April 2017 |
170408 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die französische Regierung erließ am 8. April ein Gesetz zur Stillegung des umstrittenen Kernkraftwerks Fessenheim, das sich dicht an der deutschen Grenze am Seitenkanal des Oberrheins befindet. Zwei Wochen vor dem ersten Wahlgang zu den Präsidentschaftswahlen löste der bisherige Präsident Francois Hollande damit formal ein Versprechen ein, das er vor fünf Jahren im Wahlkampf machte und nach seinem Amtsantritt bekräftigt hat (120913). Tatsächlich werden die beiden ältesten der 58 französischen Reaktoren aber auch jetzt nicht stillgelegt, sondern frühestens 2019. Sie können sogar noch länger am Netz bleiben, falls sich die Inbetriebnahme des neuen EPR-Reaktors in Flamanville (041006) weiter verzögern oder die Stillegung eines anderen Kernkraftwerks als dringlicher gelten sollte.
Die Anti-Kernkraft-Organisation "Sortir du nucléaire" charakterisierte die Entscheidung als Nebelkerze ("enfumage"), hinter deren Rauch die EDF sich noch weiter in die "nukleare Sackgasse" manövriere. Die linksliberale Zeitung "Le Monde" empfand die Vorgänge um Fessenheim als "Tragikomödie", und auch der konservativ-kernkraftfreundliche "Figaro" bezeichnete das Gesetz als Augenwischerei ("un décret en trompe-l'œil").
Zur Zeit betreibt die EDF noch 58 Reaktoren. Bis Ende 2020 müßten davon 16 schon aus Altersgründen vom Netz gehen, wenn man eine 40-jährige Betriebsdauer zugrunde legt. |
Das von Umweltministerin Ségolène Royal und Ministerpräsident Bernard Cazeneuve unterzeichnete Dekret macht die Stillegung der beiden Reaktoren in Fessenheim davon abhängig, daß "Flamanville 3" – das ist der neue EPR-Reaktor – in Betrieb genommen werden kann und die Electricité de France (EDF) zuvor einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Mit diesem Antrag ist aber erst 2018 und mit der Stillegung frühestens 2019 zu rechnen.
Die Regierung übernahm damit eine Bedingung, die am 6. April vom Verwaltungsrat der EDF verkündet wurde. Dieser hatte ferner verlangt, daß die Schließung des KKW Fessenheim nur dann erfolgt, wenn sie notwendig sein sollte, um die vor zwei Jahren beschlossene Deckelung der französischen KKW-Kapazitäten auf 63,2 Gigawatt (150704) einzuhalten. Anscheinend will die EDF die zulässige Obergrenze, die mit diesem Deckel eingeführt wurde, nun in eine Art Bestandsschutz für ihre KKW-Kapazitäten umfunktionieren.
Die drei Artikel des Gesetzes seien fast wörtlich mit der Verlautbarung des EDF-Verwaltungsrats identisch, befand die französische Wirtschaftszeitung "Les Echos" (10.4.). Dem Stromversorger werde es damit ermöglicht, auch ein anderes Kernkraftwerk stillzulegen, wenn Flamanville 3 in Betrieb geht, oder die Stillegung von Fessenheim hinauszuschieben, falls es auf dieser Baustelle zu weiteren Verzögerungen kommt oder ein anderes Kernkraftwerk längere Zeit nicht verfügbar sein sollte. Zum Beispiel konnte der Reaktor Paluel 2, der vor einem Jahr durch den Absturz eines 465 Tonnen schweren Dampferzeugers beschädigt wurde (160409), bisher noch nicht wieder in Betrieb genommen werden.
Die Energie Baden-Württemberg (EnBW), die in Deutschland inzwischen die Stillegung ihrer beiden letzten Reaktoren beantragt hat (160711), ist an den beiden französischen Kernkraftwerken Fessenheim und Cattenom beteiligt. In beiden Fällen handelt es sich angeblich nicht um Miteigentum an den insgesamt sechs Reaktoren, die demnach zu hundert Prozent der EDF gehören würden, aber zumindest um Anteile an deren Atomstromproduktion. Die entsprechenden Verträge wurden seinerzeit vom Badenwerk geschlossen, aus dessen Fusion mit der Energie-Versorgung Schwaben (EVS) vor zwanzig Jahren die Energie Baden-Württemberg hervorging (970504). Die Details dieser jahrzehntelangen Verflechtung sind indessen bisher nur bruchstücksweise bekannt.
