April 2023

230413

ENERGIE-CHRONIK


AfD und Union hängen Habeck und dessen Staatssekretär Graichen einen Pseudo-Skandal an

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist Ende April unter Beschuss geraten, weil sein Staatssekretär Patrick Graichen ihn erst am 24. April darüber informiert hat, dass der Staatssekretär Michael Schäfer, den eine Findungskommission zum neuen Geschäftsführer der "Deutschen Energie-Agentur" (Dena) ausersehen hat, Graichens Trauzeuge war. Die rechtsextremistische AfD startete daraufhin mit einer von ihr beantragten "Aktuellen Stunde" im Bundestag am 26. April eine Hetzkampagne wegen eines angeblichen "mafiösen Geflechts" in Habecks Ministerium, an der sich auch die Union und die Springer-Presse beteiligten. Wie Habecks Ministerium am 27. April mitteilte, hat deshalb der parlamentarische Staatssekretär Stefan Wenzel als Vorsitzender des Dena-Aufsichtsrats diesem Gremium eine "Überprüfung und mögliche Neuaufsetzung" des Verfahrens zur Auswahl des neuen Geschäftsführers empfohlen, "um jeglichen Anschein einer Befangenheit zu vermeiden".

Graichen gilt als wichtigster Helfer des Ministers

In der Affäre, die eigentlich gar keine ist, geht es ausschließlich um normale private, politische und berufliche Kontakte zwischen Personen aus dem Umfeld Habecks. Diese sollen aber anscheinend mindestens zum Vorwurf der Vetternwirtschaft aufgebauscht werden, um den Minister oder dessen Staatssekretär Graichen zu Fall zu bringen. Graichen war früher Referatsleiter im Bundesumweltministerium, bevor er sich 2012 beurlauben ließ, um die "Denkfabrik" Agora Energiewende mitzugründen, deren Leitung er ab 2014 übernahm. Ende 2021 berief ihn dann Habeck zum beamteten Staatssekretär für Energie- und Klimapolitik (220104). Er gilt als wichtigster Helfer des Ministers, vor allem bei der Bewältigung der zurückliegenden Gasversorgungskrise.

Einer der "Vorwürfe" ist, dass Graichens Schwester für den BUND im Wasserstoffrat sitzt

Zu den seit langem bekannten "Enthüllungen" gehört, dass Graichen eine Schwester Verena und einen Bruder Jakob hat, die beide als "Senior Researcher" für das "Öko-Institut" tätig sind, das wiederum vom Bundeswirtschaftsministerium Aufträge erhält. Solche Aufträge erhielt das Institut allerdings schon von früheren Wirtschaftsministern, und unter Habecks Vorgänger Peter Altmaier (CDU) waren es sogar mehr als jetzt. Graichens Schwester Verena sitzt auch nicht deshalb im "Nationalen Wasserstoffrat", weil ihr Bruder oder der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner - mit dem sie verheiratet ist - ihr zu diesem Posten verholfen hätten, sondern weil sie ebenfalls bereits unter Altmaier im Juni 2020 als Fachfrau aus der Zivilgesellschaft bzw. als Vertreterin des BUND in dieses Gremium berufen wurde (siehe 200610 und Liste der 26 Mitglieder des "Nationalen Wasserstoffrates"). Das hinderte den CDU-Abgeordneten Tilman Kuban indessen nicht daran, in der von der AfD beantragten Bundestagsdebatte genau diese falsche Behauptung als Beleg dafür anzuführen, "dass ein Bundeswirtschaftsministerium zum Selbstbedienungsladen wird" und Habeck "endlich mit den mafiösen Tendenzen" aufräumen müsse. Ähnlich verdächtig kam ihm vor, dass der Forschungskoordinator beim "Öko-Institut", Felix Matthes, mit der früheren Berliner Umweltsenatorin Regine Günther verheiratet ist.

