Oktober 2006

061009

ENERGIE-CHRONIK


"Die vom Bundesministerium für Wirtschaft erteilten Auflagen zur Erhaltung von Ruhrgas als deutsches Unternehmen sind mit Art. 56 EG unvereinbar."

(Seiten 19 - 22 aus dem Ergänzenden Sondergutachten zum "Zusammenschlussvorhaben der E.ON AG mit der Gelsenberg AG und der E.ON AG mit der Bergemann GmbH" , das die Monopolkommission am 5. September 2002 vorlegte)


II.1 Erhaltung von Ruhrgas als deutsches Unternehmen

35. Für den Fall, dass ein anderes Unternehmen eine Stimmrechts- oder Kapitalmehrheit an E.ON erwirbt oder dass E.ON eine Kapital- oder Stimmrechtsmehrheit an der Ruhrgas veräußert, wird der E.ON AG auferlegt, die Einwilligung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie einzuholen. Die Einwilligung darf nur versagt werden, wenn der Erwerber „begründeten Anlass zu der Besorgnis gibt, dass energiepolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt werden“. Ferner hat E.ON Ruhrgas „als importierendes Ferngasunternehmen mit Leitungsnetz und Bezugsverträgen“ im Wesentlichen zu erhalten. Diese Auflagen werden durch eine Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung abgerundet und gelten für einen Zeitraum von zehn Jahren.

36. Die genannten Auflagen unterscheiden sich von den im Fusionskontrollverfahren sonst üblichen Nebenbestimmungen dadurch, dass sie nicht auf die Untersagungskriterien des § 36 GWB, also auf die Marktstruktur bezogen sind. Sie sollen vielmehr dem vom Minister festgestellten Allgemeininteresse an der Erhaltung von Ruhrgas als deutschem Unternehmen zusätzliches Gewicht verleihen. Wenn man sich den Standpunkt des Ministeriums zu eigen macht, muss in der Tat die Dauerhaftigkeit der deutschen Kontrolle über Ruhrgas ein wesentlicher Faktor für das Gewicht dieses Allgemeininteresses sein, dem folglich auch besondere Bedeutung in der Abwägung von Wettbewerbsbeschränkung und Allgemeininteresse zukommt. Die Bedeutung der deutschen Kontrolle über Ruhrgas als Garant nationaler Versorgungssicherheit ist nämlich umso geringer, je weniger Gewähr dafür besteht, dass Ruhrgas nicht schon bald an ausländische Erwerber veräußert wird. Es ist allerdings fraglich, ob § 42 Abs. 2 Satz 1 GWB Auflagen dieser Art, die dem öffentlichen Interesse an der Wettbewerbsbeschränkung erst das hinreichende Gewicht verleihen, überhaupt zulässt.

37. Was zunächst die vom Bundeskartellamt nach § 40 Abs. 3 Satz 1 GWB zu erteilenden Auflagen betrifft, so steht außer Frage, dass sie sich lediglich auf die Marktstruktur beziehen können. § 40 Abs. 3 Satz 1 und § 42 Abs. 2 Satz 1 GWB sind sprachlich ganz und gar gleichlautend gefasst, wenn man einmal davon absieht, dass in dem einen Fall von einer Freistellung die Rede ist und in dem anderen Fall von einer Erlaubnis. Dies spricht dafür, dass auch die Auflagen des Ministers sich auf die Marktstruktur im Sinne des § 36 GWB beziehen müssen. Dafür spricht ferner, dass § 42 Abs. 2 Satz 2 GWB insgesamt eine entsprechende Geltung von § 40 Abs. 3 GWB für das Verfahren der Ministererlaubnis anordnet. Demgegenüber könnte geltend gemacht werden, dass der Minister andere materielle Entscheidungskriterien zu beachten hat als das Bundeskartellamt und dass deshalb auch § 40 Abs. 3 GWB in entsprechender Anwendung auf das Verfahren der Ministererlaubnis einen anderen, an die Entscheidungskriterien dieses Verfahrens angepassten Inhalt hat. Eine solche Mutation des § 40 Abs. 3 Satz 1 GWB durch entsprechende Anwendung im Verfahren der Ministererlaubnis wird indessen nicht dem systematischen Standort der Ministererlaubnis im Gesetz gerecht. Die Ministererlaubnis ist als Ausnahmeregelung konzipiert, die es gestattet, einen Zusammenschluss für den Fall zu verwirklichen, dass ein überragendes Gemeinwohlinteresse die Nachteile der Wettbewerbsbeschränkung überwiegt. Wenn das Gemeinwohlinteresse wegen der Dynamik der Kapitalmärkte oder sonstwie aus der Natur der Sache heraus von vorübergehender Art ist und ihm erst durch ministerielle Auflagen Dauerhaftigkeit und damit hinreichendes Gewicht verliehen werden muss, so ist es eigentlich nur ein Artefakt der ministeriellen Willensbildung. Es zeigt sich, dass der Minister ein öffentliches Interesse von hinreichendem Gewicht im Sinne des § 42 Abs. 1 GWB hier nicht feststellt, sondern durch seine Auflagen überhaupt erst selbst erzeugt. Dies ist nach dem Urteil der Monopolkommission nicht von § 42 GWB gedeckt.

