Januar 2020

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ENERGIE-CHRONIK


Grundlegende Betrachtungen der Bundesnetzagentur zur integrierten Strom-und Gasnetzplanung

(Auszug aus der Bestätigung der Netzentwicklungspläne Strom (S. 62 - 65) und Gas (S. 33 - 36) für das Zieljahr 2030, Dezember 2019)

(zu 200106)

Seit einiger Zeit fordern unterschiedliche Akteure des Energiemarktes eine so genannte integrierte Netzplanung von Strom-und Gasnetz, mitunter auch noch gekoppelt mit der Wärmeversorgung. Das Thema Sektorenkopplung erfordere demnach eine gemeinsame Planung, um die Integration von Strom und Gas als „hybrides technologieoffenes“ Energiesystem voranzubringen. Denn Gas werde zunehmend nicht mehr als Problem, sondern als Teil der Lösung einer langfristigen Dekarbonisierung der Energiewirtschaft gesehen. In den letzten Monaten und Jahren haben mehrere Gutachten dargelegt, dass „grünes“ Gas als Biomethan, aber vor allem auch als synthetisches Gas oder als Wasserstoff einen Beitrag zu einer volkswirtschaftlich effizienten Dekarbonisierungsstrategie leisten könne.

In den meisten Fällen wird allerdings die praktische Umsetzung dieser integrierten Netzplanung nicht näher erläutert. Es bleibt offen, ob eine integrierte Berechnung der Gas-und Stromnetze in einem gemeinsamen Simulationsprozess gemeint ist, ob es darum geht,eine ganzheitliche Energiesystemplanung durchzuführen,oder ob die Szenarien und damit lediglich die Eingangsdaten der Strom-und Gasnetzberechnung möglichst vereinheitlicht werden sollen.

Eine integrierte Netzberechnung wird im gegenwärtigen System der beiden Prozesse Szenariorahmen / Netzentwicklungsplan Strom und Gas nicht durchgeführt, da die beiden Simulationsprozesse grundverschieden sind. Für die Stromnetzberechnung erfolgt innerhalb der deutschen Strompreiszone keine Handelsbeschränkung durch die innerdeutsche Netzkapazität. Es werden Annahmen über die installierten Leistungen der Erzeuger und Verbraucher sowie die Austauschkapazitäten mit den Nachbarländern getätigt und anhand von Strommarktsimulationen Netznutzungsfälle für alle 8760 Stunden des Zieljahres ermittelt, um zu bestimmen, was das Stromnetz (zukünftig) leisten muss. Es wird somit nicht explizit vorgegeben, welche Kapazitäten das Netz haben soll.

Das ist im Gasmarkt anders. Zentraler Punkt des Entry-Exit-Systems ist der Erwerb von Netzkapazitäten, deswegen finden diese Kapazitäten Eingang in die Modellierung des Netzentwicklungsplans Gas. In der Gasnetzberechnung werden einzelne Lastsituationen maximaler Kapazitätsauslastung der Entry-und Exitpunkte des Gasnetzes gemäß vertraglicher Vereinbarungen zwischen den Marktakteuren betrachtet. Die Gasnetzentwicklungsplanung erfolgt unter der Prämisse, dass (diese) Kapazitätsbedarfe erfüllt werden können. Die prognostizierte Kapazitätsbedarfsentwicklung von Verteilnetzbetreibern sowie konkrete Anfragen nach Netzkapazität für den Anschluss bspw. neuer Gaskraftwerke an konkreten Standorten sind somit ausschlaggebend für den Umfang des Netzausbaus. Es erfolgt keine Marktsimulation, da explizite Kapazitätsannahmen für jeden Entry-und Exitpunkt des Netzes zugrunde gelegt werden.

Die netzausbaudimensionierenden Situationen und Kriterien bei der Strom-und der Gasnetzplanung sind daher nicht miteinander in Einklang zu bringen.