AfD präsentiert das Freiburger Öko-Institut als Zentrum eines "mafiösen Geflechts"

Am schlimmsten trieben es die Rechtsextremisten, die mit sichtlicher Befriedigung registrierten, wie in ihrem Windschatten die Union folgte. "Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, Clankriminalität wirksam zu bekämpfen", begann der AfD-Abgeordnete Stefan Brandner seine Hetzrede. "Grüne Clanstrukturen sind mittlerweile in der Bundesregierung und ganz exemplarisch im Bundeswirtschaftsministerium angekommen. Der Kinderbuchautor und Bundeswirtschaftsminister Habeck hat seine Art der Personalführung und -förderung offenbar von Clans abgeschaut und herrscht mit einer Mischung aus Eigennutz, Klüngelei, Vetternwirtschaft und Filz. Der Staat als Beute der Grünen, der Bürger als Opfer der Grünen." Dann hielt Brandner ein selbst angefertigtes Schaubild hoch, das in ähnlicher Weise später auch die "Bild"-Zeitung brachte: Es zeigte im wesentlichen die bereits genannten Personen, die in der Art eines verschwörerischen Geflechts präsentiert wurden. "In der Mitte steht das aus der Antiatombewegung hervorgegangene Öko-Institut, das regelmäßig Fördermittel aus dem Bundeswirtschaftsministerium erhält", erläuterte Brandner, um weitere hochbrisante Informationen hinzuzufügen wie die, dass Graichen der Nachfolger von Rainer Baake sei (180304) und Habeck diesen "zum Sonderbeauftragten für die deutsch-namibische Klima- und Energiekooperation ernannt" habe. Außerdem sei Baake mit dem "Öko-Institut"-Leiter Matthes und Habeck "in der Stiftung Klimaneutralität unterwegs". Und im "Aufsichtsrat der Agora Energiewende GmbH" sitze doch tatsächlich "ein Mitglied des Reemtsma-Clans, eine Cousine von Luisa Neubauer". Kurz gesagt: "Man versteht es nicht, man blickt da kaum durch. Das ist ein mafiöses Geflecht, eine Struktur, die es aufzubrechen und zu beseitigen gilt, meine Damen und Herren."

SPD und Linke weisen allzu offenkundigen Quatsch zurück, sehen aber doch "ein Gschmäckle"

"Herr Brandner, soviel Schwachsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört, wie Sie ihn gerade von sich gegeben haben", entgegnete ihm der SPD-Abgeordnete Markus Hümpfer, um dann aber doch zu konzedieren, dass da "ein Gschmäckle bleibt", weil Bruder und Schwester von Graichen beim Öko-Institut arbeiten und Verena gleichzeitig die Frau von Michael Kellner ist. "Das ist schon nicht ohne - da gibt es keinen Zweifel" -; aber verboten ist es eben auch nicht", glaubte er feststellen zu können. Seine Partei werde "verfolgen, wie sich das entwickelt und wie transparent das Ministerium tatsächlich mit dem Thema umgeht". Ähnliche Vorbehalte machte auch der Linke- Abgeordnete Klaus Ernst, der außerdem einen "Hang zum autoritären Führungsstil" in Habecks Ministerium beklagte. Anscheinend war da noch eine parteipolitische Rechnung zu begleichen, denn Ernst warf dem Ministerium vor, sich im Frühjahr 2022 an den Verfassungsschutz gewandt zu haben, "um einen offensichtlich nicht linientreuen, also nicht der Familie angehörenden, Beamten mit einem Spionageverdacht zu überziehen", der sich später als "Unfug" herausgestellt habe.

FDP appelliert an AfD und Union, "nicht ständig Skandale zu konstruieren, wo überhaupt keine sind"

Am vernünftigsten hörte sich noch der FDP-Abgeordnete Olaf von der Beek an: "Versuchen Sie doch nicht ständig, Skandale zu konstruieren, wo überhaupt keine sind", gab er AfD und Union zu bedenken. Die politische Instrumentalisierung dieser "Aktuellen Stunde" lasse sich wohl nur so erklären, dass ihnen anscheinend angemessene Argumente und nachvollziehbare Kritik an der Bundesregierung ausgegangen seien. "Denn wenn man keine Inhalte mehr findet, über die man sich beschweren kann, dann geht man eben ins Privatleben der Menschen. Wenn Sie nur beschäftigt, wer mit wem verheiratet ist, dann schließe ich daraus, dass sie ansonsten mit der Arbeit der Regierung ganz zufrieden sind und wohl nichts weiter zu kritisieren haben (...) Aber mißbrauchen Sie nicht den Plenarsaal des Deutschen Bundestags, um einen transparenten Sachverhalt und das Privatleben von Menschen künstlich zu politisieren. Das ist der Würde unseres Hauses nicht angemessen."

