Februar 2021 |
210206 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die geplante Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes (210203) schreibt erstmals die Einführung von "dynamischen" Stromtarifen vor. Davon betroffen sind vorerst nur solche Stromvertriebe, die jeweils zum Jahresende mehr als 200.000 Letztverbraucher beliefern. Gemäß § 41a, Absatz 2 sind sie dann im Folgejahr verpflichtet, sämtlichen Kunden, die über ein intelligentes Messsystem im Sinne des Messstellenbetriebsgesetzes verfügen (200205), "den Abschluss eines Stromliefervertrages mit dynamischen Tarifen für Letztverbraucher anzubieten".
Die Novellierung setzt damit den Artikel 11 der neugefassten EU-Richtlinie zum Strombinnenmarkt um, die 2019 in Kraft trat (siehe PDF). Der Begriff "Vertrag mit dynamischen Stromtarifen" wird in dieser Richtlinie folgendermaßen definiert: "Stromliefervertrag zwischen einem Versorger und einem Endkunden, der die Preisschwankungen auf den Spotmärkten, einschließlich der Day-Ahead- und Intraday-Märkte, in Intervallen widerspiegelt, die mindestens den Abrechnungsintervallen des jeweiligen Marktes entsprechen".
Es handelt sich also um Tarife, bei denen die täglichen, stündlichen oder sogar viertelstündlichen Preisschwankungen an der Strombörse unmittelbar den Preis beeinflussen, den die Verbraucher jeweils pro Kilowattstunde zahlen. Technisch lässt sich das allerdings nur bei sogenannten RLM-Kunden realisieren, die über eine registrierenden Leistungsmessung im Viertelstundentakt verfügen. Für die große Masse der sogenannten SLP-Kunden, deren Stromverbrauch per Standardlastprofil abgerechnet wird, kommt das Verfahren nicht in Betracht. Es ist auch fraglich, ob sich für diese der Umstieg auf die registrierende Leistungsmessung durch Anschaffung eines "intelligenten Messsystems" lohnen würde. Die Stromlieferanten werden deshalb vorsorglich verpflichtet, "die Letztverbraucher über die Kosten sowie die Vor- und Nachteile umfassend zu unterrichten".
Im übrigen verpflichtetet der § 41a in Absatz 1 die Stromlieferanten weiterhin, lastvariable, tageszeitabhängige oder andere Tarife anzubieten, die "einen Anreiz zu Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs setzen". Dieser Passus ist schon seit 2008 im Energiewirtschaftsgesetz enthalten (zuletzt als Absatz 5 in der alten Fassung des § 40). Der Gesetzgeber reagierte mit dieser Vorgabe seinerzeit auch auf den fehlenden Wettbewerb bei Heizstrom, der das Bundeskartellamt zur Einleitung zahlreicher Mißbrauchsverfahren veranlasste (100911). Erst ab etwa 2015 kam es zu einer deutlichen Verbesserung dieser unerfreulichen Situation, die rund zwei Millionen Heizstrom-Kunden zu "Gefangenen" ihrer jeweiligen Grundversorger gemacht hatte (160107).
Ursprünglich war im Energiewirtschaftsgesetz explizit vorgeschrieben,
die lastvariablen und tageszeitabhängigen Tarife bis Ende 2010 einzuführen.
Wieweit es zu dieser Umsetzung tatsächlich gekommen ist, lässt sich
schlecht beurteilen, da die Verpflichtung bis heute durch die Einschränkung
relativiert wird, dass sie "technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar"
sein muss. Auf die unerträgliche Situation bei den Tarifen für Heizstrom
hat sie sich sicher positiv ausgewirkt. Indessen sieht es so aus, als habe man
die energetischen Einsparmöglichkeiten überschätzt, die sich
im Bereich der Haushaltskunden eröffnen. Zum Beispiel würde es wenig
bringen und lediglich einen Riesenaufwand verursachen, Waschmaschinen, Herde
oder Bügeleisen mit Blick auf den jeweils geltenden Strompreis ein- und
auszuschalten. Im wesentlichen sind lastvariable oder tageszeitabhängige
Tarife nur dort interessant, wo sich ein erheblicher privater Strombedarf ohne
unmittelbares Zutun des Verbrauchers und ohne Komfortverlust zeitlich verschieben
lässt. Typische Anwendungsbeispiele sind Kühlaggregate, Wärmepumpen
oder Steckdosen für Elektroautos. Aber auch dann muss zunächst abgewogen
werden, ob sich der zusätzliche Aufwand zur separaten Erfassung des Stromverbrauchs
durch "intelligente Messsysteme" überhaupt lohnt.