März 2011

110307

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Unglückszahl: Nicht weniger als 13 verschiedene Kraftstoff-Deklarierungen gibt es nach § 13 der "Verordnung über die Beschaffenheit und die Auszeichnung der Qualitäten von Kraft- und Brennstoffen" vom 8. Dezember 2010.

E 10 verunsichert Millionen Autofahrer - Fragwürdiger Nutzen für die Umwelt

Die Verdoppelung der Biosprit-Beimischung zum Benzin hat im ersten Quartal des Jahres Millionen Autofahrer an den Tankstellen verunsichert, weil sie befürchten mußten, mit dem neuen Kraftstoff "E 10" die Motoren ihrer Fahrzeuge irreparabel zu beschädigen. Sie tankten deshalb weiterhin die alten Benzin-Sorten mir nur fünf Prozent Beimengung an Ethanol und nahmen dafür sogar höhere Preise in Kauf. Die Tankstellen blieben so auf dem Biosprit sitzen, während ihre Vorräte an konventionellem Benzin immer knapper wurden. Die Hilferufe der Branche und ein empörtes Medienecho veranlaßten die zuständigen Bundesministerien (Wirtschaft, Umwelt, Verbraucherschutz, Verkehr) am 8. März zu einem Gipfeltreffen mit Mineralölwirtschaft, Autoherstellern und sonstigen Betroffenen. Dabei wurde beschlossen, was man bisher versäumt hatte: Eine detaillierte Information der Autofahrer über die Minderheit jener Autotypen, denen beim Tanken von E 10 tatsächlich ein Motorschaden droht.

Aus dem Stopp vor drei Jahren nichts gelernt


In Deutschland sind bereits 37 Prozent der Grundwasserkörper in einem "chemisch schlechten" Zustand (rote Flächen). Die Wasserwirtschaft befürchtet, daß sich die Situation durch den Anbau von Energiepflanzen weiter verschlechtern wird.
Grafik: BMU

Das Informations-Chaos war um so unbegreiflicher, als aus eben diesem Grund die Verdoppelung der Biosprit-Beimischung schon einmal gestoppt worden war (080403). Der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) wollte kurz vor den Bundestagswahlen nicht die Verantwortung dafür übernehmen, "daß Millionen von Autofahrern an die teuren Super-Plus-Zapfsäulen getrieben werden" oder gar Motorschäden riskiert hätten.

Geringere Energiedichte - höherer Kraftstoffverbrauch

Die schwarz-gelbe Koalition setzte dann Ende 2010 die "10. Verordnung über die Beschaffenheit und die Auszeichnung der Qualitäten von Kraft- und Brennstoffen" in Kraft, die insbesondere die Beimischungsgrenzen für Ethanol im Ottokraftstoff von bisher 5 auf 10 Volumenprozent Ethanol erhöht. Indessen wurde erneut versäumt,für hinreichende Klarheit zu sorgen, welche Autos keinesfalls mit E 10 betankt werden dürfen. Die Zahl der betroffenen Fahrzeuge wird immerhin auf drei bis vier Millionen geschätzt. Zur mangelnden Akzeptanz von E 10 trug auch bei, daß Biosprit über eine geringere Energiedichte verfügt und deshalb der Kraftstoffverbrauch pro Kilometer entsprechend höher wird. Der Benzinpreis steigt dadurch also noch mehr, zumal Biosprit ohnehin teuerer ist und die erhöhten Kosten von den Mineralölkonzernen auch auf die anderen Benzinsorten umgelegt werden.

