September 2012 |
120908 |
ENERGIE-CHRONIK |
In der Rußland-Affäre der Energie Baden-Württemberg (EnBW) sieht es inzwischen so aus, als ob das Unternehmen auf einen Hochstapler hereingefallen wäre, der in Rußland zwar über etliche Beziehungen verfügte, aber keinen direkten Draht zu Kremlchef Putin und dessen Entourage besaß. Die EnBW scheint in dieser Hinsicht selber von Anfang an Zweifel gehabt zu haben, denn sie fragte 2002/2003 im Bundeskanzleramt an, welche Erkenntnisse dort über den russischen Geschäftsmann Andrej Bykov vorlägen, den sie für viele Millionen Euro mit Lobby-Arbeit in Rußland beauftragt hatte. Das ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen zum Thema "Atomkraftbezogene Aktivitäten und Kontakte der Bundesregierung und deutscher Stromkonzerne zu einem russischen Geschäftsmann", die vom 28. August datiert und inzwischen auch auf der Internetseite des Bundestags eingestellt wurde (Drucksache 17/10549).
Demnach fand im besagten Zeitraum auf die Anfrage der EnBW hin ein Gespräch mit Ernst Uhrlau statt, der damals im Kanzleramt der rot-grünen Koalition als Koordinator der Geheimdienste fungierte, ehe er Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) wurde. Ein Gesprächsvermerk liege jedoch nicht vor. Bekannt sei lediglich, daß am Tag dieses Gesprächs ein Mitarbeiter des Bundeskanzleramts eine Personenanfrage zu Andrej Bykov beim Bundesnachrichtendienst gestellt habe. Uhrlaus Gesprächspartner sei "der damalige Generalbevollmächtigte Wirtschaft, Politik und Gesellschaft von EnBW" gewesen. Dieser Unternehmensbereich wurde 2003 vom damaligen EnBW-Chef Utz Claassen geschaffen und mit dem Ex-Journalisten Jürgen Hogrefe besetzt (030514), der als Leiter der Lobby-Vertretung der EnBW in Berlin auch die PR-Veranstaltung "Deutscher Klimakongreß" erfand (071014).
Die Bundesregierung sei ferner davon unterrichtet gewesen, daß die EnBW den Plan verfolge, sich in großem Umfang Gas aus Rußland zu verschaffen, hieß es in der Antwort weiter. Die übrigen von insgesamt 13 detaillierten Fragen beantwortete die Bundesregierung mit "keine Erkenntnisse" oder ähnlich floskelhaften Auskünften.
Die EnBW verlangt von Bykov insgesamt 130 Millionen Euro zurück, weil er bzw. seine in der Schweiz angesiedelten Firmen abgeschlossene Verträge nicht erfüllt hätten. Bykov macht dagegen geltend, daß er von der EnBW lediglich mit Lobbyarbeit zur Anbahnung von Gasgeschäften beauftragt worden sei und es sich bei den anderen Vertragen, wegen deren Nichterfüllung die EnBW klagt, lediglich um Scheinverträge zur Finanzierung dieser Lobbyarbeit gehandelt habe. Das ist insofern plausibel, als etwa die Lieferung von militärischem Uran aus den Beständen der abgewrackten russischen U-Boot-Flotte, für die Bykov anscheinend ebenfalls bezahlt wurde, über eine andere Schiene lief (120901). Diesbezügliche Verträge wären somit auch ohne sein Zutun erfüllt worden.
Mit den vielen Millionen für eine angebliche Lobby-Arbeit, die der EnBW so gut wie nichts einbrachte, hat Bykov seine Stiftung "Nikolaus, der Wundertäter" finanziert, die in Rußland das Kreml-Regime mit klerikaler Propaganda unterstützt (120601). Auf sein Betreiben wurde auch der damalige EnBW-Chef Utz Claassen, der hierzulande eher mit der Filmfigur "Rambo" (050106) oder dem afrikanischen Despoten Idi Amin (060318) verglichen wurde, mit dem frommen "Kreuz des Ordens des Heiligen Nikolaus" dekoriert (050712). Es darf indessen vermutet werden, daß Bykov nicht das ganze Geld für religiöse Propaganda zugunsten der russisch-orthodoxen Kirche ausgegeben hat, die ihrerseits mit den Machthabern im Kreml ein neues Bündnis von Thron und Altar eingegangen ist. Er hat sicher auch große Summen für den eigenen Bedarf abgezweigt. Bezahlt haben das letzten Endes die südwestdeutschen Stromverbraucher, denen die EnBW binnen sechs Jahren sieben Preiserhöhungen zumutete (091103).
Die EnBW wußte offenbar von der obskuren Stiftung "Nikolaus, der Wundertäter". Bykov soll deren Unterstützung mit EnBW-Geldern sogar als eine Art "Wiedergutmachung" dafür bezeichnet haben, daß Deutschland gegen Ende des ersten Weltkriegs den Revolutionär Lenin aus der Schweiz nach Rußland reisen ließ, um dort den Zaren zu stürzen. Man habe die Stiftung jedoch als Privatangelegenheit des Geschäftspartners gesehen, sagte der frühere EnBW-Chef Gerhard Goll.
Laut "Spiegel" (17.9.) signalisierte der Kreml inzwischen, daß Bykov niemals in seinem Auftrag gehandelt habe und es auch die angebliche Bekanntschaft mit Putin nicht gebe. Dem Blatt zufolge hat Bykov über elf Firmen, die er zu diesem Zweck in der Schweiz gründete, rund 280 Millionen Euro von der EnBW kassiert. Den guten Kontakt zur EnBW habe er vor allem Wolfgang Heni zu verdanken gehabt, dem kaufmännischen Geschäftsführer des Kernkraftwerks Obrigheim und späteren Leiter der Kernkraftsparte der EnBW. Vor dem Hintergrund des im Jahr 2000 vereinbarten Atomausstiegs habe Heni gehofft, durch die Verbrennung von Uran aus russischen Militärbeständen als abrüstungsfördernde Maßnahme eine nachträgliche Verlängerung der Laufzeiten erreichen zu können (120901). Zugleich habe die EnBW die Beteiligung an Gasfeldern in Rußland angestrebt. So sei es unter dem damaligen EnBW-Chef Gerhard Goll zur Beauftragung Bykovs mit Lobby-Arbeit in Rußland und zur kunstvollen Verschleierung der dafür geleisteten Zahlungen gekommen, indem man Bykov beispielsweise für angeblich durch ihn zustande gekommene Uranlieferungen aus Rußland honorierte. Auch unter Golls Nachfolgern Claassen und Villis habe man an diesen Praktiken festgehalten, obwohl der Konzernrevision die Unstimmigkeiten nicht verborgen blieben. Das in der Schweiz angesiedelte Firmengeflecht, über das die EnBW ihre Zahlungen leistete, habe Bykov inzwischen größtenteils aufgelöst. Die Schweizer Steuerfahndung verdächtige ihn der Steuerhinterziehung und des Abgabenbetrugs. In mehreren Kantonen seien ein dreistelliger Millionenbetrag und große Goldbestände beschlagnahmt worden, die Bykov in diversen Tresoren und Kellerräumen deponiert gehabt habe.