Juli 2011

110702

ENERGIE-CHRONIK


EnBW droht mit russischer Mehrheitsbeteiligung an VNG

Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) droht jetzt damit, den russischen Unternehmen Gazprom und Novatek den Großteil der Aktien oder sogar die Mehrheit am ostdeutschen Ferngasunternehmen VNG Verbundnetz Gas zu überlassen, falls die Übertragung der bisher von der Oldenburger EWE gehaltenen 47,9 Prozent VNG-Aktien an die EnBW weiterhin am Widerstand einer Mehrheit in der Hauptversammlung scheitern sollte (090901). Der seit mehr als vier Jahren andauernde Machtkampf um VNG, in dem seit zwei Jahren anstelle von EWE die EnBW als Protagonist auftritt, nimmt damit zumindest taktisch eine neue Wendung.

Aufgrund einer offenbar gezielten Indiskretion berichtete das "Handelsblatt" am 19. Juli, daß die EnBW ihre bislang blockierte Option auf die VNG-Aktien der EWE durchsetzen wolle, indem sie bis zu 25 Prozent an VNG dem russischen Gasförderer Novatek überläßt. Da die VNG-Aktien vinkuliert sind, wäre auch dafür eine Mehrheit in der Hauptversammlung notwendig. Die Zustimmung könnte in diesem Fall aber als gesichert gelten, da die EnBW bzw. ihr strategischer Partner EWE zusammen mit der russischen Gazprom auf gut 58 Prozent der Stimmenanteile kommen.

Wie es in dem Zeitungsbericht weiter hieß, wäre ein kompletter Verkauf des Pakets "politisch zu heikel, weil dann mit Gazprom und Novatek russische Unternehmen über die VNG-Mehrheit verfügten". Die EnBW erwäge deshalb, die restlichen VNG-Anteile in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Novatek einzubringen. Von der weitreichenden Kooperation mit Novatek erhoffe sich EnBW-Chef Hans-Peter Villis günstige Gaslieferungen aus Rußland. Allerdings seien weder EnBW noch VNG bereit gewesen, die "aus Kreisen der beteiligten Unternehmen" stammenden Informationen zu kommentieren.

Die Offerte der EnBW richtet sich an den bisherigen Hauptgegner Gazprom/Wintershall

Bisher hatten EWE und EnBW alle Bemühungen darauf konzentriert, die Phalanx der kommunalen VNG-Eigentümer aufzubrechen, um den für die Mehrheit in der Hauptversammlung notwendigen zusätzlichen Stimmenanteil von rund drei Prozent zu erlangen. Die kommunale Beteiligungsgesellschaft VUB verfügt über insgesamt 25,79 Prozent an VNG. Zeitweilig scheint die EnBW auch auf Unterstützung durch den Mitaktionär GDF Suez gehofft zu haben, der 5,26 Prozent besaß. Die Franzosen wurden indessen mit den Russen handelseinig und verhalfen diesen zur Verdoppelung ihres VNG-Anteils auf 10,52 Prozent (091102). Vierter Anteilseigner ist mit 15,79 Prozent die BASF-Tochter Wintershall. Diese ist aber geschäftlich eng mit Gazprom verbandelt und steht auch im Machtkampf um VNG auf seiten der Russen.

Die neue Offerte der EnBW richtet sich somit nur vordergründig an Novatek. Der eigentliche Adressat ist der bisherige Hauptgegner Gazprom/Wintershall, der schon seit über zwanzig Jahren die Dominanz bei VNG beansprucht (siehe Hintergrund) und deshalb weder die Mehrheitsübernahme durch EWE noch den Einstieg der EnBW hinzunehmen bereit war. Auf den ersten Blick muß das Angebot für den Kreml sehr verlockend sein, da es ihm faktisch die Beherrschung der VNG und damit eine erhebliche Ausweitung seines Einflusses in Deutschland verspricht. Bei genauerem Hinsehen könnte es sich aber auch nur um einen taktischen Schachzug der EnBW handeln, um doch noch die notwendige Unterstützung aus Kreisen der kommunalen Anteilseigner zu erhalten. Immerhin hätte der landeseigene Energiekonzern mit dem Veto des Bundeskartellamts und starken politischen Widerständen zu rechnen, falls er tatsächlich den Großteil der VNG-Aktien an Novatek weitergeben wollte. Andererseits scheint die EnBW tatsächlich mit Novatek über eine Zusammenarbeit zu verhandeln. Das macht die Drohkulisse einigermaßen glaubwürdig.

Novatek wird wie Gazprom letztendlich vom Kreml dirigiert

Novatek wurde 1994 gegründet und ist - mit großem Abstand im Verhältnis von etwa eins zu zehn - der zweitgrößte russische Gasförderer nach der Gazprom, die ihrerseits rund zwanzig Prozent an dem Unternehmen besitzt. Weitere Großaktionäre sind die Oligarchen Michail Michelson und Gennadi Timtschenko. Nach Angaben der Agentur "Ria Novosti" belief sich bis vor kurzem der von Michelson gehaltene Anteil auf 27,17 Prozent und der von Timtschenko auf 23,49 Prozent. Im März dieses Jahres haben die beiden Großaktionäre insgesamt 12,09 Prozent ihrer Aktien an den französischen Energiekonzern Total verkauft, der innerhalb der nächsten drei Jahre weitere 7,4 Prozent erwerben will.

Die großteils privaten Eigentümer und die Einbindung des französischen Energiekonzerns Total ändern freilich nichts daran, daß Novatek demselben Interessengeflecht wie Gazprom angehört. Novatek ist zwar formal ein unabhängiges Unternehmen, das auf dem Gebiet der Erdgasförderung sogar mit Gazprom konkurriert. In strategisch wichtigen Fragen werden aber beide Unternehmen vom Kreml dirigiert und spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Beispielsweise trat Novatek bei der Versteigerung des Yukos-Konzerns zusammen mit dem Staatskonzern Rosneft als angeblicher Bieter auf, obwohl die Auktion nur eine pseudo-marktwirtschaftliche Inszenierung war, um die Plünderung des Yukos-Konzerns zu legitimieren und die Gazprom-Geschäftspartner Eni und Enel zum Zuge kommen zu lassen (070611).

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