Mineralölkonzernen drohen Strafzahlungen bei Nichterreichen der Quote

Wegen der fehlenden Akzeptanz von E 10 drohen den Mineralölkonzernen nicht nur logistische Probleme bei der Versorgung mit üblichem Benzin, zu dessen Vorhaltung sie nach § 3 der erwähnten Verordnung vorläufig weiterhin verpflichtet sind. Außerdem müssen sie mit Strafzahlungen rechnen, weil das Ende 2006 in Kraft getretene "Biokraftstoffquotengesetz" in § 37a Abs. 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes vorschreibt, daß der Gesamtanteil von Biosprit bei Benzin und Diesel ab 2010 von 5,25 auf 6,25 Prozent steigt. Durch § 37c Abs. 2 wird bei Nichteinhaltung der Quote den Mineralölkonzernen eine "Abgabe" auferlegt, die für Benzin 43 Euro je Gigajoule und für Diesel bzw. für die Nichterfüllung der Gesamtquote 19 Euro je Gigajoule beträgt. Nach Berechnungen des Umweltministeriums könnte deshalb ein anhaltender Käuferstreik zu Strafzahlungen von zwei Cent je Liter führen, die selbstverständlich den Autofahrern aufgebürdet werden.

Gemäß § 37a Abs. 3a des Bundesimmissionsschutzgesetzes wird die Biokraftstoff-Quote, die sich bisher nach dem Energiegehalt in Gigajoule richtet, ab 2015 auf den Treibhausgasanteil umgestellt: Zunächst müssen Biokraftstoffe eine Minderung des Treibhausgasanteils bei Benzin und Diesel um 3 Prozent bewirken. 2017 steigt dieser Anteil auf 4,5 und 2020 auf 7 Prozent.

EU-Richtlinie schreibt zehn Prozent Biosprit erst bis 2020 vor

Um sich selbst aus der Schußlinie des Unmuts über die Einführung von E 10 zu nehmen, verwies die Bundesregierung auf die Vorgabe der EU, einen Mindestanteil von zehn Prozent Biosprit am gesamten Kraftstoffverbrauch zu erreichen (070102). Diese Zielvorgabe, die mit anderen Teilen des "Klimapakets" im März 2007 von den Staats- und Regierungschefs gebilligt wurde, gilt allerdings erst bis 2020 (070306). Zudem war an diesem Beschluß maßgeblich die Bundeskanzlerin Angela Merkel beteiligt, die damals den Ratsvorsitz innehatte. Schon zuvor hatte die Große Koalition das "Biokraftstoffquotengesetz" erlassen, das die Beimischung von Biosprit zu Benzin und Diesel ab 2007 vorschreibt. Die Richtlinie 2009/28/EG vom 23. April 2009 überläßt es dagegen den einzelnen Staaten, auf welche Weise sie das allgemeine Ziel eines Zehn-Prozent-Anteils der erneuerbaren Energien im Verkehrssektor sowie das spezielle Ziel von zehn Prozent Biosprit bei Kraftstoffen bis 2020 erreichen wollen.

Herstellung von Biosprit benötigt selber viel Energie und verdrängt Nahrungsmittel

Unabhängig von der Konfusion um die Verträglichkeit von E 10 für Motoren gibt es begründete Zweifel, ob die Forcierung von Biosprit überhaupt sinnvoll ist und der Umwelt nützt. Unter anderem muß bedacht werden, daß Biosprit durch den Anbau von Energiepflanzen und deren Verarbeitung erst einmal selber viel Energie benötigt, bevor er welche liefert. Außerdem verdrängt er Ackerflächen, die nicht mehr für den Anbau von Nahrungsmitteln zur Verfügung stehen. Vor allem in der dritten Welt ergeben sich daraus enorme Probleme. Hier droht nicht nur die weitere Abholzung von Wäldern, sondern auch die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln und die Zunahme von Hungersnot.

Zweifel an positivem Effekt für das Klima

Letzten Endes schadet Biosprit sogar dem Klima, dessen Erhaltung er vorgeblich dient. Zu diesem Schluß gelangte eine Studie, die das Londoner Institut für Europäische Umweltpolitik (IEEP) am 8. November 2010 vorstellte. Um die gesteckten EU-Ziele zu erreichen, müßten bis zum Jahr 2020 für den Anbau von Energiepflanzen weltweit bis zu 69.000 Quadratkilometer Wald, Weiden und Feuchtgebiete als Ackerland kultiviert werden – eine Fläche mehr als zweimal so groß wie Belgien. Als Folge würden jährlich bis zu 56 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt. Das entspreche zusätzlichen 12 bis 26 Millionen Autos auf Europas Straßen.

