Dezember 2021

211209

ENERGIE-CHRONIK


"Stromkennzeichnung" wird noch verwirrender

Aufgrund von § 42 des Energiewirtschaftsgesetzes sind die Stromvertriebe seit 1. November verpflichtet, die sogenannte Stromkennzeichnung nach geänderten Regeln vorzunehmen. Die Novellierung des Paragraphen erfolgte mit dem "Gesetz zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung neuer Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht", das der Bundestag am 24. Juni beschloss (210609). Die Neuerung besteht darin, dass im "Gesamtenergieträgermix" eines Unternehmens der Anteil "erneuerbare Energien, finanziert aus der EEG-Umlage" nicht mehr wie bisher enthalten ist, obwohl er mit Abstand das größte Segment bildet. Er darf nur noch dann auftauchen, wenn die Unternehmen "keine Produktdifferenzierung mit unterschiedlichen Energieträgermixen vornehmen", also keine speziellen "Tarife" anbieten, wie diese Produktdifferenzierung gemeinhin bezeichnet wird. Dann handelt es sich aber nach dem neuesten EnWG-Sprachgebrauch nicht mehr um einen Gesamtenergieträgermix, sondern um einen "Unternehmensverkaufsmix" .

"Herkunftsnachweise" werden aufgewertet, während der EEG-Anteil entfällt

Der Begriff "Gesamtenergieträgermix" wurde also in einer Weise verändert, die dem Wortsinn eklatant widerspricht. In der vom Gesetzgeber dekretierten Schrumpfform umfasst er den größten und zukunftsträchtigsten Teil des deutschen Strom-Mixes nicht mehr. Er steht nur noch für den Rest aus "Kernkraft, Kohle, Erdgas und sonstige fossile Energieträger" zuzüglich "Mieterstrom, finanziert aus der EEG-Umlage" und "Erneuerbare Energien mit Herkunftsnachweis, nicht finanziert aus der EEG-Umlage". Für diesen Restbestand sind dann – wie schon bisher – "Informationen über die Umweltauswirkungen zumindest in Bezug auf Kohlendioxidemissionen und radioaktiven Abfall" anzugeben.

Der neue "Gesamtenergieträgermix" eignet sich besonders für die Werbung mit "Ökostrom"-Angeboten

Die Neuregelung kommt den Anbietern von "Ökostrom" zugute, die den normalen "Graustrom" aus der Steckdose rein kosmetisch zu Strom aus erneuerbaren Quellen aufhübschen, indem sie eine entsprechende Anzahl von "Herkunftsnachweisen" kaufen (siehe Hintergrund, Juli 2021). Durch die Verbannung des EEG-Anteils aus dem "Gesamtenergieträgermix" eines Unternehmens wird nämlich der falsche Eindruck erweckt, als ob der Anteil an "Erneuerbaren Energien mit Herkunftsnachweis" jenes grün eingefärbte Segment sei, auf das es tatsächlich ankomme.

Bisher bestand das Vertriebsprodukt "100% Ökostrom" in aller Regel aus dem EEG-Anteil des Stroms, der dann durch den Erwerb von Herkunftsnachweisen rein fiktiv bis auf hundert Prozent aufgestockt wurde. Maßgeblich für die Berechnung des EEG-Anteils ist dabei nicht der reale Anteil der EEG-Einspeisung am deutschen Stromverbrauch, der bei etwas über 40 Prozent liegt, sondern die Belastung der jeweiligen Endverbraucher durch die EEG-Umlage. Er hängt deshalb stark von der Kundenstruktur eines Unternehmens ab. Bei einem hohen Anteil von Kleinverbrauchern, die mit der vollen EEG-Umlage belastet werden, kann er so errechnete EEG-Anteil leicht sechzig Prozent übersteigen. Umgekehrt kann die gleichzeitige Belieferung von "privilegierten" Großverbrauchern diesen rechnerischen Anteil auf weniger als die Hälfte senken. Insgesamt steigt er aber unablässig mit dem von Jahr zu Jahr steigenden realen Anteil des EEG-Stroms am Erzeugungsmix. Entsprechend sinkt der Bedarf für die Kosmetik mit den Herkunftsnachweisen. Das Geschäftsmodell "Ökostrom" ist deshalb in dieser Form tendenziell ein Auslaufmodell.

"Lichtblick" führt die Konkurrenten als Hochstapler vor...

Der neue "Gesamtenergieträgermix" eröffnet dieser Branche nun die Chance, das dort ausgewiesene Segment "Erneuerbare Energien mit Herkunftsnachweis" zum echten und einzig wahren Ökostrom zu erklären, obwohl die Herkunftsnachweise ein bloßes Marketing-Instrument für den Stromvertrieb an Letztverbraucher sind und zur Energiewende nichts beitragen. Der "Ökostrom"-Anbieter Lichtblick hat die neue Masche sogleich vorexerziert, indem er am 9. Dezember allen möglichen Stromvertrieben vorwarf, ihren "realen Ökostrom-Anteil" im Gesamtenergieträgermix bisher viel zu hoch angegeben zu haben. Zum Beispiel habe E.ON diesen Anteil im Jahr 2020 mit 56 Prozent beziffert, obwohl es nach der neuen Gesetzgebung nur 10 Prozent sein dürften. In ähnlicher Weise wurden EnBW, Vattenfall, EWE oder Mainova als Hochstapler vorgeführt.

...hat aber beim "Unternehmensverkaufsmix" selbst einen EEG-Anteil von 65 Prozent

Leuchtendes Gegenbeispiel ist natürlich Lichtblick, wo man anscheinend schon 2020 den gesamten Stromeinkauf durch den Erwerb entsprechender Herkunftsnachweise für Strom aus Wasserkraft abgedeckt hat. Und so findet man dann auf der Internetseite dieses Unternehmens einen"Gesamtenergieträgermix" aus 100 Prozent "erneuerbare Energien mit Herkunftsnachweis, nicht finanziert durch die EEG-Umlage" . Allerdings sieht es dann beim Produktmix für den von Lichtblick verkauften "Ökostrom" ganz anders aus, weil dieser – wie bisher – unter Einbeziehung des rechnerischen EEG-Anteils anzugeben ist. Bei diesem "Unternehmensverkaufsmix" schrumpfen die stolzen hundert Prozent plötzlich zu 35 Prozent, während der große Rest 65 Prozent EEG-Anteil sind...

Den echten Anteil an Grünstrom bekommt jeder auch ohne "Ökostrom"-Tarif

Wie schon erwähnt, sind auch diese 65 Prozent EEG-Anteil im Produktmix eines einzelnen Unternehmens eine rechnerische Fiktion, die weit über dem realen EEG-Anteil an der deutschen Bruttostromerzeugung liegt, der etwas über vierzig Prozent beträgt. Der durch "Herkunftsnachweise" abgedeckte grüne Anteil im Strom-Mix ist sowieso nur amtlich lizenzierte Augenwischerei. Der Stromverbraucher tut deshalb gut daran, sich erst gar nicht auf den Wirrwarr mit der "Stromkennzeichnung" einzulassen, sondern sich an die Fakten zu halten. Der wichtigste dieser Fakten ist, dass in Deutschland bis zu 45 Prozent des Strom-Endenergieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen kommt und davon der weitaus größte Teil EEG-gefördert ist. Diesen echten Anteil an "Grünstrom" bekommt jeder frei Steckdose geliefert, ob er nun einen speziellen "Ökostromtarif" abschließt oder nicht. Dafür sorgt die Physik. Alles andere ist Metaphysik.

 

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