Juni 2024

240601

ENERGIE-CHRONIK




In den ersten drei Juni-Wochen lag der durchschnittliche Großhandelspreis am Spotmarkt bei knapp 75 Euro pro Megawattstunde. Dann explodierte er im vortägigen Handel zweimal bis auf 2325,88 bzw. 1796,32 Euro/MWh. Dadurch war er am 26. Juni bis zu 34-mal bzw. 24-mal so hoch wie zuvor. Wenn man den vorherigen Durchschnittspreis von knapp 75 Euro zugrunde legt, erstreckte sich der Hochpreis-Zeitraum über 22 Stunden und verteuerte die Megawattstunde im Mittel um 471 Euro.

Elektronische Panne ließ Börsenstrompreise explodieren

Infolge einer Panne bei der elektronischen Datenverarbeitung schossen am 25. Juni die Großhandels-Strompreise am Spotmarkt für die Handelszone Deutschland/Luxemburg in schwindelerregende Höhen. Bis dahin hatte die Megawattstunde seit Anfang Juni im Durchschnitt ungefähr 75 Euro gekostet. Im vortägigen Handel für den 26. Juni traten dann aber zweimal Preisspitzen auf, die bis zu 34-mal bzw. 24-mal höher waren (siehe Grafik).

IT-Fehler führte zur "teilweisen Entkopplung des Marktes"

In einer deutschsprachigen "Mitteilung an die Handelsteilnehmer" der in Leipzig angesiedelten Strombörse EEX hieß es zunächst lediglich: "Gestern wurden für den Liefertag 26.06.2024 an der EPEX Spot mehrere Day-Ahead-Auktionspreise ermittelt, die sich deutlich von den an anderen Spotbörsen ermittelten Preisen unterscheiden. Daher prüft die EEX als Benchmark-Administrator derzeit im Rahmen des Benchmark-Statements die Eignung der zugrunde liegenden Preise für die EEX European Power Futures."

Später folgte eine englisch verfasste Mitteilung der in Paris ansässigen EEX-Tochter EPEX Spot, wonach am 25. Juni "ein technisches Problem mit ihrem Handelssystem" aufgetreten sei, das "nicht innerhalb des von den Marktkopplungsverfahren des Single Day-Ahead Coupling (SDAC) vorgesehenen Zeitrahmens behoben werden konnte". Sie habe deshalb "offiziell die teilweise Entkopplung des Marktes" erklärt und die Auktionssitzung "nach dem Verfahren der teilweisen Entkopplung durchgeführt". Das technische Problem sei noch am selben Tag behoben worden, worauf ab 22 Uhr wieder alle Auktionen "unter normalen Bedingungen erfolgreich abgeschlossen" werden konnten.

Untersuchungsbericht soll voraussichtlich in einem Monat veröffentlicht werden

In einer weiteren Mitteilung der EPEX Spot vom 28. Juni folgten nähere Angaben zum Ausmaß der Entkopplung des Single Intraday Coupling (SDAC), das 25 europäische Länder mit Ausnahme Großbritanniens und der Schweiz umfasst. Der Lenkungsausschuss für die Marktkopplung (MCSC) habe eine eingehende Untersuchung der teilweisen Entkopplung von SDAC und der deshalb erfolgten Aufhebung des am 13. Juni gestarteten Single Intraday Coupling IDA3 (240611) eingeleitet. Ein Bericht über die Entkopplung, der die Ergebnisse der Untersuchung und mögliche Lehren daraus zusammenfasst, werde voraussichtlich in einem Monat veröffentlicht werden.