Unter einer ganzheitlichen Energiesystemplanung verstehen die vorhandenen Studien eine nahezu vollständig durchgeführte Energiewende für das Jahr 2050. Für eine solche Planung müssten Erzeugungskapazitäten und Bedarf des Strom-und des Gasmarktes sowie die eingesetzten Technologien feststehen oder über die kommenden 31 Jahre prognostiziert werden. Schon allein aufgrund des langfristigen Prognosehorizonts und der damit verbundenen Unsicherheiten resultieren Bedenken, aus einer ganzheitlichen Energiesystemplanung konkrete Netzausbaumaßnahmen im Strom-und Gasnetz abzuleiten. Dafür müsste von staatlicher Seite eine technologische Entwicklung „festgelegt“ werden. So werden z.B. häufig ein rein elektrisches Energiesystem und ein weiterhin auf Gas basierendes Energiesystem diskutiert, die deutlich unterschiedliche Anforderungen an die Infrastruktur stellen.

In der sogenannten all electric society wird die erzeugte elektrische Energie möglichst direkt genutzt. Hier käme es zu einer starken Verbreitung von elektrischer Mobilität und elektrischer Wärmeerzeugung und anderen Formen einer direkten Sektorenkopplung. Für dieses Szenario wäre ein massiver Ausbau des Stromnetzes notwendig. Die Bundesnetzagentur ist allerdings sehr skeptisch, ob es überhaupt eine „all electric society“ geben wird, da sehr zweifelhaft ist, ob es in Deutschland für die Abdeckung des gesamten Primärenergieverbrauchs genügend Stromerzeugungskapazitäten auf der Basis von erneuerbaren Energien geben würde.

In einem vorrangig gasbasierten Energiesystem wird die in erneuerbaren Erzeugungsanlagen gewonnene elektrische Energie mittels Power-to-X-Technologien in Wasserstoff und synthetisches Methan oder andere synthetische Kraftstoffe umgewandelt. Ein solches Szenario wird von Wasserstoffantrieben, synthetischen Brennstoffen und von der Nutzung grüner Gase definiert. Auf Grund der hohen Energiewandlungsverluste bei der Herstellung grüner Gase wird sich der Bedarf an Stromerzeugungskapazitäten und den dafür benötigten Flächen im Vergleich zur „all electric society“ noch mehr erhöhen. Es stellt sich also die Frage, wie viel der benötigten Mengen in Gänze überhaupt in Deutschland erzeugt werden können oder vielmehr importiert werden müssen. Weiterhin stellt sich die Frage, ob das benötigte Transportsystem auf Methan oder Wasserstoff basieren wird oder sich parallele Infrastrukturen entwickeln werden. Im gasbasierten Energiesystem kann es zu einem weiteren Ausbau des Gasnetzes kommen und/oder zu einer komplett oder teilweise neuen Infrastruktur eines Wasserstoffnetzes.

Wahrscheinlich sind eher Entwicklungen,die zwischen diesen beiden Extremszenarien liegen werden und eine Kombination beider Systeme darstellen. Je nach angenommener Entwicklung resultiert daraus ein unterschiedlich starker Ausbau des Strom-und Gasnetzes.

Die für einen solchen Ansatz auch für „Stützjahre“ wie 2030 oder 2040 notwendige staatliche Vollplanung des Energiesystems ist weder Aufgabe der Bundesnetzagentur noch wünschenswert. Die Entwicklung,wie die definierten Ziele der Energiewende zu erreichen sind, sollte möglichst technologieoffen gehalten werden und grundsätzlich den Marktakteuren obliegen. Eine staatliche Vollplanung würde dagegen planwirtschaftliche Vorgaben bezüglich der Anzahl und Allokation sämtlicher Erzeugungsanlagen voraussetzen, um so die richtige Dimensionierung des Strom-und Gasnetzes zu gewährleisten. Einen solchen Schritt kann die Bundesnetzagentur nicht im Rahmen der Netzentwicklungsplanung vollziehen, sondern allenfalls auf Grundlage eines klaren gesetzlichen Auftrags.

Das bedeutet nicht, dass die Bundesnetzagentur dort, wo ganzheitliche Ansätze möglich sind, diese außer Acht lässt. Strom-und Gasnetze werden im Rahmen der gesetzlichen vorgegebenen Zieljahre für eine möglichst wahrscheinliche Entwicklung der Energielandschaft ausgelegt. Die absehbare Entwicklung des Energiemarktes wird ausgehend von konkreten Planungen der Marktakteure und basierend auf geltenden Gesetzen bzw. absehbaren Änderungen prognostiziert. Hierbei folgt der Netzausbau immer dem konkret abschätzbaren Bedarf und zwar nach einem konservativen „no-Regret“ Prinzip,nach welchem Fehlplanungen in der Netzentwicklung weitestgehend vermieden werden sollen.

