Mai 2022

220511

ENERGIE-CHRONIK


Finnland verzichtet auf russisches Kernkraftwerk

Das finnische Kernenergieunternehmen Fennovoyma hat am 2. Mai den Vertrag mit dem russischem Atomkonzern Rosatom über die Errichtung des Kernkraftwerks Hanhikivi 1 gekündigt. Die Entscheidung erfolgte in Abstimmung mit der finnischen Regierung, die wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine inzwischen gemeinsam mit Schweden die Aufnahme des Landes in die NATO beantragt hat.

"In den letzten Jahren ist es zu erheblichen und zunehmenden Verzögerungen gekommen", hieß es zur Begründung. "Durch den Krieg in der Ukraine haben sich die Risiken für das Projekt verschlimmert. Rosatom war nicht in der Lage, eines der Risiken zu mindern." Rosatom antwortete noch am selben Tag, dass man die Kündigung sehr bedauere, alle Verpflichtungen gewissenhaft erfüllt habe und sich rechtliche Schritte vorbehalte.

Realisierung von Hanhikivi 1 hätte ähnlich lange gedauert wie Olkiluoto 3

Die Entscheidung bedeutet nicht, dass Finnland keine weiteren Kernkraftwerke bauen will. Der Standort Pyhäjoki soll für diesen Zweck erhalten bleiben. Auf seiner Internetseite wirbt Fennovoyma weiter für Reaktoren, die nicht nur sauber, sicher und zukunftsträchtig seien, sondern auch "schnell gebaut" werden könnten. Geflissentlich ignoriert wird dabei, dass es nach dem Baubeschluss für das finnische Kernkraftwerk Olkiluoto 3 zwanzig Jahre gedauert hat, bis der Reaktor tatsächlich in Betrieb genommen werden konnte (211204). Beim Projekt Hanhikivi 1 hätte die Realisierung ähnlich viel Zeit beansprucht. Denn hier vergingen schon seit dem Baubeschluss 12 Jahre, ohne dass mit der Errichtung begonnen werden konnte. Das hatte mehrere Ursachen. Die Finnen begründen ihre Kündigung aber nicht grundlos mit den Verzögerungen, die auch nach 2014 auftraten, als die Russen den Auftrag zur Herstellung des Kernkraftwerks übernommen hatten.

Nach dem Rückzug von E.ON, Areva und Toshiba bekam Rosatom den Auftrag

Der Bau des Kernkraftwerks Hanhikivi wurde von der finnischen Regierung 2010 beschlossen (100607). Und zwar sollten gleich zwei neue Reaktoren die bisher vier Reaktoren an den Standorten Loviisa und Olkiluoto ergänzen, die in den Jahren 1977 bis 1980 ans Netz gingen. Deshalb lief das jetzt eingestellte Projekt noch immer unter der Bezeichnung Hanhikivi 1. An dem Auftraggeber Fennovoyma war ursprünglich E.ON mit 34 Prozent beteiligt, hatte sich dann aber zurückgezogen (121002). Zunächst sah es so aus, als ob ersatzweise die französische Areva mit dem EPR-Reaktor zum Zuge kommen würde. Dann galt vorübergehend der japanische Toshiba-Konzern als Favorit (130207). Schließlich übernahm die russische Rosatom die Drittelbeteiligung an Fennovoyma und sicherte sich so den Auftrag für das Kernkraftwerk, das nun mit einem russischen Druckwasserreaktor vom Typ AES-2006 mit einer Leistung von 1200 MW betrieben werden sollte (140113). Als Lieferanten der Leittechnik waren Framatome und Siemens vorgesehen. Die energetische Kopplung des nuklearen Dampferzeugers mit dem Generator sollte eine vom französischen Hersteller Alstom gelieferte Turbine des Typs "Arabelle" übernehmen (220204).

Auftragsvergabe war schon nach Annektierung der Krim heftig umstritten

Schon kurz danach war diese Auftragsvergabe wegen der russischen Annektierung der Krim und Putins Aggression in der Ostukraine heftig umstritten (140906). Trotzdem erteilte die finnische Regierung dem Projekt die Neugenehmigung, die wegen des Lieferantenwechsels und der Änderung der Reaktorleistung erforderlich wurde. Dabei spielte sicher auch eine Rolle, dass der Fortum-Konzern und andere finnische Unternehmen, die sich in Russland engagiert hatten, vom Kreml unter Druck gesetzt werden konnten.

Neue Brisanz erhielt die Auftragsvergabe an Rosatom dann durch die Brutalität, mit der Russland im Februar dieses Jahres die Ukraine überfiel und bis heute verwüstet. Vier Tage nach Beginn der Invasion veröffentlichte Fennovoyma eine Erklärung zur Lage in der Ukraine, wonach zu erwarten sei, dass sich die bis dahin beschlossenen Sanktionen auch auf das Projekt Hanhikivi 1 auswirken würden, obwohl sie den Nuklearsektor an sich nicht beträfen. Man sei "sehr traurig über diese Entwicklung" und stehe im Kontakt mit allen relevanten Akteuren, könne sich aber derzeit nicht weiter dazu äußern. Diese Erklärung wurde bis 4. April mit geringfügigen Änderungen dreimal als "Update" wiederholt. Am 2. Mai folgte dann die Mitteilung, dass Fennovoima den Vertrag über die Lieferung des Kernkraftwerks Hanhikivi 1 gekündigt habe und die Zusammenarbeit ab sofort beendet sei.

 

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