November 2021 |
211107 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Zuerst das übliche Gesülze, dann eine "Preisanpassung" um effektiv 58 Prozent: Kundenanschreiben der "Saubere Energie GmbH" (siehe weiter unten) |
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen forderte am 29. Oktober die Bundesnetzagentur zum Einschreiten auf, weil Energieversorger wie "Immergrün" oder "Wunderwerk" ihren Kunden enorme Erhöhungen der Abschlagszahlungen von teilweise über hundert Prozent abverlangt haben, die bereits ab nächsten Monat gültig sein sollten. "Uns liegen zahlreiche Beschwerden vor, bei denen einseitig erklärte, drastische Erhöhungen der Abschläge aus unserer Sicht jeglicher Grundlage entbehren und juristisch unzulässig sind", erklärte Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW. "Wir empfehlen den Betroffenen daher, Ruhe zu bewahren, den unrechtmäßigen Forderungen zu widersprechen und den erhöhten Abschlag nicht zu bezahlen." Die Abschlagszahlung richtet sich nach dem Verbrauch im vorhergehenden Abrechnungszeitraum, bei der üblichen Jahresabrechnung also nach dem Vorjahresverbrauch. Eine einseitige Erhöhung ist deshalb aus Sicht der Verbraucherzentrale NRW nur nach einer rechtmäßigen Preiserhöhung möglich.
Wer solche erhöhten Abschlagszahlungen akzeptiert, riskiert außerdem den Verlust seiner Vorauszahlungen, wenn der Strom- oder Gasanbieter Insolvenz anmeldet. Denn es sind in der Regel sehr windige Unternehmen, die auf diese krumme Tour ihre Finanzprobleme zu lösen versuchen. "Bereits seit einigen Wochen fallen vor allem sogenannte Discount-Energieversorger mit 'kreativen' Ideen auf, mit denen sie versuchen, ihre finanzielle Schieflage auf Kosten der Verbraucher auszugleichen", beobachtete die Verbraucherzentrale NRW.
Inzwischen hat die Bundesnetzagentur reagiert. Wie sie am 11. November mitteilte, hat sie ein Aufsichtsverfahren gegen die Rheinische Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft mbH eingeleitet. Laut Handelsregister existiert diese Firma erst seit August 2020 und ist "durch Umwandlung im Wege des Formwechsels der 365 AG" entstanden. Bei letzterer handelte es sich um ein bei Verbraucherschützern berüchtigtes Unternehmen, zu dem die Marken "Immergrün", "idealenergie" und "Meisterstrom" gehörten (200312). Demselben Umfeld entstammen die "Elektrizitätswerke Düsseldorf AG", die laut Handelsregister zu Anfang dieses Jahres aus der "Wunderwerk AG" hervorgingen. Die seriös klingende Namensgebung bezweckt offenbar die Verwechslung mit den Stadtwerken Düsseldorf. Die Wunderwerk AG lebt unterdessen zumindest virtuell als Marke bzw. Tochter der "Elektrizitätswerke Düsseldorf AG" im Internet weiter und tut so, als ob ihr eigentliches Anliegen die Förderung verschiedener sozialer Projekte sei ("Mit Wunderwerk Gutes für Kinder & Jugendliche tun"). In ihrem Impressum weist sie sogar keck darauf hin, dass sie der Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde untersteht. Das soll wohl Vertrauen wecken.
