Juli 2020

200710

ENERGIE-CHRONIK


Das Verwirrspiel von Care Energy hätte früher gestoppt werden können

Die Machenschaften des Stromanbieters Care Energy hätten bereits Jahre vor seiner Insolvenz gestoppt werden können, wenn das Oberlandesgericht Hamburg nicht ohne Not auf das juristische Verwirrspiel eingegangen wäre, das einen wesentlichen Bestandteil des dubiosen Geschäftsmodells bildete. Dies ergibt sich aus einem vom 3. März datierten Urteil, das der Bundesgerichtshof am 1. Juli auf seiner Internet-Seite veröffentlichte. Es verhilft dem Übertragungsnetzbetreiber TenneT zum Anspruch auf rund 21 Millionen Euro aus der Insolvenzmasse der Care-Energy-Firmen, die wenige Wochen nach dem Tod des Firmenchefs Kristek (170109) nacheinander ihre Zahlungsunfähigkeit erklärten (170202). In der Praxis ist dieser Anspruch aber so gut wie nichts wert, weil die Insolvenzmasse minimal ist und die mehr als hundert Millionen Euro an EEG-Umlage, die Kristek seinerzeit nicht abgeführt hat, auf ungeklärte Weise verschwunden sind.

Stromanbieter verweigerte Zahlung der EEG-Umlage, weil er angeblich "Nutzenergie" statt Strom verkaufte

Kristek hatte ein umfangreiches, verschachteltes Firmengeflecht gegründet, das großteils nur im Handelsregister existierte und allerlei Manipulationen ermöglichte. Den Kern bildete die "mk-group Holding" mit den drei Töchtern "mk power", "mk grid" und "mk energy", wobei "mk" jeweils für die Initialen des Firmengründers Martin Kristek stand. Mit diesen drei Töchtern trat er unter der Marke "Care Energy" als Stromanbieter auf, wobei er den Kunden aber angeblich keinen Strom, sondern "Nutzenergie" verkaufte und mit dieser Begründung die EEG-Umlage nicht abführte. So konnte er konkurrenzlos günstige Preise bieten und bis 2013 rund 250.000 Kunden gewinnen (130501).

Wegen der Schwerfälligkeit von Behörden und Justiz verschwanden hundert Millionen Euro in Kristeks Firmengeflecht

Obwohl das Geschäftsmodell offenkundig nur die Hinterziehung der EEG-Umlage bezweckte, dauerte es wegen der schwerfälligen Reaktion von Behörden und Justiz sechs Jahre, bis Kristek nach massiven Bußgeld-Androhungen schließlich doch die EEG-Umlage abführte und sich bei der Bundesnetzagentur als Stromanbieter registrieren ließ (150715). Da waren die rund hundert Millionen Euro, die er den Übertragungsnetzbetreibern schuldete (150210), aber schon in seinem Firmengeflecht verschwunden bzw. auf eine Briefkasten-Firma transferiert worden, die außer Schulden nichts besaß (160902).

Oberlandesgericht Hamburg annullierte erfolgreiche Klage mit formaljuristischer Begründung

Dass es soweit kommen konnte, lag nicht zuletzt am Oberlandesgericht Hamburg, das im September 2014 ein Urteil des Landgerichts Hamburg aufhob, mit dem der Klage der drei Übertragungsnetzbetreiber Amprion, TenneT und 50Hertz auf Zahlung der vorenthaltenen EEG-Umlage stattgegeben worden war. Das Oberlandesgericht begründete die Annullierung dieses Urteils rein formaljuristisch damit, dass die Klage an die "mk energy" adressiert worden sei, die den Strom besorgte und gegenüber den Übertragungsnetzbetreibern als sogenannter Bilanzkreisverantwortlicher auftrat. Die richtige Adresse hätte nach Ansicht des Gerichts die "mk power" sein müssen, welche die Verträge mit den Kunden abschloss (140909). Mit der Berufung gegen diese Entscheidung hatten die Übertragungsnetzbetreiber ebenfalls keinen Erfolg. Sie wurde im Juli 2016 von einem anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückgewiesen. So gewann Kristek bei seinem Katz-und-Maus-Spiel mit der Trägheit von Behörden und Justiz genügend Zeit, um noch mehr EEG-Umlage einzubehalten und nicht mehr rückholbar in seinem Firmengeflecht verschwinden zu lassen.

Jede der drei Care-Energy-Firmen wäre die richtige Adresse gewesen

Demgegenüber stellte nun in der Revisionsverhandlung der Bundesgerichtshof fest, dass unter den gegebenen Umständen jede der drei Care-Energy-Firmen der richtige Adressat für die Klage gewesen wäre. Der achte Zivilsenat formulierte dazu folgende Leitsatzentscheidung zu § 37 Abs. 2 des damals geltenden EEG 2012, die sich sinngemäß auch auf die aktuelle Fassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes übertragen lässt:

a) Elektrizitätsversorgungsunternehmen, das Strom an Letztverbraucher liefert und daher dem Übertragungsnetzbetreiber die EEG-Umlage schuldet, ist grundsätzlich dasjenige Unternehmen, das sich gegenüber Letztverbrauchern vertraglich zu deren Versorgung mit elektrischer Energie verpflichtet hat.

b) Wirken bei der vertraglichen Ausgestaltung der Stromlieferung an Letztverbraucher mehrere Unternehmen zusammen und ist danach unklar, welches Unternehmen die Verpflichtung zur Belieferung der Endverbraucher übernommen hat, kann der Übertragungsnetzbetreiber jedes der beteiligten Unternehmen auf Zahlung der EEG-Umlage in Anspruch nehmen.

 

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