Januar 2008 |
080111 |
ENERGIE-CHRONIK |
Zwischen der Stadt Tübingen und der Energie Baden-Württemberg (EnBW) kam es Ende Dezember zu einem öffentlich geführten Schlagabtausch wegen der beiderseitigen Werbemethoden. Vorübergehend schien es, als habe sich der aggressiv-anmaßende Stil der EnBW auch nach dem Abtritt des früheren Vorstandsvorsitzenden Utz Claassen noch nicht geändert. Dann aber blies der neue Konzernchef Hans-Peter Villis die auf der zweiten Führungsebene ausgeheckte Strafaktion gegen die Stadtwerke Tübingen ab – zumindest, was die juristische Seite der Auseinandersetzung betrifft.
Den Hintergrund bildete, daß die EnBW im vergangenen Jahr in den Gemeinden Ammerbuch, Waldenbuch und Dettenhausen die Konzession für die Stromnetze an die Stadtwerke Tübingen verloren hat. Die EnBW Regional versuchte daraufhin, verlorenes Terrain wiederzugewinnen, indem sie mit ungewöhnlich großem Aufwand ihre Kundenwerbung in Tübingen verstärkte. Als Reaktion auf diese Kampagne der EnBW schalteten die Stadtwerke in der örtlichen Tageszeitung eine Anzeige, in der Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) die Bürger aufforderte, ihren Strom von den Stadtwerken statt von der EnBW zu beziehen. Unter Anspielung auf die weithin als skandalös empfundene Frühpension für den EnBW-Vorstandsvorsitzenden Utz Claassen (070803) stellt Palmer fest, daß die Stadtwerke Schwimmbäder und Busse statt Vorstandspensionen finanzieren würden. Mit Blick auf die Abhängigkeit der EnBW von der Electricité de France (EDF) merkte er außerdem an, daß die Stadtwerke ihre Gewerbesteuer in Tübingen entrichten würden, anstatt Dividenden nach Paris zu überweisen.
Die EnBW Regional reagierte auf diese Werbeanzeige mit einem Anwaltsschreiben, in dem sie den Stadtwerken und Palmer mit einer Klage wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht drohte, wenn sie nicht binnen zwei Wochen eine beigefügte Unterlassungserklärung unterzeichnen würden. Palmer sei als öffentliche Person zur Neutralität verpflichtet. Wenn er seine Interessen als Vorstand der Stadtwerke mit denen eines Oberbürgermeisters "verquicke", nutze er das Vertrauen der Bürger als Vorteil für wirtschaftliche Interessen. Ein weiterer Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht sei es, wie Palmer die EnBW herabsetze, indem er auf die Vorstandspension für Claassen und die Dividenden für die EDF verweise.
Palmer wandte sich daraufhin in einem Schreiben direkt an den neuen EnBW-Vorstandsvorsitzenden Hans-Peter Villis und gab diesem zu bedenken, ob eine gerichtliche Auseinandersetzung wirklich im Interesse des Konzerns liege: Einerseits könne er sich als Oberbürgermeister "die Feststellung wahrer Tatsachen nicht verbieten" und auch nicht vorschreiben lassen, politische Aussagen vorher mit der EnBW abzustimmen. Andererseits werde die fragliche Anzeige ohnehin kein weiteres Mal erschienen, da der Werbeetat der Stadtwerke dies nicht zulasse. Villis ließ sich überzeugen und wies kurz vor Weihnachten die EnBW Regional an, nicht auf der geforderten Unterlassungserklärung zu bestehen. Anscheinend wußte er bis dahin gar nichts von dem Streit.
In dem Schreiben an den EnBW-Chef hatte der Oberbürgermeister nochmals verdeutlicht,
weshalb er so massiv für die Stadtwerke warb: Seit zwei Monaten habe die EnBW
sechsstellige Beträge für Anzeigenkampagnen ausgegeben, um sich in der Tübinger
Lokalpresse als Sachwalter der erneuerbaren Energien und des Energiesparens darzustellen.
Außerdem habe sie ein neues Kundenbüro schräg gegenüber seinem
Amtssitz eröffnet. Da die EnBW in Tübingen nur etwa drei Prozent der Privatkunden
beliefere, sei dieser Aufwand aus wirtschaftlicher Sicht für ihn nicht nachvollziehbar.
Er sehe darin vielmehr eine "politische Strafaktion" gegen einen "unbotmäßigen
Wettbewerber". Offensichtlich könnten es die Mitarbeiter der EnBW Regional
nicht verkraften, daß die Stadtwerke Tübingen bei drei Konzessionen in
ihren Nachbargemeinden den Vorzug erhalten hätten. Mit dem unverhältnismäßigen
Werbefeldzug habe die EnBW wohl vor allem demonstrieren wollen, über wieviel
Geld sie in ihren "Kriegskassen" verfüge, falls die Stadtwerke Tübingen
nicht aufhören würden, ihr Konkurrenz zu machen.