April 2009

090412

ENERGIE-CHRONIK


EDF ließ Greenpeace und andere Kernkraftgegner bespitzeln

Der französische Stromkonzern Electricité de France (EDF) hat Kernkraftgegner bespitzeln lassen. Ziel der Ausforschung waren vor allem Greenpeace Frankreich und die Anti-Kernkraft-Organisation "Sortir du nucléaire". Der Schuß ging jedoch nach hinten los, nachdem diese Praktiken an die Öffentlichkeit gelangten. Am 10. April gab die EDF bekannt, daß sie ihre beiden obersten Sicherheits-Verantwortlichen vorläufig ihrer Ämter enthoben habe. Sie wolle damit für die reibungslose Durchführung der Ermittlungen sorgen, die sich nunmehr gegen die EDF richten, weil sie unbefugt in elektronische Datensysteme eingedrungen ist.

"EPR = Gefahr" schreiben hier Greenpeace-Aktivisten auf einen der Kühltürme des Kernkraftwerks Belleville.
Foto: Greenpeace

Vertrauliches Papier zur Terror-Sicherheit des EPR gelangte an die Öffentlichkeit

Die Affäre begann vor sechs Jahren, als ein vertrauliches Schreiben der EDF an die nukleare Sicherheitsbehörde ASN in die Hände der Anti-Kernkraft-Organisation "Sortir du nucléaire" gelangte. Aus dem Papier ließ sich entnehmen, daß auch der "Europäische Druckwasser-Reaktor" (EPR) einem gezielt geführten Terroranschlag mit einer entführten Passagiermaschine nach Art des Angriffs auf das "World Trade Center" in New York nicht standhalten würde. Bei der Entwicklung des EPR, der ursprünglich ein deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt war, hatte man nämlich lediglich Abstürze von Militärmaschinen berücksichtigt, wie sie damals vor allem in der Bundesrepublik relativ häufig vorkamen. In dem dem Schreiben an die ANS hieß es, daß die EDF trotz des Anschlags vom 11.11.2001 nicht beabsichtige, den EPR nachträglich gegen "jede Art kriegerischer Einwirkung oder jeden denkbaren Terroranschlag" zu immunisieren. Inzwischen soll nach Angaben des französischen Nuklearkonzerns Areva dieses Papier aus dem Jahre 2003 überholt sein, weil doch noch Verstärkungen am Reaktorgebäude vorgenommen worden seien. Es bleibt aber unklar, wie effizient diese Nachrüstung ist.

Kernkraftgegner reagierten auf Vorwurf des Geheimnisverrats mit massenhafter Publizität im Internet

Als "Sortir du nucléaire" im November 2003 über das vertrauliche Papier berichtete, hielt sich die Aufregung in Grenzen. Daß alle bestehenden Reaktor-Ummantelungen keinen hinreichenden Schutz vor Terrorangriffen aus der Luft boten, war ohnehin bekannt und nicht nur in Deutschland Gegenstand einer lebhaften Debatte (011002). Höhere Wogen schlug die Sache erst, als die Staatsanwaltschaft nach der undichten Stelle bei der EDF fahndete. Im Zuge ihrer Ermittlungen wurde am 16. Mai 2006 der Sprecher von "Sortir du nucléaire", Stéphane Lhomme, vom Inlandsgeheimdienst "Direction de la surveillance du territoire" (DST) verhört und erst nach 14 Stunden wieder entlassen. Am 25. März 2008 wurde Lhomme erneut durch die DST verhört. Die Behörden verdächtigten ihn der "Preisgabe nationaler Verteidigungs-Geheimnisse", worauf bis zu fünf Jahre Gefängnis stehen. Um diesen Vorwurf zu entkräften und ihn der Lächerlichkeit preiszugeben, publizierte "Sortir du nucléaire" am 17. Mai 2006 das elfseitige EDF-Papier komplett im Internet (siehe Link). Rund hundert andere Organisationen - darunter verschiedene Gliederungen der französischen Grünen sowie Greenpeace in Frankreich, Deutschland und Großbritannien - veröffentlichten das EDF-Dokument ebenfalls auf ihren Internet-Seiten.

EDF ließ Greenpeace-Computer knacken und verwahrte die Ausbeute im Panzerschrank

Zusätzlich zu den geheimdienstlichen Ermittlungen beauftragte die Sicherheitsabteilung der EDF 2006 die schweizerische Detektei Securewyse mit der Überwachung des Organisationssprechers Stéphane Lhomme. Ferner setzte sie die französische Sicherheitsfirma Kargus Consultants auf Greenpeace und andere atomkritische Organisationen an. Vor allem sollte der damalige Kampagnendirektor von Greenpeace Frankreich, Yannick Jadot, ausgeforscht werden (er kandidiert zur Zeit auf der Liste der Grünen fürs Europäische Parlament). Ein Informatiker hat gestanden, im Auftrag von Kargus Consultants in den Rechner von Yannick Jadot eingedrungen zu sein und das erbeutete Material für die EDF kopiert zu haben. Anscheinend waren auch Teile der Polizei und der DST bei der Bespitzelung und Unterwanderung der Organisation zu Diensten. Die Leiter der Sicherheitsabteilung - der frühere Konteradmiral Pascal Durieux und sein Stellvertreter Pierre François, die jetzt suspendiert wurden - kamen ohnehin aus diesem Milieu, das in Frankreich keine säuberliche Trennung zwischen polizeilichen und geheimdienstlichen Funktionen kennt.

Die Ermittlungen wegen des Eindringens in den Greenpeace-Computer laufen anscheinend schon seit zwei Jahren. Publik wurde die Affäre aber erst am 18. März, als die Satire-Zeitung "Le Canard Enchaîné" über den Hacker-Angriff berichtete. Von der EDF war dabei noch nicht die Rede, sondern nur von einer mutmaßlichen Verbindung zu Unternehmen des Energie- und Rüstungsbereichs. Am 31. März berichtete das Internetportal "Mediapart" über die Vernehmung der beiden EDF-Sicherheitschefs durch den Untersuchungsrichter. Am 8. April konnte "Le Canard Enchaîné" mit weiteren Details aufwarten: Im Panzerschrank von Pierre François war eine CD mit Bildschirmaufnahmen und Dateien aus dem Greenpeace-Computer von Yannick Jadot beschlagnahmt worden. Außerdem enthüllte das Blatt den EDF-Auftrag zur Bespitzelung des Sprechers von "Sortir du nucléaire". Damit war es der EDF nicht mehr möglich, die Verantwortung für die Bespitzelungsaktionen dem Übereifer von untergeordneten Hilfskräften zuzuschieben. Indessen halten die Betroffenen auch die Suspendierung der beiden Sicherheitschefs für ein Bauernopfer. Am 16. April forderte Greenpeace den Innenminister Borloo auf, nun seinerseits den EDF-Chef Gadonneix zu suspendieren und eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der französischen Nuklearindustrie einzusetzen.

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