Graichen räumt ein, dass er sich aus dem ganzen Verfahren früher hätte zurückziehen müssen

Es bleibt jetzt abzuwarten, wie es mit der Neubesetzung des Chefpostens bei der Dena weitergeht. Graichen ließ am 28. April ein verhaltenes "mea culpa" verbreiten, das folgendermaßen lautet: "Im Verfahren der Findungskommission habe ich leider nicht richtig aufgepasst. Ich hätte mich ab dem Moment, als Michael Schäfer Kandidat wurde, aus dem Verfahren zurückziehen sollen, damit im weiteren Prozess kein falscher Eindruck entsteht. Das war ein Fehler und ich bedauere diesen Fehler sehr."

Hintergrund ist nach Darstellung des Ministeriums, dass das Auswahlverfahren für die Neubesetzung in mehreren Etappen erfolgt. Im Vorfeld des Auswahlverfahrens war eine Findungskommission gebildet worden. Diese bestand aus dem parlamentarischen Staatssekretär Stefan Wenzel als Aufsichtsratsvorsitzenden der Dena, dem fachlich zuständigen Staatssekretär Patrick Graichen, dem für die Beteiligungsführung zuständigen Referatsleiter sowie - "als Gast" - der zweiten Dena-Geschäftsführerin Kristina Haverkamp, deren Vertrag inzwischen verlängert wurde. Ein externer Personaldienstleister wurde mit der Suche nach geeigneten Kandidaten beauftragt. Die Findungskommission führte daraufhin Gespräche mit ausgewählten Kandidaten, traf eine Vorauswahl und legte dem Aufsichtsrat der Dena einen Personalvorschlag auf Basis der besten Qualifikation vor.

Die Personalentscheidung selbst oblag dem Aufsichtsrat der Dena mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung. Der Aufsichtsrat hatte sich nach einem Auswahlgespräch aufgrund der herausragenden Qualifikation einstimmig für Michael Schäfer entschieden. Die Gesellschafterversammlung stimmte zu. Im Aufsichtsrat sind unter anderem die KfW, die GIZ sowie die beiden Bundesministerien für Verkehr (BMDV) und Umwelt (BMUV) vertreten. Die Gesellschafterversammlung besteht aus KfW sowie dem Bund, vertreten durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das im Einvernehmen mit dem BMDV, dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und dem BMUV entscheidet. Im BKWK wird die Beteiligungsführung unter der Federführung des zuständigen Staatssekretärs Udo Philipp wahrgenommen.

Der Fehler liegt nach Ansicht des BMWK in der dem formellen Auswahlverfahren vorgeschalteten Etappe. Patrick Graichen habe Bundesminister Habeck erst zu Wochenbeginn darüber informiert, dass Schäfer sein Trauzeuge war. Mithin könne "der Anschein einer möglichen Befangenheit nicht vollständig ausgeschlossen werden", wie eine interne Prüfung ergeben habe, die Habeck unmittelbar nach seiner Unterrichtung einleitete. Um den Fehler zu heilen, habe Stefan Wenzel als Aufsichtsratsvorsitzender der Dena den Aufsichtsrat gebeten, das Verfahren zu überprüfen und gegebenenfalls neu aufzusetzen.

Eine neue Geschäftsführung könnte bei der Dena einiges verbessern

Die im Jahr 2000 vom Bundeswirtschaftsministerium gegründete "Deutsche Energie-Agentur" galt lange Zeit als eine Einrichtung mit nur bedingter Kompetenz und Effizienz, die in ihren Anzeigen schon mal Kühltürme mit Schornsteinen verwechselte oder 2008 den amtierenden Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) mit der Warnung vor einer Kraftwerkslücke unterstützte, falls die Laufzeiten der Kernkraftwerke nicht verlängert würden ((080308)). Noch im März 2021 verteidigte sie das Sponsoring ihrer Erkenntnisse durch interessierte Branchen als "integrierten Multi-Stakeholder-Ansatz" (210314) . Die Ablösung des SPD-Mitglieds Andreas Kuhlmann, der seit 2015 als Geschäftsführer amtiert (150617), durch den Grünen Michael Schäfer hätte insofern für etwas frischen Wind sorgen können.

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