Juni 2015 |
150605 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nach etlichen Erdbeben in der Erdgasregion um Groningen, die an Tausenden von Gebäuden Schäden in Milliardenhöhe verursachten, hat die niederländische Regierung am 23. Juni zum zweiten Mal die zulässige Gasfördermenge gesenkt. Anstelle von normalerweise knapp 40 Milliarden Kubikmeter pro Jahr sind jetzt nur noch 30 Milliarden Kubikmeter zulässig.
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Ein Erdbebengeschädigter will sein Haus zu jedem
halbwegs annehmbaren Preis verkaufen |
Die Erdbeben sind offenbar auf die allmähliche Entleerung der Gasblase zurückzuführen, die sich in mehr als zweieinhalb Kilometern Tiefe unter der Erdoberfläche befindet und seit 1959 angezapft wird. Leichte Beben traten erst ab 1986 auf. Sie wurden aber lange Zeit für nicht gefährlich erachtet, zumal die Fördergesellschaft Nederlandse Aardolie Maatschappij (NAM) zunächst einen Zusammenhang mit der Gasförderung bestritt. Das begann sich erst 2012 zu ändern, als in dem Dorf Huizinge ein Beben den bisher angenommenen Höchstwert von 3,3 auf der Richter-Skala überschritt. Inzwischen rechnet man mit noch stärkeren Beben bis zu 5,0 auf der Richter-Skala.
Schon im April hatte das höchste Verwaltungsgericht des Landes die Förderung um den Ort Loppersum nahe der deutschen Grenze per einstweiliger Verfügung untersagt. Ein totales Förderverbot, wie es von Betroffenen und Politikern verlangt wurde, lehnte das Gericht ab, um nicht die inländische Versorgung und die Exportverpflichtungen der NAM zu gefährden.
Die 1947 gegründete NAM gehört jeweils zur Hälfte Shell und Esso. Sie fördert jährlich rund 60 Milliarden Kubikmeter Gas, wovon rund 70 Prozent auf das Gasfeld um Groningen entfallen. Außerdem holt sie jährlich rund 430.000 Kubikmeter Öl aus der Erde.
Im Februar legte der unabhängige staatliche Sicherheitsrat "Onderzoeksraad Voor Veiligheid" eine Untersuchung vor, wie es zu der jetzigen Situation kommen konnte. Demnach rechnete man bis Anfang 2013 nur mit leichten Sachschäden und hielt das Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung für vernachlässigbar. Eine mögliche Empörung der betroffenen Bevölkerung, wie sie jetzt herrscht, wurde überhaupt nicht in Betracht gezogen. Es erfolgten deshalb keinerlei Maßnahmen zur Untersuchung der tatsächlich drohenden Entwicklung. Die Glaubwürdigkeit der NAM ist in den Augen der Bevölkerung erschüttert, nachdem sie erst einen Zusammenhang der Beben mit der Gasförderung bestritt und dann glauben machen wollte, daß die Beben einen Höchstwert von 3,3 auf der Richter-Skala nicht überschreiten würden.
Der Bericht kritisiert vor allem die bisherige Entscheidungsstruktur der niederländischen Gaswirtschaft ("Gasgebouw"). In ihr würden nur die Konzerne Shell und Esso, der Gashändler Gasterra sowie das Wirtschaftsministerium miteinander kommunizieren. Es handele sich um ein privates, geschlossenes und konsensorientiertes System, das lediglich auf die Erzielung von Gewinnen und die Sicherung der Gasversorgung angelegt sei. Andere Ministerien sowie regionale oder lokale Gremien hätten kaum oder keinerlei Chancen, ihre Standpunkte zu Gehör zu bringen. Nicht nur die NAM habe ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigt. Auch das Wirtschaftsministerium habe es versäumt, unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen zum tatsächlichen Risiko der Beben anzustoßen. Ähnliches gelte für die staatliche Bergbauaufsicht und den niederländischen Wissenschaftsbetrieb.