Oktober 2010 |
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ENERGIE-CHRONIK |
Der Einstieg beim US-Kernkraftwerksbetreiber Constellation Energy (081214) wäre für die Electricité de France (EDF) fast zu einem Fiasko geworden. Jetzt kommt es für die EDF zwar nicht ganz so schlimm, aber ein blaues Auge trägt sie doch davon. Wie sie am 27. Oktober mitteilte, verzichten die amerikanischen Geschäftspartner auf eine damals vereinbarte Option, die es ihnen erlaubt hätte, innerhalb von zwei Jahren den Franzosen ihren gesamten nicht-nuklearen Kraftwerkspark zu verkaufen. Im Gegenzug übernimmt EDF für 140 Millionen Dollar den 50-Prozent-Anteil von Constellation an der bisher gemeinsamen Kernkraftwerksgesellschaft UniStar.
Anfang Oktober hatten die US-Geschäftspartner wissen lassen, daß sie von der Option zum Verkauf ihres nicht-nuklearen Kraftwerksparks für bis zu zwei Milliarden Dollar Gebrauch machen würden. Da der Wert dieser Gas- und Kohlekraftwerke inzwischen stark gesunken ist, hätte Constellation dadurch einen hohen Gewinn zu Lasten der EDF erzielt. Zugleich kündigte Constellation an, vom vorgesehenen Bau eines neuen Reaktors im Kernkraftwerk Calvert Cliffs Abstand zu nehmen. Von den weiteren Kernkraftwerken, die durch die gemeinsame Gesellschaft UniStar den bestehenden drei Kernkraftwerken von Constellation hinzugefügt werden sollten, war schon gar nicht mehr die Rede.
In einem vom 13. Oktober datierten Brief an Constellation-Geschäftsführer Michael J. Wallace ("Dear Mike") versuchte EDF-Finanzdirektor Thomas Piquemal zu retten, was noch retten war, indem er dem Partner die Übernahme seines 50-prozentigen Anteils an der gemeinsamen Gesellschaft UniStar und damit die Befreiung von allen Risiken des Kernkraftwerksgeschäfts anbot. Zugleich verlangte er aber den Verzicht auf die Verkaufsoption. Falls Constellation darauf nicht eingehe, werde man sich "energisch und selbstbewußt" zu wehren wissen. Entgegen ihrer sonst äußerst restriktiven Informationspolitik veröffentlichte die EDF den Wortlaut des Schreibens sogar auf ihren Internet-Seiten.
Da Constellation auf diesen Vorschlag zunächst nicht einging, besetzte EDF am 18. Oktober die ihr zustehende Vertretung im Constellation-Aufsichtsrat demonstrativ mit einem Rechtsanwalt: Anstelle von Daniel Camus, der bei der Einfädelung des US-Engagements eine wichtige Rolle spielte, benannte sie den Advokaten Samuel Minzberg aus der Firma Davies Ward Phillips & Vineberg, die auf Wirtschaftsprozesse spezialisiert ist. Nach Meinung der Franzosen war die auf zwei Jahre eingeräumte Verkaufsoption hinfällig, weil sie Constellation aus einer akuten Finanzkrise helfen sollte, die inzwischen nicht mehr besteht.
Aufgrund der jetzt erzielten Einigung wird die EDF ihre 3,5 Millionen Aktien an Constellation zurückgeben und auf den Sitz im Aufsichtsrat verzichten. Die Constellation wird ihrerseits der UniStar die beiden Reaktorbauplätze Nine Mile Point und R.E. Ginna im Staat New York übertragen. Mit den beiden Bauplätzen am Standort Calvert Cliffs, die bereits UniStar gehören, verfügt die EDF damit über vier mögliche Standorte für neue Reaktoren.
Das Nuklearprojekt Calvert Cliffs entwickele sich für die EDF zu einem "calvaire" (Schädelstätte, Leidensweg"), bemerkte auf dem Höhepunkt der Krise die Zeitung "Le Figaro" (17.10.). Die Leser des konservativen Blattes reagierten mit Hohn und Spott über ihre unfähigen Eliten, denen man inzwischen auch nicht mehr zutraut, im Kernkraftwerksgeschäft zu reüssieren (siehe Zitate).
"Nicht EDF verliert das Geld, sondern wir französische Verbraucher müssen dafür aufkommen"Aus den Leser-Zuschriften auf der Internet-Seite der Zeitung "Le Figaro" vom 18. Oktober
"EDF heißt Electricité de France. Ich begreife nicht, was in deren Strategie der Erwerb ausländischer Filialen zu suchen hat. Sie sollten sich lieber mit den französischen Netzen befassen, um die Pannen und Stromausfälle einzudämmen, die seit der Privatisierung Legion geworden sind. Ich bin nicht bereit, höhere Strompreise zu bezahlen, damit sie den Zauberlehrling auf Märkten spielen können, die ihre bisher einwandfreie Finanzlage aus dem Gleichgewicht zu bringen drohen. Es sind wir, die französischen Verbraucher, die für diese Verirrungen aufkommen müssen." (Jean Rolland) * Umso schlimmer, Wenn EDF vertragliche Zugeständnisse in Höhe von zwei Milliarden gemacht hat. Die Amerikaner haben schnell begriffen, welche Kuh sie da melken können. Man muß sich nun auf eine Erhöhung der Preise für Strom gefaßt machen, das einzige Produkt, das alle Dreivierteljahre teurer wird. – Es sei denn, der französische Staat gewährt wieder mal eine kleine Subvention, auf die Gefahr hin, sich mit Neelie Kroes anzulegen! (James Marrel) * EDF verliert niemals Geld; es sind die französischen Verbraucher von EDF, die es verlieren, wie üblich. Mit den zwei Milliarden hat Pierre Gadonneix (EDF-Chef bis Ende 2009) gezeigt, daß er die Hälfte des Betrags von Kerviel (verurteilter Börsenspekulant der Société Générale, der einen Verlust von 4,8 Milliarden Euro verursachte) durchbringen kann, ohne daß deshalb sein Name in den Fernsehnachrichten genannt wird. Sowohl in Großbritannien als auch in den USA hat er eine Vielzahl riskanter Erwerbungen getätigt, die wir Verbraucher durch unablässige Erhöhungen unserer Rechnungen bezahlen müssen. Das ist ein staatlicher Skandal, aber niemand sagt es, weder auf der Rechten (verständlich, denn Gadonneix wurde von Chirac ins Amt gehoben), noch auf der Linken (verständlich, denn die Linke taugt sowieso zu nichts). Armes Frankreich. (Mounia El Achchabi) * Noch so eine profitable Strategie unserer sogenannten großen Führer, die sich für ihre Tätigkeit mit Gold entlohnen lassen. Ach unsere geliebten, heiß geliebten Eliten! (Y. Bernisson) * Die EDF wird niemals Geld verlieren!!! Die EDF wird es deshalb nicht verlieren, weil die französischen Verbraucher für die Folgen aufkommen müssen, wie schon beim Abkauf der britischen Schrottreaktoren, der im August eine Erhöhung des Kilowattstundenpreises um zehn Prozent nach sich zog, während die Regierung im Stil der üblichen Desinformation nur 3,5 Prozent angekündigt hatte.... es lebe Frankreich!!!! (anonym) * Jedermann weiß sehr wohl, daß die USA keinen wirklichen Mehrwert mehr zu schaffen vermögen und daß sie nur noch zwei Möglichkeiten haben: 1. Krieg anzufangen 2. die anderen zu bestehlen. (anonym) |