Wasserwirtschaft warnt vor Folgen für das Grundwasser

Nach Angaben des Bauernverbandes werden in Deutschland inzwischen auf 21.500 Quadratkilometer oder 18 Prozent der Ackerfläche nachwachsende Rohstoffe angebaut. Davon entfallen 9.400 auf Raps für Biodiesel und 2.400 auf Getreide und Zuckerrüben für Bioethanol. Unabhängig von der Art des Anbaues gewährt die EU den Landwirten je Quadratkilometer durchschnittlich 31.500 Euro an Subventionen.

Die deutsche Wasserwirtschaft befürchtet bereits eine Grundwasserverschmutzung infolge der intensiven Düngung von Energiepflanzen-Flächen. "Der Trend zum vermehrten Anbau von Energiepflanzen ist aus Sicht des Gewässerschutzes kritisch zu sehen", warnte sie in ihrem "Branchenbild 2011", das sie am 21. März dem Bundeswirtschaftsministerium übermittelte. "Die Ziele in der Bioenergieproduktion sind nur durch eine Intensivierung der Flächennutzung, durch Nutzung bislang stillgelegter Flächen oder durch Grünlandumbruch zu erreichen. Durch die verstärkte Düngung der Anbauflächen und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kann es zu höheren Einträgen von Nitrat und Pflanzenschutzmitteln in die Rohwasserressourcen kommen."

Bornierter Umweltaktivismus paart sich mit Lobby-Interessen

Die Forcierung von Biosprit ist somit ähnlich zweischneidig wie die Förderung der Verstromung von Palmöl, die von der Bundesregierung ebenfalls ohne Rücksicht auf die Folgen gefördert wurde (070310). Auf europäischer Ebene zeugt sie von einem teils ideologisch-bornierten, teils von Lobbyinteressen geprägten Umweltaktivismus, wie ihn die Kommission mit der energiepolitisch sinnlosen Einführung der Sommerzeit, dem Glühlampen-Verbot (101114) oder dem beabsichtigten Zwangshandel mit "Ökostrom-Zertifikaten" (080207) bewiesen hat. Überschätzt wird auch der Nutzen von "intelligenten Zählern" (110312). Besonders kostspielig droht der "Dämmstoff-Wahn" zu werden, der ohne Rücksicht auf Wirtschaftlichkeit und andere negative Folgen sogar bei Altbauten einen Rückgang des Primärenergiebedarfs um 80 Prozent erzwingen will (100902, 110202).

"Europa leidet an einem heftigen Biosprit-Rausch"

Schon am 9. November 2010 - kurz nachdem das Bundeskabinett die Einführung von E 10 beschlossen hatte - gab die "Süddeutsche Zeitung" in einem Kommentar zu bedenken:

"Europas Biosprit-Politik erinnert an einen Zug ohne Lokführer, der einmal auf die Gleise gesetzt wurde und jetzt nicht mehr zu bremsen ist. Die Warnungen von Forschern und Umweltschützern sind stets ignoriert worden. Zu stark war und ist die Lobby der Bauern, die mit Biosprit niedrige Milch- und Getreidepreise auszugleichen versuchen. Zu stark sind auch die Interessen der Agrarindustrie, die am Ethanol aus Pflanzen ordentlich verdient. Und schließlich freut sich auch die Autoindustrie über das Zehn-Prozent-Ziel, weil damit ein wenig Druck von den Konstrukteuren genommen wurde, sparsamere Fahrzeuge zu bauen. Europa leidet an einem heftigen Biosprit-Rausch."

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