EPEX Spot betont, dass die abnormen Preise gemäß den Regeln zustande gekommen sind

Demnach hatte also ein Fehler im IT-System zur zeitweiligen Auflösung der seit 2010 bestehenden Marktkopplung geführt, die bei der vortägigen Börsenvermarktung die grenzüberschreitend gehandelten Strommengen mit dem Erwerb der dafür erforderlichen Übertragungsnetzkapazitäten kombiniert (140206). Davon betroffen war vor allem die sogenannte CWE-Region, die Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und Österreich umfasst. Zu den grotesken Folgen gehörte, dass parallel zur Preisexplosion im Marktgebiet Deutschland/Luxemburg die Megawattstunde in Frankreich nur noch 2,96 Euro kostete. Leicht grotesk wirkte aber auch das Understatement, mit dem die EPEX Spot die konkreten Auswirkungen überhaupt nicht erwähnte, sondern einfach davon ausging, dass die Folgen bekannt und von den Marktteilnehmern "kritisch hinterfragt" ("scrutinised") worden seien. Zugleich bestätigte sie sich selber, dass die Preise trotz ihrer Abnormität rechtlich korrekt zustande gekommen seien und deshalb nicht angefochten werden könnten:

Die EPEX Spot geht davon aus, dass die Marktergebnisse, insbesondere für die CWE-Region, von den Marktteilnehmern kritisch hinterfragt worden sind. Die Börse bestätigt, dass diese Preise auf der Grundlage der von den Marktteilnehmern übermittelten Orderbuchinformationen korrekt berechnet wurden, und zwar in der Situation der teilweisen Entkopplung, die gemäß den geltenden Marktkopplungsverfahren angekündigt wurde. Die für die Lieferung am 26. Juni 2024 veröffentlichten Preise spiegeln daher die Nachfrage und das Angebot gemäß den an die EPEX Spot übermittelten Aufträgen und in Übereinstimmung mit den Marktregeln wider."

Im Klartext heißt das wohl, dass die Strombörse nicht für Schäden haftet, die trotz korrekter Einhaltung der geltenden Regeln entstehen. Beispielsweise wollte und konnte sie nicht verantwortlich gemacht werden, als in den vergangenen zwei Jahren der Börsenmechanismus zur Ermittlung der Strom-Großhandelspreise wegen der Gasverteuerung plötzlich verrückt spielte und dadurch die Stromverbraucher einen Milliardenschaden erlitten, der sich bei Stromerzeugern in Form von Milliardengewinnen niederschlug (230804). In diesem Fall lag das nicht an einem Versagen des IT-Systems, sondern an einem korrekt funktionierenden Algorithmus, der aber auf solche Extremsituationen nicht zugeschnitten war und noch ist. Daran hat auch die neue EU-Verordnung "zur Verbesserung des Elektrizitätsmarktdesigns" nichts geändert (240502).

Den direkten Schaden haben Nutzer "dynamischer Tarife" mit stündlicher Abrechnung

Die jetzt enstandenen Schäden sind da vergleichsweise Peanuts. Direkt treffen dürften sie vor allem die vorläufig noch sehr wenigen Verbraucher mit "dynamischen Tarifen", deren Strombedarf über Vermittler wie "Tibber" direkt am Spotmarkt gedeckt und stündlich abgerechnet wird. Statt 7,5 Cent zahlten sie nun bis zu 2,55 Euro pro Kilowattstunde. Tibber warnte deshalb am Abend des 25. Juni seine Kunden vor extrem hohen Preisen, die sie beim Stromverbrauch am folgenden Tag zwischen 4 und 8 Uhr sowie 18 und 22 Uhr zu erwarten hätten. In dieser Zeit konnten die vorgewarnten Kunden mit stundengenauer Abrechnung die sonst entstehenden Mehrkosten durch völlige Enthaltsamkeit beim Stromverbrauch vermeiden (zumindest die gröbsten Belastungen, denn die Hochpreis-Phase dauerte nicht nur acht, sondern 22 Stunden). Für jene Kunden, bei denen die verbrauchsgenaue Abrechnung nicht im Stundentakt erfolgt, sondern auf Basis des durchschnittlichen monatlichen Spotmarktpreises, bezifferte Tibber die Mehrkosten mit weniger als zwei Cent pro Kilowattstunde.

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