Maßgebliche Eingangsgrößen, die in beiden Netzentwicklungsprozessen notwendig sind, werden integriert betrachtet, d.h. aufeinander abgestimmt und vereinheitlicht:

In beiden Prozessen wird der Rückbau von konventionellen Kraftwerkskapazitäten nach einer durchschnittlichen technisch-wirtschaftlichen Betriebsdauer angenommen. Jenseits dessen werden konkrete Stilllegungsanzeigen, die der Bundesnetzagentur bekannt sind, vollumfassend berücksichtigt.

Geplante Gaskraftwerksneubauten der Kraftwerksbetreiber werden in beiden Prozessen gemäß den Vorgaben des Szenariorahmens Gas berücksichtigt. Hierbei sind Anschlussanträge der Kraftwerksbetreiber an das Gasfernleitungsnetz nach den §§ 38, 39 GasNZV ausschlaggebend. Zukünftig werden bei Gasfernleitungsnetzbetreibern und Gasverteilnetzbetreibern gemeldete Power-to-Gas-Anlagen anlagenscharf ermittelt und in beiden Prozessen berücksichtigt.

Weiterhin existierende Unterschiede in den Annahmen sind bewusst ausgestaltet und begründet.

Gaskraftwerksneubauten, die nach Planungen der Kraftwerksbetreiber an das Gasverteilnetz angeschlossen werden sollen, werden im Szenariorahmen Gas gemäß den internen Bestellungen der Gasverteilnetzbetreiber bei den Gasfernleitungsnetzbetreibern lediglich summiert berücksichtigt. Im Szenariorahmen Strom werden diese Gaskraftwerksneubauten anlagenscharf berücksichtigt. Dieser Unterschied resultiert aus den verschiedenen Netzberechnungsverfahren. Im Gasnetzberechnungsverfahren wirken die Kapazitäten der Verteilnetzbetreiber für das Fernleitungsnetz wie ein einzelner Verbraucher. Im Stromnetzberechnungsprozess wird die Einspeisung der Gaskraftwerke unabhängig von der Netzebene gemäß der Merit-Order ermittelt, weshalb eine blockscharfe Simulation notwendig ist.

Im Szenariorahmen Strom wird jenseits der konkreten Planung der Gaskraftwerksbetreiber ein weiterer Zubau von KWK-fähigen Gaskraftwerken kleiner 10 MW und weiteren Gas-KWK-Anlagen unterstellt. Der Zubau von KWK-fähigen Gaskraftwerken kleiner10 MW basiert auf Fortschreibungen der Entwicklung des Zubaus der Vergangenheit. Beim Zubau weiterer Gas-KWK-Anlagen handelt es sich um angenommene Umstellungen von Kohle-und Öl-KWK Anlagen auf Gas-KWK-Anlagen gemäß KWKG. Dieser Zubau wird im Szenariorahmen Gas nur teilweise und indirekt über die internen Bestellungen der Gasfernleitungsnetzbetreiber bei den Gasverteilnetzbetreibern berücksichtigt. Der angenommene Zubau im Szenariorahmen Gas ist also im Vergleich zum Szenariorahmen Strom kleiner. Diese Differenz ist auf den konservativen „no-Regret“ Ansatz der Netzplanung im Strom-und Gasbereich zurückzuführen. Während der angenommene Zubau genannter KWK-Gaskraftwerke im Stromnetz unter den gegenwärtigen Marktverhältnissen nicht zwingend ausbaudimensionierend ist, gilt dies nicht für die Gasnetzinfrastruktur. Spätestens bei einer konkreten Nachfrage nach Kapazitäten im Gasnetz finden die Gas-KWK-Anlagen auch Eingang in die Gasnetzplanung.

