat."

Der Zusammenbruch der italienischen Stromversorgung gefährdete nach Feststellung des UCTE-Berichts auch das Gleichgewicht im übrigen westeuropäischen Verbundsystem, das nun plötzlich mit einem Überangebot von 6400 MW - der fahrplanmäßigen Importlast Italiens - fertig werden mußte. Unmittelbar nach dem Verlust der Synchronisation mit Italien stieg die Frequenz im UCTE-Netz auf 50,25 Hertz, um sich dann bei 50,20 Hertz zu stabilisieren (siehe Grafik). Normalerweise darf im UCTE-Netz die Frequenz nur um 0,05 Hertz von 50 Hertz abweichen. Die Situation konnte indessen durch die automatischen Regelvorrichtungen in den Kraftwerken und Netzleitzentralen unter Kontrolle gehalten werden, bis durch die Zurücknahme von Kraftwerkskapazitäten bzw. das Einschalten zusätzlicher Verbraucher (Pumpspeicherkraftwerke) Entlastung eintrat.

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