38. Auch wenn man sich dieser Auffassung nicht anschließt, ist nicht zu verkennen, dass das Verbot der laufenden Verhaltenskontrolle gemäß § 40 Abs. 3 Satz 2 GWB auch für das Verfahren der Ministererlaubnis gilt, und zwar mit unverändertem Inhalt. Die jährliche Berichtspflicht, der E.ON nach der Verfügung des Ministeriums unterliegt, ist jedoch Teil einer solchen laufenden Verhaltenskontrolle, die sich auf die zu erhaltende deutsche Kontrolle über Ruhrgas richtet. Aber auch ohne eine solche Berichtspflicht wären die verschiedenen, auf die Konservierung des Status quo über zehn Jahre gerichteten Auflagen bezüglich der Anteilseignerschaft bei E.ON und Ruhrgas mit § 40 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 42 Abs. 2 Satz 2 GWB unvereinbar.

39. Rechtliche Bedenken ergeben sich gegen die Einwilligungserfordernisse im Falle des Mehrheitserwerbs bei E.ON und Ruhrgas ferner unter dem Gesichtspunkt der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 EG. Der Europäische Gerichtshof hat in drei Urteilen vom 4. Juni 2002 zu solchen staatlichen Zustimmungsvorbehalten Stellung genommen. (19) Diese Entscheidungen hatten nationale Regelungen aus Belgien, Frankreich und Portugal zum Gegenstand, die auf die eine oder andere Weise für bestimmte Wirtschaftszweige und insbesondere für den Energiebereich einen Zustimmungsvorbehalt der jeweiligen Regierung für den Erwerb von Unternehmensanteilen generell oder durch Ausländer vorsahen. Der Gerichtshof hat dabei zunächst festgestellt, dass sich der Anwendungsbereich der Kapitalsverkehrsfreiheit im Sinne des Art. 56 EG auch auf Direktinvestitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch den Erwerb von Aktien und beim Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt erstreckt. Er hat ferner festgestellt, dass nationale Regelungen, die solchen Anteilserwerb von einer regierungsamtlichen Zustimmung abhängig machen, Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit darstellen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass sich das Zustimmungserfordernis auf den Erwerb durch Ausländer beschränkt wie im Falle Portugals, sondern auch für eine diskriminierungsfreie Regelung, die für sämtliche Anteilserwerbe oberhalb bestimmter Schwellenwerte gilt, gleich ob Ausländer oder Inländer als Erwerber auftreten (so im Falle Frankreichs). Freilich können solche Beschränkungen, wie der Gerichtshof feststellt, gerechtfertigt sein, wenn es sich um Unternehmen handelt, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder von strategischer Bedeutung erbringen. Der Gerichtshof nennt vier Kriterien für eine solche Rechtfertigung:

– Es müssen die in Art. 58 EG genannten Gründe oder zwingende Gründe des Allgemeininteresses zur Rechtfertigung vorgebracht werden;

– die betreffenden Regelungen müssen für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedsstaates tätigen Personen oder Unternehmen gelten;

– sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten;

– sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, so dass sie dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

Bemerkenswert ist dabei, dass der Gerichtshof die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der nationalen Regelungen nicht den nationalen Stellen überlassen, sondern selbst vorgenommen hat. Er hat sowohl die französische wie auch die portugiesische Regelung als zu allgemein und zu unbestimmt verworfen. Die Ausübung des Zustimmungsvorbehalts der Regierung unterliege im französischen Fall „keiner Voraussetzung, abgesehen von einer allgemeinen Bezugnahme auf den Schutz der nationalen Interessen ... Die betreffenden Anleger erhalten keinerlei Hinweis darauf, unter welchen konkreten objektiven Umständen eine vorherige Genehmigung erteilt oder versagt wird. Bei einer derartigen Unbestimmtheit ist für den Einzelnen der Umfang seiner Rechte und Pflichten aus Art. 73 b EGV [jetzt: Art. 56 EG] nicht erkennbar, so dass eine solche Regelung gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstößt. Die fragliche Regelung geht somit eindeutig über das hinaus, was zur Erreichung des von der französischen Regierung angeführten Ziels ... erforderlich ist.“

40. Im Unterschied dazu hat der Gerichtshof die Klage gegen die belgische Regelung abgewiesen. Sie unterschied sich freilich von den französischen Bedingungen in zwei wesentlichen Punkten:

– Die belgischen Vorschriften sehen einen Genehmigungsvorbehalt nicht für den Erwerb von Unternehmensanteilen vor, sondern für die Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks der dem Unternehmen gehörenden Leitungen, die wichtige Infrastrukturen für die Beförderung von Energieerzeugnissen darstellen.

– Der Regierung steht kein Genehmigungsvorbehalt, sondern ein Widerspruchsrecht zu, das sie ausüben kann, wenn nach ihrer Auffassung die nationalen Interessen im Energiebereich beeinträchtigt sind.

41. Aus dem Vergleich der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ergibt sich folgendes Bild. Da das öffentliche Interesse eines Mitgliedstaates letztlich nur auf die Verfügung über die energiewirtschaftlichen Infrastrukturanlagen gerichtet sein kann, lassen sich nationale Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit nur rechtfertigen, wenn sie sich unmittelbar auf diese Verfügungsgewalt beziehen; Regelungen, die darüber hinaus das gesamte Trägerunternehmen und auch noch seine Konzernmutter gleichsam mit Beschlag belegen, sind unverhältnismäßig. Die vom Bundesministerium für Wirtschaft erteilten Auflagen gehen über diese Grenze hinaus, soweit sie darauf gerichtet sind, Ruhrgas als deutsches Unternehmen zu erhalten. Sie sind daher mit Art. 56 EG unvereinbar.

 

(19) 19 EuGH 4.6.2002 – Rs. C-483/99 (Kommission./.Französische Republik) EuZW 2002, 433; EuGH 4.6.2002 – Rs. C-503/99 (Kommission./.Königreich Belgien), EuZW 2002, 429; EuGH 4.6.2002 – Rs. C-367/98 (Kommission./.Portugiesische Republik), EuZW 2002, 437.