Ein Kritikpunkt an den Szenariorahmen Strom und Gas sind die im Vergleich zu verschiedenen Studien niedrigen Annahmen zu wahrscheinlichen Gaskraftwerkskapazitäten in den betrachteten Zieljahren. Es wird kritisiert, im Szenariorahmen Strom werde ein massiver Ausbau der netzausbaudefinierenden Windkraft-und Photovoltaikanlagen angenommen, während bei Gaskraftwerken, die das Maß des gasseitigen Netzausbaues beeinflussen, in beiden Prozessen eher moderate Zubauzahlen angesetzt würden. Dieser unterschiedliche Umgang mit netzausbautreibenden Erzeugungsanlagen hat einen berechtigten Grund. Im Szenariorahmen Strom stützen sich die Annahmen auf konkrete jährliche Ausbaupfade der erneuerbaren Erzeugungsanlagen, die gesetzlich im EEG verankert sind. Diese Ausbaukorridore sind erklärte energiepolitische Ziele der Bundesregierung, die im Szenariorahmen laut EnWG zu berücksichtigen sind. Da aus dem EEG jedoch nur bundesweite Mantelzahlen abgeleitet werden können, ist eine Regionalisierung - also eine Standortbestimmung - der erneuerbaren Erzeugungsanlagen durchzuführen. Diese Regionalisierung orientiert sich an den für Windkraft-und Photovoltaikanlagen einschlägigen rechtlichen und behördlichen Vorgaben der gängigen Genehmigungspraxis. Somit können sowohl die Höhe der im Zieljahr anzunehmenden installierten Leistung der Windkraft-und Photovoltaikanlagen als auch deren Standortermittlung abgeleitet werden. Bei der Zubauprognose und fiktiven Standortbestimmung von Gaskraftwerken kann nicht auf entsprechende Gesetze oder Verordnungen abgestellt werden, da solche nicht existieren. Im Gegenteil, ein gesetzlich gesteuerter Zubau von Gaskraftwerken ist gerade nicht Ziel der Bundesregierung. Diese hat sich gegen entsprechende Kapazitätsmärkte und für einen sogenannten Energy-Only-Markt entschieden. Der Zubau von Gaskraftwerken kann daher nicht aus gesetzlichen Vorgaben,sondern nur aus den vorhandenen konkreten Markt-Indikatoren abgeleitet werden.

Systemrelevante Gaskraftwerke werden bei der Gasnetzberechnung berücksichtigt, während sie auf die Stromnetzentwicklung keinen Einfluss haben. Gaskraftwerke sind auf Antrag derÜbertragungsnetzbetreiberals systemrelevant auszuweisen, wenn ohne sie der sichere Betrieb des Stromnetzes nicht mehr gewährleistet werden kann. Im Falle einer endgültigen Stilllegung würde dem Betreiber diese wiederum auf Antrag des Übertragungsnetzbetreibers untersagt und die betroffene Gaskraftwerkskapazität wird jenseits des Energiemarktes vorgehalten (und vergütet). In der Stromnetzplanung werden systemrelevante Gaskraftwerke nicht berücksichtigt, da das Stromnetz nach erfolgtem Netzausbau ohne dieseKraftwerke stabil funktionieren soll. Denn die in einem Markt unübliche Verpflichtung zur Vorhaltung von Anlagen soll möglichst schnell abgebaut werden. In der Marktsimulation zur Stromnetzentwicklung werden auch nur solche Kraftwerke berücksichtigt, die am Energy-Only-Markt teilnehmen, denn die Marktsimulation soll die Nachfrage nach Strom und deren Befriedigung durch den Markt abbilden und das dafür nötige Netz ermitteln, aber nicht die Notbehelfsmaßnahmen perpetuieren, die mangels ausreichenden Netzes von den Übertragungsnetzbetreibern ergriffen werden. In der Gasnetzberechnung wird keine Marktsimulation durchgeführt, sondern es wird ermittelt, ob die gebuchten Kapazitäten von Händlern, Verteilnetzbetreibern und einzelnen Verbraucher bedient werden können. Im Rahmen einer integrierten Netzplanung müssen dabei systemrelevante Gaskraftwerke berücksichtigt werden,unabhängig davon, ob sie am Energy-Only-Markt agieren und auch unabhängig davon, ob sie selbst Kapazitäten bei den Fernleitungsnetzbetreibern gebucht haben oder ihr Gasbedarf „nur“ über die internen Bestellungen der Gasverteilnetzbetreiber berücksichtigt wird.