Oktober 2004 |
041009 |
ENERGIE-CHRONIK |
In der Bundesregierung gibt es Meinungsverschiedenheiten darüber, ob das deutsch-brasilianische Technologieabkommen aus dem Jahr 1975 unverändert fortgesetzt werden soll. Das Abkommen verlängert sich automatisch um fünf Jahre, wenn es nicht bis zum 18. November gekündigt wird. Dem "Handelsblatt" (25.10.) zufolge bereiten Außenminister Fischer und Umweltminister Trittin eine Änderung des Abkommens vor, wodurch die Lieferung von Kerntechnik eingeschränkt oder unterbunden würde. Dies würde vor allem den Siemens-Konzern treffen, der mit Angra 2 das zweite brasilianische Kernkraftwerk baute (000716) und für sich bzw. für das deutsch-französische Gemeinschaftsunternehmen Framatome auf weitere Geschäfte hofft. Siemens kann beim Widerstand gegen die Pläne der beiden grünen Minister auf die Unterstützung durch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) zählen.
Den Hintergrund bildet, daß Brasilien zur
Behebung seiner Energiekrise (010524) weitere Kernkraftwerke bauen und diese mit selbst erzeugten Brennelementen
betreiben will. Die Regierung bestreitet allerdings Planungen, die über die Vollendung des Reaktors "Angra 3" hinausgehen. Bisher werden die Brennelemente für die beiden laufenden Reaktoren
in Angra importiert. Eine Fabrik zur Produktion der Brennstäbe ist
bereits fertiggestellt. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA
hat aber noch keine Erlaubnis für den Produktionsbeginn erteilt, weil
die brasilianische Regierung den IAEA-Inspektoren keinen vollen Zugang
gewährt: Sie durften bisher nur die Zu- und Ableitungen zu den Zentrifugen
untersuchen, mit denen die Urananreicherung erfolgt, bekamen aber die Zentrifugen
selber nicht zu sehen. Die Regierung begründet dies damit, daß
Brasilien eine besonders neue, effektive Technik erfunden habe, die vor
Industriespionage geschützt werden müsse. Viel wahrscheinlicher
ist allerdings, daß Brasilien die Zentrifugentechnik illegal erworben
hat und dies verheimlichen will. Aber auch ein Mißbrauch der Zentrifugen
zur Herstellung von Material für Atombomben ist unter diesen Umständen
nicht auszuschließen, zumal das Land in den achtziger Jahren unter
der Militärdiktatur bereits einmal ein Atomwaffenprogramm verfolgt
hat (910721). In jedem Fall würde eine
erfolgreiche Weigerung Brasiliens die Position der IAEA gegenüber
Staaten wie Iran und Nordkorea schwächen, die ziemlich eindeutig
nach Atomwaffen streben und aus diesem Grund wirksame Kontrollen ihrer
kerntechnischen Anlagen durch die IAEA ablehnen. (SZ, 23.10.)