Im Jahr 1972 sicherte sich das Badenwerk einen Anteil von 17,5 Prozent an der Nettoleistung der beiden Blöcke in Fessenheim (jeweils 880 MW), was einer "Scheibe" von 308 MW entspricht. Als Gegenleistung beteiligte sich der deutsche Stromversorger in derselben Höhe an den Bau- und Betriebskosten des französischen Kernkraftwerks. Die EnBW muß deshalb bis heute 17,5 Prozent aller Betriebs-, Investitions-, Reparatur- und Nachrüstungskosten in Fessenheim bezahlen. – So zumindest lautete die Auskunft, die im August 2011 die Stuttgarter Landesregierung auf eine entsprechende Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Bärbl Mielich gab.
Nicht nur das Badenwerk beteiligte sich damals an Fessenheim: Auch die schweizerischen Unternehmen Alpiq, Axpo und BKW FMB Energie erwarben Strombezugs-Anteile von jeweils 5 Prozent. Die Landtagsabgeordnete fragte deshalb vorsichtshalber nach "weiteren Geschäftsbeziehungen der EnBW mit französischen oder schweizerischen Atomkraftwerken". Die Antwort lautete: "Die EnBW unterhält keine weiteren Beteiligungen an ausländischen Atomkraftwerken."
Die in Fessenheim eingegangenen Verpflichtungen binden die EnBW bis heute. Geändert hat sich lediglich die Form des Strombezugsrechts: Im Oktober 2009 überließ die EnBW den Leistungsbezug von insgesamt 800 MW aus EDF-Kernkraftwerken dem E.ON-Konzern, der ihr dafür aus seinen deutschen Kraftwerken die entsprechende Menge lieferte. Zu diesem Tauschgeschäft gab es sowohl von EnBW als auch von E.ON entsprechende Pressemitteilungen, wobei die beteiligten EDF-Kernkraftwerke allerdings nicht genannt wurden (091005).
Offenbar entfiel aber der Anteil von 492 MW, der sich nach Abzug der Fessenheim-Scheibe von den genannten 800 MW ergibt, auf das Kernkraftwerk Cattenom, an dessen Netto-Leistung von insgesamt 5.200 MW sich das Badenwerk ebenfalls beteiligt hatte. Die zitierte Auskunft der Landesregierung, daß "keine weiteren Beteiligungen an ausländischen Atomkraftwerken" bestünden, war offensichtlich falsch. Das ließ sich sogar dem Geschäftsbericht 2013 der EnBW entnehmen, in dem es hieß:
"Das Kernkraftwerk im französischen Fessenheim wird voraussichtlich Ende 2016 endgültig vom Netz gehen. Grundsätzlich besteht das Risiko, dass sich die EnBW an den Kosten für den Kraftwerksrückbau beteiligen muss. Nach Ermessen der EnBW besteht jedoch dahingehend kein rechtmäßiger Anspruch des Kraftwerksbetreibers. Der Sachverhalt befindet sich in Klärung. Die Risikosituation in Bezug auf mögliche Investitionen für die Nachrüstung des Kraftwerks und daraus resultierende höhere Strombezugsaufwendungen für die EnBW besteht weiterhin, auch für das Kraftwerk Cattenom."
Wenn man die Kosten für den "Rückbau" eines Reaktors zurückhaltend mit mindestens 500 Millionen Euro veranschlagt, müßte sich die EnBW nach der Stillegung des KKW Fessenheim mit 175 Millionen Euro an den Gesamtkosten beteiligen, welche die Beseitigung des Kernkraftwerks erfordert. Es könnte aber auch die doppelte Summe sein. In Cattenom dürfte die Belastung noch größer werden. Für einen Energiekonzern, der soeben seinen Beschäftigten die Gehälter um 6,3 Prozent gekürzt hat, um jährlich 40 Millionen Euro einsparen zu können (170307), sind das sicher nicht nur Peanuts.
Dem Vernehmen nach hat die EDF inzwischen darauf verzichtet, der EnBW auch eine Beteiligung von 17,5 Prozent an den Rückbaukosten für Fessenheim abzuverlangen. Das Thema scheint aber nach wie vor sehr heikel zu sein. Die Pressestelle der EnBW wollte jedenfalls trotz zweimaliger Nachfrage der ENERGIE-CHRONIK keine Auskunft dazu geben, sondern ging auf Tauchstation.