Ziemlich unsauber ist aber auch die Art, wie "Sauber Energie" mit den Kunden umspringt. Dieser Anbieter wirbt mit "umweltfreundlicher Energie aus 100 Prozent Wasserkraft". Damit ist die übliche Augenwischerei mit sogenannten Herkunftsnachweisen gemeint, die auf in Norwegen erzeugten (und dort auch verbrauchten) Strom ausgestellt werden (siehe Hintergrund, Juli 2021). Damit die Illusion noch ein bißchen perfekter wird, setzt "Sauber Energie" auf einen Schelmen anderthalbe, indem zusätzlich versprochen wird: "Zertifizierte Herkunftsnachweise garantieren, dass genauso viel Ökostrom ins Stromnetz gelangt, wie von Ihnen verbraucht wird." Aber um diese amtlich lizenzierte und deshalb schon allgemein üblich gewordene Irreführung mit angeblichem "Ökostrom" geht es hier nicht. Vielmehr liegt der ENERGIE-CHRONIK ein vom 16. November datiertes Schreiben an die Stromkunden von "Sauber Energie" vor, das ihnen ab dem neuen Jahr drastische Preiserhöhungen abverlangt: Der Arbeitspreis steigt von 24,28 auf 29,87 Cent pro Kilowattstunde, und zusätzlich wird der Grundpreis von 8,93 auf 27,97 Euro pro Monat erhöht. Umgerechnet auf einen Durchschnittsverbrauch von 3500 Kilowattstunden steigt damit der Arbeitspreis von 849,80 auf 1045,45 Euro jährlich. Vor allem aber explodiert der Grundpreis von 107,16 auf 335,64 Euro jährlich. Insgesamt bedeutet das eine Preiserhöhung von 956,96 auf 1381,09 Euro oder um gut 44 Prozent. Und das, obwohl ab 1. Januar die EEG-Umlage um die Hälfte niedriger wird (211001). "Diese Vergünstigung geben wir an sie weiter", behauptet das Schreiben. "Die Senkung der EEG-Umlage kann jedoch die derzeit hohen Stromkosten am Energiemarkt nicht vollumfänglich auffangen." Im Klartext heißt das, dass der horrende Gesamtpreis ohne Senkung der EEG-Umlage eigentlich noch um knapp hundert Euro höher wäre und für dieselbe Strommenge sogar um 58 Prozent steigen würde. Da es sich aber um Bezieher von "Ökostrom" handelt, gibt es gleich in der Überschrift des dreist-unverschämten Schreibens den passenden Trost dazu: "Ihr Strompreis ändert sich – Ihr positiver Beitrag zum Klimaschutz bleibt." Es folgt das übliche Gesülze, mit dem "Preisanpassungen" eingeleitet werden.
Dabei gehört "Sauber Energie" nicht in jene Ecke, wo eindeutig dubiose Stromanbieter zuhause sind, wie beispielsweise die "Regionalen Energiewerke", die in ähnlicher Weise ihre Kunden zu schröpfen versuchten und bei denen sogar die Firmenadresse getürkt war, wie ein Reporter des SWR-Fernsehens zu seiner Verblüffung feststellen musste (200312). Laut Handelsregister ging die SE Saubere Energie Verwaltungs-GmbH vor elf Jahren aus der rhenag Erdgashandels Verwaltungs-GmbH hervor. Sie ist also kein Namens-Fake, sondern ein Abkömmling der Rhenag Rheinische Energie AG, deren Geschichte bis auf eine 1872 gegründete Wasserwerksgesellschaft zurückgeht. Inzwischen gehört die Rhenag als Tochter der Westnetz zum E.ON-Konzern. Sie ist ein kleiner, aber real existierender kommunaler Versorger, der Kunden im nördlichen Rheinland-Pfalz und im rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis mit Strom, Gas und Wasser beliefert. Als dort zuständiger Grundversorger hat sie unter anderem Kunden von "Immergrün" und ähnlichen Vertriebsmarken übernommen, die wegen ihrer unsoliden Geschäftsmodelle unter dem gegenwärtigen Anstieg der Spotmarktpreise kollabierten (211002). Außerdem betätigt sie sich als Branchen-Dienstleister für zahlreiche kleinere Stadtwerke und ähnliche Unternehmen. An der SE Saubere Energie Verwaltungs-GmbH ist die rhenag Rheinische Energie AG mit Sitz in Köln aber nur noch mit 16,68 Prozent beteiligt. Die anderen Anteile halten in jeweils gleicher Höhe die fünf Mitgesellschafter BEW Bergische Energie- und Wasser GmbH (Wipperfürth), Maingau Energie GmbH (Obertshausen), medl GmbH (Mülheim/Ruhr), e-regio GmbH & Co. KG (Euskirchen) und Siegener Versorgungsbetriebe GmbH (Siegen).
Anscheinend hat dieser Internet-Stromvertrieb mit vergleichsweise seriösem Hintergrund und Verankerung in der Kommunalwirtschaft sein Portfolio ähnlich unsolide gestaltet wie die Freibeuter, die nun alle mit den stürmisch aufgepeitschten Wogen des Spotmarkts für Strom zu kämpfen haben oder bereits mit Mann und Maus in der Insolvenz versunken sind. Wie schnell auch kommunale Versorger beim Energievertrieb per Internet scheitern können, hat sich ja schon bei den Stadtwerken Pforzheim gezeigt (siehe Hintergrund, Januar 2019). Aber wenn man dann auch noch die Kunden für die selbstverschuldeten Fehler büßen lassen will, indem man Ihnen von einem Monat zum anderen eine Strompreiserhöhung um effektiv 58 Prozent abverlangt, ist das ebenso unverschämt wie kurzsichtig. Die Gesellschafter von "Saubere Energie" sollten sich deshalb überlegen, ob es nicht besser wäre, eine Geschäftsführung auszuwechseln, die derartige Briefe verschicken lässt.