September 2020 |
200916 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nach Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" (9.9.) arbeiten die beiden Auskunfteien Schufa und Crif Bürgel an Datenpools, in denen die Vertragsdaten der Kunden von Energieversorgern branchenweit zusammengetragen werden. Verbraucher- und Datenschützer befürchten, dass damit den Energievertrieben eine Art Schwarze Liste an die Hand gegeben wird, mit der sie "Bonus-Hopper" identifizieren und ablehnen können. So werden Tarifwechsler bezeichnet, die bewusst auf günstige Lockangebote mit Boni für das erste Vertragsjahr eingehen, den Vertrag aber fristgemäß kündigen, bevor der deutlich teurere Anschlusstarif greifen kann. Die Energieanbieter machen dann weniger Gewinn oder sogar ein Verlustgeschäft. Das ist freilich ihr eigenes, hausgemachtes Problem, dem sie durch eine transparentere Preisgestaltung und grundsätzlichen Verzicht auf Boni ohne weiteres abhelfen könnten. Aus Sicht des Verbraucherschutzes ist das "Bonus-Hopping" nicht nur legitim, sondern sogar zu begrüßen, weil derartige Angebote in aller Regel darauf angelegt sind, die tatsächlichen Kosten eines Strom- oder Gasbelieferungsvertrags zu verschleiern. Diese fragwürdige Geschäftspraxis würde deshalb nur noch unseriöser, wenn die Anbieter von vornherein die Möglichkeit hätten, preisbewusste Verbraucher abzulehnen und mit einem von den Auskunfteien vorsortierten Datenpool auf Dummenfang zu gehen.
Bis vor kurzem warb die führende deutsche Auskunftei Schufa in einer Broschüre für ihren "E-Pool" damit, dass er nicht nur Informationen über unbezahlte Rechnungen enthalte, sondern auch wertvolle Hinweise "zu dem bestehenden Energiekonto und der bisherigen Laufzeit". Dies könne beim "Entscheidungsprozess im Neukundengeschäft" behilflich sei. Inzwischen hat sie diese Broschüre aus dem Netz genommen und von einem "redaktionellen Versehen" gesprochen. Zugleich beteuerte sie, dass nur die Daten des jeweils aktuellen Liefervertrags gespeichert werden sollen. Allerdings würde auch das schon reichen, um einen Kunden mit nur einjähriger Vertragsdauer suspekt zu machen.
Immerhin scheint die Schufa erkannt zu haben, auf welches abschüssige Terrain sie sich begibt. Die geplante Datenbank werde es nicht ermöglichen, "Vielwechsler zu identifizieren, um diese an der Möglichkeit des Wechsels ihres Energieversorgers zu hindern", versicherte eine Unternehmenssprecherin auf Anfrage von "energate" (17.9.). Es gehe nur darum, Informationen über mögliche "Zahlungsstörungen" von Kunden bereitzustellen. Auf dieser Basis sollen die Energieanbieter dann entscheiden können, "ob sie einem Verbraucher den Wechsel zu ihrem Unternehmen doch noch anbieten wollen, selbst wenn dieser aufgrund von vorherigen Zahlungsstörungen ansonsten nicht eingeräumt worden wäre". Demnach ginge es also um einen Service für klamme Kunden, die sonst keinen Wahltarif bekämen, sondern der teureren Grundversorgung überantwortet würden. Mit dieser herzerweichenden Darstellung werden die Auskunfteien wohl auch Anfang November aufwarten, wenn das Projekt "E-Pool" bei einer Videokonferenz mit den Datenschutzbehörden der Länder und des Bundes auf dem Prüfstand steht.
Die Boni haben vor ungefähr zehn Jahren die Vorkasse-Angebote verdrängt, mit denen sich bis dahin unseriöse Billigstromanbieter wie Teldafax oder Flexstrom die vordersten Plätze auf den Ergebnislisten von Verivox und anderen Tarifvergleichern sicherten (siehe Hintergrund, März 2013). Der Anbieter Flexstrom entwickelte die neue Masche zu besonderer Perfektion, indem er durch irreführende Formulierungen den Kunden vorgaukelte, dass sie den Bonus bereits bei einjähriger Vertragslaufzeit erhalten würden, obwohl er dann trotz fristgemäßer Kündigung verweigert wurde. Zur Abschreckung von klagebereiten Kunden konnte Flexstrom lange Zeit auf 46 Urteile von Amtsgerichten sowie vier Urteile des Berliner Landgerichts verweisen, die in der Rabulistik der Bonus-Versprechungen nichts Unrechtmäßiges zu erkennen vermeinten. Es gab aber auch andere Urteile wie das des Heidelberger Landgerichts, das die trickreich formulierte Bonus-Klausel als "versuchte Bauernfängerei" charakterisierte (111211). Als die Bundesnetzagentur Flexstrom die Geschäftstätigkeit untersagen wollte, meldete das Unternehmen Insolvenz an (130401).
Ein aktuelles Beispiel für unseriösen Kundenfang mittels Boni ist die "Bayerische Energieversorgungsgesellschaft" (BEV), die Anfang 2019 Insolvenz beantragte, nachdem es ihr nicht gelungen war, ihren Kunden eine drastische Preiserhöhung aufs Auge zu drücken (190104). Dieser Strom- und Gasanbieter akquirierte seine Kunden zu 96 Prozent über die beiden Vergleichsportale Verivox und Check24. Die Preise wurden dabei durch Boni so aufgehübscht, dass sie auf die vordersten Plätze der Vergleichslisten gelangten. Der damit erzielte Erfolg belastete das Unternehmen indessen gleich doppelt durch die zu zahlenden Boni und die hohen Provisionen, die von den Vergleichsportalen für die Vermittlung der Kunden kassiert wurden. Nachdem in der zweiten Jahreshälfte 2018 mehrere Versuche zu einer Kreditaufnahme bei Banken und zu einem Verkauf des maroden Unternehmens gescheitert waren, konnte die BEV auch die hohen Provisionszahlungen an die Vergleichsportale nicht mehr aufbringen und verzichtete auf deren Dienste. Als die Bundesnetzagentur schließlich wegen des rabiaten Umgangs mit den Kunden eingriff und damit die Insolvenzanmeldung auslöste, war die Firma längst pleite (200114).
Die "Bonus-Hopper" sind für das halbseiden durchwirkte Vertriebsgeschäft zu einer besonderen Gefahr geworden, seitdem sich etliche Unternehmen anheischig machen, dem einzelnen Verbraucher die Mühe der Tarifauswahl und der rechtzeitigen Kündigung abzunehmen, wofür sie dann einen Bruchteil der erzielten Einsparung oder vom neuen Lieferanten eine Provision erhalten. Die Zeitschrift "Finanztest" der Stiftung Warentest hat im April 2019 neun solcher Dienstleister unter die Lupe genommen, wobei "Esave", "SwitchUp", "Wechselpilot" und "Wechselstrom" das Prädikat "sehr empfehlenswert" erhielten. Als "empfehlenswert" eingestuft wurden "Cheapenergy24", "Switchandsave" und "Wechselfabrik". Nicht empfehlenswert waren "Energyhopper" und "Stromauskunft". Von den sehr empfehlenswerten Wechselassistenten war nur der Branchenführer "SwitchUp" für die Nutzer kostenlos (aber auf Provisionen der neuen Lieferanten angewiesen), während die drei anderen ihre Kosten mit einer Beteiligung an der Einsparung deckten: Bei "Wechselpilot" betrug dieser Anteil 20 Prozent, bei "Esave" und "Wechselstrom jeweils 30 Prozent. Das 2016 gegründete Unternehmen "Wechselpilot" hat im Juni vorigen Jahres die Kunden des Tarifvergleichers "Hauspilot" übernommen, der neben Preisgünstigkeit insbesondere Transparenz und Schutz vor unseriösen Angeboten versprach und vom "Bund der Energieverbraucher" empfohlen wurde, aber für seine Dienstleistung eine Gebühr verlangte und wohl deshalb nicht hinreichend reüssieren konnte.